Gewalt hinter Gittern
19. August 2012Jeder vierte Gefängnisinsasse hat in den vier Wochen vor der Befragung Gewalt erlebt. Bei den jugendlichen Straftätern war es sogar jeder zweite. Sieben Prozent der Befragten gaben an, Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein - eine sehr hohe Zahl, sagt Professor Christian Pfeiffer. Er ist der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, das die Studie durchgeführt hat.
Fast 6400 Häftlinge haben an der Befragung teilgenommen. Dafür wurden in 33 Gefängnissen verschlossene Urnen aufgestellt, in die die Häftlinge die anonym ausgefüllten Fragebögen einwerfen konnten. Nur das durchführende Institut hatte den Schlüssel zu den Urnen. So konnten sich die Insassen ganz offen äußern, ohne Angst vor Repressalien.
"Falsches pädagogisches Konzept"
"Das Ausmaß der Gewalt hat uns schon sehr erschreckt", sagt Christian Pfeiffer. Vor allem habe ihn schockiert, wie häufig Gewalt in den eigentlich von allen Seiten einsehbaren Gefängnishöfen vorkomme. Zudem würden Gewalttaten oft in den Duschen verübt oder in den gefängniseigenen Betrieben, in denen die Häftlinge arbeiten. Auch komme es immer wieder zu Übergriffen in Gemeinschaftszellen - alles Bereiche, die nicht komplett einsehbar sind.
Eine Erkenntnis betrifft speziell die Unterbringung von Jugendlichen. "Dass gerade in den Wohngruppen des Jugendstrafvollzuges sehr viel brutale Gewalt passiert, zeigt deutlich, dass unser pädagogisches Konzept falsch ist", sagt Christian Pfeiffer. Denn sobald die Tür zur Wohngruppe verschlossen sei und kein Aufseher mehr zuschaue, gelte das Recht des Stärkeren. Auf Kosten der Schwächeren werde dann das eigene Selbstbewusstsein aufpoliert.
Gewalt reduzieren – aber wie?
Das Kriminologische Forschungsinstitut fordert daher, das Konzept der Wohngruppen völlig zu überdenken. Zellen dürften nur geöffnet werden, wenn Gefängnispersonal anwesend sei. Zweitens müssten vor allem ältere Gefängnisse mit mehr Kameras ausgerüstet werden um zu verhindern, dass Insassen unentdeckt Gewalttaten ausüben. Drittens sollte man den Häftlingen zu Beginn viele Freiräume geben, die man ihnen wieder nimmt, wenn sie Gewalt ausüben. In einer der untersuchten Anstalten werde das sehr erfolgreich praktiziert. Viertens dürfte das Gefängnispersonal nicht weiter reduziert werden.
Davor warnt auch Anton Bachl, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbeamten Deutschlands: "Gerade jetzt wo die Gefangenenzahlen zurückgehen, da sollte man die Kapazitäten nutzen."
Kritik an der Studie
Aus den Justizministerien der Bundesländer Nordrhein-Westfalen (NRW) und Baden-Württemberg kam Kritik an der Studie. Gewalt im Gefängnis sei kein Massenphänomen, hieß es dort. So hätten im vergangenen Jahr in den Haftanstalten in NRW mehr als 48.000 Häftlinge eingesessen. Es habe aber nur 587 Fälle von geringer Gewaltanwendung gegeben. Das Justizministerium Baden-Württemberg zählte lediglich 30 Verdachtsfälle auf vorsätzliche Misshandlung. 2005 seien es noch mehr als doppelt so viele gewesen.
Christian Pfeiffer hält solche Zahlen für "selbstgestrickte sogenannte Forschung". "Ich bin schon sehr erstaunt, dass die Minister den Mut haben, sich öffentlich hinzustellen und zu sagen: Bei uns ist alles besser! Obwohl sie es wirklich nicht wissen und keine sichere Basis dafür haben", so Pfeiffer. Auch Bachl meint, dass diese Bundesländer die Augen vor der Realität verschlössen. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gehörten übrigens nicht zu den fünf Bundesländern, die sich an der Studie beteiligten.
Warnschussarrest sinnvoll?
Anfang Juli wurde das Jugendstrafrecht verschäft. Damit dürfen Gerichte Jugendlichen, die eigentlich auf Bewährung verurteilt wurden, zusätzlich einen sogenannten Warnschussarrest auferlegen. Die Jugendlichen müssten dann bis zu vier Wochen ins Gefängnis.
Der Warnschussarrest soll eine abschreckende Wirkung haben. Kriminologe Christian Pfeiffer sieht hierin allerdings hauptsächlich einen "Ansteckungsherd", der zur Brutalisierung beitrage. "Man lernt, dass das Recht des Stärkeren das Überleben garantiert - und nur das."