Die allermeisten Unternehmen in Deutschland sind im Familienbesitz, sie stehen für die Hälfte des Umsatzes der hiesigen Wirtschaft. Wo investieren sie am liebsten?
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Für deutsche Familienunternehmen bietet Russland unter sieben großen Schwellenländern nach einer neuen Studie die besten Investitionsbedingungen. Dahinter folgen zwei weitere autoritär geführte Nationen: die Türkei und China. Das ist die Einschätzung der Ökonomen des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in der am Dienstag veröffentlichten Untersuchung für die in München ansässige Stiftung Familienunternehmen. Die Wirtschaftsforscher ziehen ein zwiespältiges Fazit: Die Verschlechterung von Demokratie und Freiheitsrechten in Ländern wie der Türkei, Russland oder China habe "zum Teil bereits die Standortbedingungen für Familienunternehmen beeinträchtigt", heißt es in der Studie. "Gleichzeitig sind aber auch für Familienunternehmen relevante Verbesserungen im institutionellen Umfeld erkennbar."
Damit gemeint sind unter anderem besserer Gläubigerschutz in der Türkei und schärferes Vorgehen gegen Korruption in China. Russland liegt in der Studie vorn, weil das Land über gut ausgebildete Arbeitskräfte und gute Finanzierungsbedingungen verfügt.
Brasilien als Schlusslicht
"Viele Schwellenländer haben in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um wettbewerbsfähiger zu werden", sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. "Es liegt in ihrem Interesse, Fortschritte bei den Wirtschaftsbedingungen auch in Einklang mit Demokratie, Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit zu bringen." Das schaffe die beste Grundlage für stabile Geschäftsbeziehungen.
Auf den vier hinteren Plätzen liegen Südafrika, Mexiko, Indien und Brasilien. Südafrika hatte in der ersten Ausgabe des Länderindex 2017 noch auf Platz zwei gelegen, steht inzwischen nach Einschätzung der ZEW-Ökonomen aber deutlich schlechter da, hauptsächlich wegen Korruption, hoher Energiepreise und unzuverlässiger Stromversorgung. Als unattraktivstes Schwellenland wird Brasilien eingeschätzt. Größte Schwachstellen seien hier das vergleichsweise restriktive Regulierungsumfeld sowie die unzureichende Infrastruktur.
Zu den deutschen Familienunternehmen gehören keineswegs nur Mittelständler, sondern auch Großunternehmen wie der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Hanauer Technologiekonzern Heraeus, der 2018 mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz erzielte.
Unternehmen mit Geschichte
Über 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind in Familienbesitz, sie erwirtschaften über die Hälfte des Umsatzes der deutschen Wirtschaft. Einige dieser Unternehmen sind bereits seit dem 16. Jahrhundert tätig.
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The Coatinc Company Holding GmbH
Erst in diesem Frühjahr wurde bekannt: The Coatinc Company ist das älteste Familienunternehmen Deutschlands. Wirtschaftshistoriker prüften entsprechende Dokumente der Firma und bestätigten 1502 als Jahr der Gründung. Der Anfang war lediglich eine Schmiede in Siegen. Dem Stammsitz ist die Verzinkerei bis heute treu geblieben.
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William Prym Holding GmbH & Co. KG
Prym, gegründet 1530, galt bis dahin als ältestes Familienunternehmen Deutschlands. Nun muss sich das Unternehmen mit dem zweiten Platz begnügen. Während Anfangs die Produktion von Walzmaterial und Drähten priorisiert wurde, setzte sich 1903 die Produktion von Nähutensilien und Druckknöpfen durch. Das Unternehmen beschäftigt weltweit 3300 Mitarbeiter und setzte 2018 rund 382 Millionen Euro um.
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Wiegand-Glas GmbH
Wiegand-Glas entstand 1570 aus einer bescheidenen Glasproduktionsstätte in der Rhön. Obwohl die Glasherstellung seit eh und je Schwerpunkt der Firma ist, wurde 1997 beschlossen, die Produktion auf PET-Behälter auszuweiten. Heute zählt Wiegand-Glas mit seinen 1800 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz 2018 von 486 Millionen Euro zu den Top drei der Behälterglashersteller Deutschlands.
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Berenberg, Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG
Seit dem 16. Jahrhundert sind in Deutschland Unternehmen im Bankgeschäft tätig. So auch die Berenberg Bank, die 1590 in Hamburg gegründet wurde und somit die zweitälteste Bank der Welt ist nach der italienischen Monte dei Paschi di Siena. 1640 Mitarbeiter erwirtschafteten in der Vermögensverwaltung, dem Investment- und Corporate Banking 2018 einen Umsatz von 4,7 Milliarden Euro.
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Friedr. Schwarze GmbH & Co. KG
Schon 1664 wird Schwarze als Kornbrennerei urkundlich erwähnt. Die Brennerei, die unter dem Namen Schwarze und Schlichte ihre Ware vertreibt, verfügt über ein diverses Sortiment an Spirituosenmarken. Das verhilft der Firma, sich erfolgreich auf dem Spirituosenmarkt zu behaupten. Schwarze und Schlichte beschäftigt 100 Mitarbeiter und konnte 2018 rund 47 Millionen Euro Umsatz erzielen.
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Merck KGaA
Die 1668 in Darmstadt als Apotheke gegründete Firma Merck ist das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt. Für Verwirrung sorgt manchmal der gleichnamige US-Konzern Merck & Co., der bis 1917 noch Teil des deutschen Unternehmens war. Obwohl die US-Firma um einiges grösser ist, nahm der deutsche Arm 2018 knapp 15 Milliarden Euro ein. Weltweit hat Merck 51.700 Mitarbeiter.
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Lukas Meindl GmbH & Co. KG
Das Unternehmen Meindl entstand 1683, als Petrus Meindl eine der ersten Schuhmachereien in Kirchanschöring (Oberbayern) eröffnete. Seither führen die nachfolgenden Generationen das Geschäft erfolgreich fort. Mit 200 Mitarbeitern und einer Produktionsstätte im Heimatort bietet das Familienunternehmen seine Auswahl an Wanderschuhen und Ledermode deutschlandweit an.
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Harry Brot GmbH
Eine einfache Bäckerei bei Hamburg war 1688 der Ursprung der Großbäckerei Harry, dessen Angebot an Brot flächendeckend in Ost-, West- und Norddeutschland gekauft werden kann. Über Jahre hinweg wurde fleißig in die Modernisierung des Betriebs investiert. So produziert die Bäckerei heute an neun Standorten, beschäftigt 4375 Mitarbeiter und kam 2018 auf einen Umsatz von rund einer Milliarde Euro.
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Villeroy & Boch AG
Das Keramikunternehmen Villeroy & Boch wurde 1748 in einem lothringischen Dorf vom Eisengießer François Boch gegründet. Aus einer Firma, die Anfangs ausschließlich Porzellangeschirr produzierte, wurde im Verlauf von 270 Jahren ein führendes Unternehmen in den Bereichen Bad, Wellness und Tischkultur. Es hat heute 7500 Mitarbeiter weltweit und erzielte 2018 einen Umsatz von 835 Millionen Euro.
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S. Siedle & Söhne OHG
Das Familienunternehmen Siedle, das heute für seine Gebäudekommunikationstechnik bekannt ist, war im Gründungsjahr 1750 noch eine Gießerei. 1887 wandte sich das Unternehmen der Telefonie zu, woraus Anfang des 20. Jahrhunderts die Spezialisierung auf Gebäudekommunikation entstand. Die ehemalige Gießerei erwirtschaftete 2018 mit 550 Mitarbeiter einen Umsatz von 88 Millionen Euro.