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Politik

Studie: Mehr Terroropfer in OECD-Staaten

Nastassja Shtrauchler
15. November 2017

Ein Rückgang um 80 Prozent in Nigeria, dafür mehr Tote in vielen europäischen Ländern. Das sind Ergebnisse des Global Terrorism Index 2017. Im DW-Interview erklärt Studienleiter Daniel Hyslop die Gründe dafür.

Abtransport des Anschlags-LKW vom Weihnachtsmarkt in Berlin
LKW als Terrorwaffe: Zwölf Tote bei Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016Bild: picture-alliance/rtn-radio tele nord rtn/P. Wuest

Deutsche Welle: Herr Hyslop, welche Besonderheiten gab es bei den Ergebnissen Ihrer diesjährigen Studie?

Hsylop: Besonders herauszustellen ist die Tatsache, dass es 2016 weltweit 22 Prozent weniger Opfer durch Terroranschläge gegeben hat als noch 2014. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Vier der fünf Länder, die am meisten von terroristischen Aktivitäten betroffen sind, hatten beträchtlich weniger Tote zu beklagen. Man kann von einem Wendepunkt im Kampf gegen den Terrorismus sprechen.

Welche Länder sind das, die diesen Rückgang erlebt haben, und in welchen Ländern gab es mehr Opfer durch Terrorismus?

Nigeria sticht im Positiven am meisten heraus. Das Land hat 2016 80 Prozent weniger Terroropfer gehabt. Wir sprechen von etwa 3000 Menschen. Das ist vor allem auf die sogenannte Multinational Joint Task Force, eine multinationale Truppe von Einheiten der tschadischen, nigrischen und nigerianischen Armee, zurückzuführen, die gemeinsam die Terrormiliz Boko Haram bekämpfen. Außerdem hat sich Boko Haram in drei Gruppen aufgeteilt und ist damit nicht mehr eine so zusammenhängende Gruppierung wie noch vor ein paar Jahren. Auch im Jemen, in Afghanistan, Syrien, dem Irak und Niger hat sich die Lage verbessert. Im Falle von Niger hängt das mit der Situation im Nachbarland Nigeria zusammen.

Daniel Hyslop: 80 Prozent weniger Terroropfer in NigeriaBild: Institute for Economic Peace

Im Jemen haben vereinzelte Friedensgespräche die Lage verbessert und dazu geführt, dass die Huthi-Rebellen weniger Terrortaktiken angewendet haben. Afghanistan hingegen hat eine Art perversen Trend erlebt. Während die Zahl der Menschen, die durch Kämpfe mit den Taliban ums Leben gekommen sind, angestiegen ist, hat sich die Zahl der Terroranschläge verringert. Auch in Syrien hat es weniger Terror durch den sogenannten "Islamischen Staat" gegeben. Einige Gruppen haben bis zuletzt mit allen Mitteln versucht, an Territorium festzuhalten und all ihre Ressourcen in klassischen Kampfsituationen verwendet.

Ihre Ergebnisse zeichnen ein durchaus positives Bild: 22 Prozent weniger Opfer durch Terror innerhalb der vergangenen zwei Jahre. In den Nachrichten lesen oder hören wir aber fast jeden Tag von terroristischen Anschlägen. Wie passt das zusammen?

Ein besorgniserregender Trend ist die hohe Zahl von Terroropfern in den OECD-Mitgliedsstaaten im Jahr 2016. Dazu gehören fast ganz Europa, die USA, Australien und Kanada. So viele Tote durch Terrorismus hat es seit 1988 nicht mehr gegeben. Ich denke, es liegt wohl daran, dass wir in Europa die Wahrnehmung haben, dass es mehr Terror gibt als früher.

Welche Länder hatten die überraschendsten Ergebnisse?

Das war für mich Nigeria mit dieser Zahl - 80 Prozent. Dieser Rückgang stellt eine dramatische Verbesserung der Lage dar. Man muss sich das immer wieder in Erinnerung rufen: Noch vor zwei Jahren war Boko Haram die grausamste und gefährlichste Terrorgruppe der Welt. Jetzt ist die Gruppe zersplittert. Das liegt, wie vorhin erwähnt, an der Zusammenarbeit von regionalen Truppen, die sich dem Kampf gegen den Terror verschrieben haben. Es zeigt auch, dass solche regionalen Koalitionen sehr erfolgreich sein können, wenn sie sich selbst um ihre Sicherheit kümmern.

Hat sich an der Art, wie Terroranschläge verübt werden, etwas verändert?

In Ländern wie dem Irak, Afghanistan, Pakistan, Syrien und Nigeria, wo sich die meisten terroristischen Aktivitäten abspielen, hat sich nichts wesentlich verändert. In Europa hingegen schon. Was wir feststellen konnten, war eine Entwicklung hin zu sehr viel einfacheren Strategien, die weniger Planung und weniger Menschen bedürfen. Da wäre zum Beispiel der Gebrauch von Lastwagen, zu dem der "Islamische Staat" 2016 aufgerufen hat. Diese Methode ist sehr effektiv und schon mehrere Male angewendet worden. Diese Entwicklung liegt auch daran, dass die sehr viel aufwendigeren Anschläge inzwischen viel früher von den Sicherheitsbehörden vereitelt werden.

Bedeutet das, dass Sicherheitsbehörden und Geheimdienste inzwischen sehr viel erfolgreicher arbeiten als früher?

Wenn man sich die Zahlen der vereitelten Anschläge in den OECD-Staaten anschaut, dann hat sich da sehr viel verbessert. Wurden 2015 noch 19 Prozent verhindert, waren es 2016 schon ungefähr 34 Prozent.

Und: In der ersten Jahreshälfte 2017 hat es weniger Terroropfer gegeben als noch im Vorjahr. Das ist kein einheitlicher Trend in Europa, aber in Deutschland zum Beispiel hat es in diesem Jahr bislang keine erfolgreichen Anschläge gegeben. Es gab einige Versuche, aber die konnten alle rechtzeitig unterbunden werden.

Gibt es einen Aspekt in der Studie, der sie besonders beunruhigt?

Ja, das ist der Aspekt rund um die Terrormiliz "Islamischer Staat". Während die Gruppe militärisch inzwischen fast vollständig besiegt werden konnte, gilt das nicht für die Ideologie. Auf dieser Ideologie aber basiert der Erfolg der Gruppierung und ihre extreme Gewalt. Ich denke, das ist die entscheidende Frage, ob der IS trotzdem auch zukünftig noch gewaltsam in Erscheinung treten wird. Deswegen halten wir es für immens wichtig, dass man, im Kampf gegen den Terrorismus vor allem im Irak und in Syrien, Nachkriegsvereinbarungen treffen muss. In diesen Vereinbarungen müssen auch die entmachteten sunnitischen Gruppierungen eine Rolle spielen. Nur so kann man auf lange Sicht Frieden schaffen. Ein Großteil unserer Arbeit basiert auf positivem Frieden, also einem Konzept, in dem es darum geht, Haltungen, Institutionen und Strukturen zu schaffen, die friedliche Gesellschaften stärken. Wir sollten uns mehr darauf als auf eine kurzzeitige Terrorabwehr konzentrieren.

Daniel Hyslop ist Forschungsleiter am Institute for Economics and Peace. Er war früher für internationale Organisationen und Denkfabriken als Berater tätig, darunter für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP).

Das Gespräch führte Nastassja Shtrauchler.

 

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