Etwa die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten in den weltweit bedeutendsten Naturregionen könnte mittelfristig dem Klimawandel zum Opfer fallen, so eine Studie. Die UN-Ziele können das Artensterben nur abmildern.
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Die Erderwärmung wird einer Studie zufolge zu einer ernsthaften Gefahr für die Artenvielfalt in besonders schützenswerten Erdregionen: In artenreichen Gebieten wie dem Amazonas oder Madagaskar seien bis zum Jahr 2080 25 bis 50 Prozent der Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, heißt es in einer in der Zeitschrift "Climatic Change" veröffentlichten Studie.
Demnach wären bei einer Erderwärmung um 4,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter 48 Prozent der Arten vom Aussterben bedroht. Selbst wenn das Zwei-Grad-Ziel eingehalten werde, also die oberste Grenze der Beschlüsse im Pariser Klimaabkommen, fiele der Rückgang der Arten massiv aus: Dann würde noch jede vierte Spezies in den Schlüsselregionen verloren gehen, heißt es in der Studie.
Die Studie "Wildlife in a warming World" gab die Organisation WWF bei der East Anglia Universität in Großbritannien und der James-Cook-Universität in Australien in Auftrag. Die Wissenschaftler untersuchten die klimatischen Bedingungen für 80.000 Arten in 33 sowohl einzigartigen wie artenreichen Gebieten wie dem Amazonas, der Wüste von Namibia, dem Himalaya, dem Baikalsee und dem Süden Chiles.
Auf der ganzen Welt könnten Tiere wie Afrikanische Elefanten oder Große Pandas regional verschwinden, genau wie zehntausende Pflanzen, Insekten und kleinere Lebewesen, die die Grundlage des Lebens auf der Erde bildeten, sagte Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Das ist kein Schicksal, sondern direkte Folge der menschengemachten Klimaerhitzung."
Der Direktor der Zoologischen Staatssammlung in München, Gerhard Haszprunar, der nicht an der Studie beteiligt war, hält die Ergebnisse für plausibel. Aus seiner Sicht wären noch weit mehr Arten betroffen, wenn die Ozeane mit in die Berechnungen einbezogen würden. Das Artensterben sei schon jetzt drastisch. Dies sei nicht nur indirekt durch den Klimawandel auf den Menschen zurückzuführen. Der Artenschwund sei vor allem auch direkt durch Waldrodungen, eine intensive Agrarindustrie und Flächenzementierung auf den Menschen zurückzuführen.
stu/fab (afp, kna)
Bedrohliches Artensterben
Tier- und Pflanzenarten sterben etwa hundert mal schneller aus als noch vor einigen Jahrhunderten, so eine Studie. Auch die Menschheit könnte zu den baldigen Opfern zählen.
Bild: picture-alliance/WILDLIFE/M. Harvey
100 Mal schneller
Der Amerikanische Schwarzbär ist eine von mehr als 22.000 bedrohten Arten. Im zurückliegenden Jahrhundert war die Rate des Artensterbens mehr als 100 Mal höher als sie es ohne menschliche Aktivität gewesen wäre, warnen Wissenschaftler verschiedener amerikanischer Universitäten in einer gemeinsam veröffentlichten Studie. Der WWF geht davon aus, dass Tag für Tag 70 Arten aussterben.
Bild: picture alliance/Bildagentur-online
Die Rote Liste wird länger und länger
Die Weltnaturschutzunion IUCN warnt: 41 Prozent aller Amphibien- und 26 Prozent aller Säugetierarten sind vom Aussterben bedroht. Dieser Titicaca-Riesenfrosch lebt nur im Titicacasee auf dem Hochplateau der Anden in Peru und Bolivien. In den frühen 1970er-Jahren war der Boden des Sees mit Millionen solcher Frösche besiedelt. Heute sind sie aus vielen Teilen des Sees fast völlig verschwunden.
Bild: picture alliance/WILDLIFE
Verschmutze Umwelt, gerodete Wälder
Die Gründe für das beschleunigte Artensterben sind größtenteils menschgemacht: Sie liegen unter anderem in der Klimaerwärmung, der Umweltverschmutzung und der Abholzung der Wälder. In den vergangenen 40 Jahren wurden jede Minute durchschnittlich 2000 Bäume gefällt, heißt es in einer anderen Studie.
Bild: picture-alliance/dpa
Kaum entdeckt, schon ausgestorben
In der aktuellen Studie verglichen die Wissenschaftler die Rate des Artensterbens der heutigen Zeit mit den Raten früherer Epochen vor der Industrialisierung. Der Dodo (Bild) war bereits 100 Jahre nach seiner Entdeckung auf Mauritius ausgestorben - im Jahr 1690. Schuld am Ende des flugunfähigen Vogels waren eingeschleppte Ratten und Haustiere.
Bild: Fotolia/Morphart
Fossilien als Vergleichswerte
Für ihre Analyse werteten die Forscher unter anderem Fossilien aus, die das Aussterben von Wirbeltier-Arten dokumentieren. Die Befunde sind grobe Schätzwerte - was auf der Erde in den 4,5 Milliarden Jahren ihres Bestehens exakt passierte, ist nicht präzise zu bestimmen. In den früheren Phasen starben pro Jahrhundert lediglich zwei von 10.000 Wirbelarten aus - zum Beispiel dieses Urpferd.
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Bedrohte Ökosysteme
Mit den Arten gehen wichtige Funktionen der Ökosysteme verloren, etwa die Bestäubung von Pflanzen. Bei der momentanen Geschwindigkeit des Artensterbens werden wir Menschen innerhalb von drei Generationen auf viele Vorteile der Biodiversität verzichten müssen, so die Autoren der Studie. "Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen", sagt einer von ihnen, Paul Ehrlich von der Stanford University.
Bild: picture-alliance/dpa
Gefahr für die Menschheit
Wenn nichts unternommen werde, "würde unsere Spezies vermutlich zu einem frühen Zeitpunkt verschwinden", sagt der Hauptautor der Studie, Gerardo Ceballos von der Universidad Nacional Autónoma de Mexico. Sollten zum Beispiel die Bienen aussterben, hätte das gravierende Folgen für die Getreideproduktion - eine Hungersnot wäre die Folge. Schon jetzt ist das Bienensterben ein weltweites Problem.
Bild: picture-alliance/dpa
Schnelles Gegensteuern nötig
Die Autoren verbinden ihre Befunde mit einem eindringlichen Appell: Die Menschheit müsse ihre Bemühungen zum Erhalt bedrohter Arten "schnell erheblich verstärken". Insbesondere müssten der Verlust des natürlichen Lebensraums, die Ausbeutung der Natur und der Klimawandel angegangen werden. Ohne Gegensteuern würde es "Millionen Jahre" dauern, bis sich der Planet erhole.
Bild: picture-alliance/WILDLIFE/M. Harvey
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Artenvielfalt in Deutschland bedroht
Die Vielfalt an Tieren, Pflanzen und Pilzen ist in Deutschland stark bedroht. Ein Drittel aller Arten ist im Bestand gefährdet, vier Prozent sind bereits ausgestorben.
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Ameisen verlieren ihre Biotope
Die Lage der Ameisen ist besonders dramatisch. 65 Ameisenarten gibt es in Deutschland. Der Grund für den Rückgang ist die Überdüngung in der Landwirtschaft und weniger totes Holz im Wald. Den Ameisen gehen so Lebensräume verloren. Wichtig sind Ameisen, weil sie Kleininsekten fressen, tote Tiere zersetzen und sich Vögel davon ernähren.
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Artenschutz ist Grundlage der Ernährung
Drei Viertel aller Nahrungspflanzen brauchen eine Bestäubung. Die Agrarproduktion ist abhängig von diesem Dienst. Auch deshalb betrachten viele das Bienensterben mit Sorge. Viele Experten machen den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft dafür verantwortlich.
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In Deutschland ausgestorben
Der Verlust der Artenvielfalt ist in Deutschland schleichend. Alle wildlebenden Tiere sind davon betroffen. Diese Langflügelfledermaus gibt es in Deutschland inzwischen nicht mehr. Das Foto zeigt ein Exemplar in Bulgarien.
Bild: picture alliance/blickwinkel/D. Mahlke
König der Vögel kehrt zurück
Der Deutsche Artenschutzbericht zeigt aber auch Erfolge. So vermehrt sich wieder der Seeadler. Er gehört zu den größten Greifvögeln Mitteleuropas und war durch menschliche Verfolgung und die Vergiftung mit dem Insektizid DDT fast ausgerottet. Seeadler profitieren auch von der verbesserten Wasserqualität.
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Der Wolf kehrt zurück
Von einem umfangreichen Schutzprogramm profitiert in Deutschland der Wolf. In Deutschland war das Raubtier fast vollständig ausgerottet. Erstmalig wurde im Jahr 2000 die Geburt eines Welpen nachgewiesen. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 34 Wolfsrudel gezählt.
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Tannenbäume für das Weihnachtsfest
Die intensive Landwirtschaft mit Monokulturen ist für den Erhalt der Artenvielfalt das größte Problem. Grünflächen verschwinden, Pestizide und Dünger machen es den Tieren und Pflanzen schwer, zu überleben. Der Trend zum Artenverlust durch Landwirtschaft wurde bisher nicht gestoppt.
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Bioanbau fördert Artenvielfalt
Um die Pflanzen- und Tierwelt zu schützen, fordern Experten vor allem ein Umdenken in der Agrarwirtschaft. Landwirte sollten Hilfen für die Umstellung ihrer Betriebe bekommen und die EU-Agrarpolitik sollte ökologischer werden.
Bild: imago/R. Lueger
Mehr Urwald für den Artenschutz
Deutschland hat viel Wald, doch zum großen Teil wird er auch kommerziell genutzt. Nur etwa zwei Prozent sind wild, sich selbst überlassen und geben so mehr Pflanzen und Tieren einen Lebensraum. Experten fordern zum Erhalt der Artenvielfalt, dass fünf Prozent des Waldes wild bleiben sollte.
Bild: picture alliance/blickwinkel
Auswirkungen durch Klimawandel
Für den Erhalt der Artenvielfalt in Deutschland spielt der Klimawandel nach Einschätzung von Experten bisher keine große Rolle. Das Bundesamt für Naturschutz geht in seinem aktuellen Bericht jedoch davon aus, dass der Klimawandel zukünftig zunehmend die Artenvielfalt beeinflussen wird.
Bild: picture alliance/dpa/Patrick Pleul
Klugheit und Glück für den Artenschutz
Neben wirtschaftlichen und ethischen Gründen ist auch das Glück ein Faktor für den Erhalt der Artenvielfalt: Die Natur gibt Raum für Erholung. Immer mehr Städter bauen Lebensmittel selber an, pflegen das Grün in der Nachbarschaft und setzen sich so für den Ausbau der Artenvielfalt ein.