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Das Ende der Stasi: "Meine Akte gehört mir"

15. Januar 2020

Am 15. Januar 1990 fiel die wichtigste Bastion des DDR-Regimes in Berlin. Den Anfang machten allerdings schon früher mutige Menschen fernab des Machtzentrums. Und der letzte Akt fand erst im September statt.

Berlin 1990 Demonstranten stürmen die Zentrale der Staatsicherheit der DDR
Bild: picture alliance/AP Images/J. Finck

"Schild und Schwert der Partei" – mit diesem Selbstverständnis arbeitete das 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In der Praxis bedeutete das: spionieren, unterdrücken, zersetzen. Hauptzielgruppe: die eigene Bevölkerung. Die Stasi, wie das MfS im Volksmund hieß, war das wichtigste Frühwarnsystem und Unterdrückungsapparat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).

Neues Forum: "Bringt Kalk und Mauersteine mit!"

Den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 kann die Stasi trotzdem nicht verhindern. Und damit den eigenen Untergang. Neun Tage nach der überraschenden Grenzöffnung wird die DDR-Geheimpolizei in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannt. Neuer Name, altes System – so sieht es die überwältigende Mehrheit der 17 Millionen Ostdeutschen.

Eine symbolische Mauer auf dem Stasi-Gelände, nachdem die Berliner Mauer am 9. November 1989 gefallen warBild: picture-alliance/dpa/P. Zimmermann

Am 15. Januar 1990 ist die Stasi das beherrschende Thema auf der Sitzung des Zentralen Runden Tisches in Berlin. Gemeinsam beraten Vertreter des alten Regimes unter Regierungschef Hans Modrow und Bürgerrechtler, wie es mit der maroden DDR weitergehen soll. An diesem Tag ruft das Neue Forum zu einer Kundgebung vor der Stasi-Zentrale auf. "Bringt Kalk und Mauersteine mit!", steht auf einem Flugblatt. Der Geheimdienst soll symbolisch eingemauert werden. "Mit Fantasie und ohne Gewalt" soll das riesige Areal gestürmt werden.

"Der Staat hatte noch nicht abgedankt"

Tausende Menschen folgen dem Aufruf, auch der Ost-Berliner Arno Polzin. Ein Detail wird der damals 27-Jährige nie vergessen: "Die Tatsache, dass man ungeschoren auf das Gelände kam." Kein Widerstand, keine Kontrollen. Im Gegenteil. Als der gelernte Werkzeugmacher das über Jahrzehnte hermetisch abgeriegelte Gelände betritt, erblickt er im obersten Stockwerk eines Gebäudes uniformierte Bereitschaftspolizisten. Die seien offensichtlich nicht dazu da gewesen, die Eindringlinge einzuschüchtern oder abzudrängen, sagt Polzin im DW-Gespräch. Stattdessen hätten sie mit "Interesse und Neugier" zugeguckt, was sich unten abspielt. Ein symbolisches Bild in Polzins Augen: "Okay, eine direkte Gefahr scheint hier nicht mehr vorzuliegen."

Arno Polzin stürmte die Stasi zweimal

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Mit dem Sturm auf die Stasi-Zentrale fällt die letzte und wichtigste Bastion des DDR-Geheimdienstes. Angefangen hat alles jedoch rund 300 Kilometer südwestlich von Berlin. In Erfurt organisiert die Künstlerin Gabriele Stötzer mit einer Gruppe von Frauen schon am 4. Dezember 1989 die Besetzung des örtlichen Stasi-Gebäudes. Die Grenzen zwischen Ost und West sind zwar offen, aber sie trauen dem Frieden nicht. "Der Staat hatte noch nicht abgedankt", sagt Gabriele Stötzer im DW-Gespräch. Polizei, Armee und Stasi seien noch bewaffnet gewesen. "Es war eine Dunkelheit über der DDR, die es ja noch gab."

Trotz dieser diffusen Gemenge- und Gefühlslage nehmen die Frauen all ihren Mut zusammen und begehren Einlass bei der Stasi – und die Tür geht tatsächlich auf. Den verblüfften Stasi-Leuten erklären sie ihr Anliegen: "Ihr habt für uns Akten gemacht, das ist unser Eigentum. Das wollen wir jetzt retten. Wir wollen gucken, ob ihr das vernichtet."

In Erfurt wird der Bürgermeister vorab über die Besetzung informiert

Angst hätten sie damals nicht empfunden, sagt Gabriele Stötzer. Ihr Ziel sei so klar gewesen, ständig sei etwas zu tun gewesen. Die Frauen gehen planmäßig vor. So verrückt es klingen mag, sie informieren vorher den Bürgermeister über ihre bevorstehende Aktion. Und der Staatsanwalt wird aufgefordert, die Stasi-Räume zu versiegeln, um die Akten zu retten. "Wir wussten, dass das auch ein großer Schatz ist, unser Schatz."

In Erfurt besetzten DDR-Bürgerrechtler am 4. Dezember 1989 friedlich das erste Stasi-Gebäude Bild: picture-alliance/dpa/Archiv Gesellschaft für Zeitgeschichte

Ihr Leben sei darin aufgeschrieben worden. Womit die Stasi versucht habe, sie zu beherrschen. "Uns praktisch unser Leben zu entreißen, uns zu kriminalisieren." In den Augen der Stasi war die junge Frau schon früh eine Staatsfeindin. Ihr Vergehen: Sie protestierte 1976 mit anderen Bürgerrechtlern gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Dafür wurde Gabriele Stötzer zu einem Jahr Haft im Frauengefängnis Hoheneck verurteilt.

"Die gehen rein, wollen die Stasi-Akten haben und es wird nicht geschossen"

Trotz dieser demütigenden Bestrafung lehnte sie die Ausreise in den Westen ab und schlug sich in der DDR als freischaffende Künstlerin durch. Die Stasi überwachte sie weiterhin. Die Art und Weise, wie sie und Gleichgesinnte 1989 den Geheimdienst später ganz friedlich beseitigen, nennt Gabriele Stötzer noch heute "genial" und "grandios". In der ganzen DDR verbreitet sich die unglaublich klingende Botschaft aus Erfurt: "Die gehen rein, wollen die Stasi-Akten haben und es wird nicht geschossen." Ob in Halle, Leipzig oder Gotha – die Stasi kapituliert überall.

Beim Sturm auf die Berliner Stasi-Zentrale entluden sich bei manchen Demonstranten Wut und Hass auf den Geheimdienst Bild: picture-alliance/dpa

Nur in Berlin dauert es länger. Markus Meckel, 1990 für kurze Zeit DDR-Außenminister nach den ersten freien Wahlen, hat dafür eine plausibel klingende Erklärung: Die DDR sei nun mal ein zentralistischer Staat gewesen. "Da saß die Zentrale der Macht, auch des Repressionsapparates." Und die Stasi sei nur wegzukriegen gewesen, "indem auch die Regierung selbst instabil wurde und keinen anderen Ausweg mehr sah". Dieser Zeitpunkt ist am 15. Januar 1990 gekommen. 

Regierungschef Hans Modrow kapituliert vor den Bürgerrechtlern

Drei Tage nach dem Sturm auf die Stasi-Zentrale gibt der letzte kommunistische DDR-Regierungschef, Hans Modrow, seinen Widerstand auf. Er ordnet an, den Geheimdienst aufzulösen. Die Stasi-Akten anschließend zu öffnen, sei ein "ganz großes Verdienst" der DDR-Volkskammer, sagt Meckel im DW-Gespräch. Eine Leistung, "die gegen die Vertreter der Bundesregierung durchgesetzt werden musste".

Ein Teil des Stasi-Erbes: zerrissene Akten, die in 16.000 Säcken lagern und mühsam rekonstruiert werden müssenBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Der westdeutsche Kanzler Helmut Kohl will das brisante Material damals lieber unter Verschluss halten. Um das zu verhindern, besetzen Arno Polzin und Gleichgesinnte die geschleifte Stasi-Trutzburg im September 1990 ein zweites Mal – mit Erfolg. Das wichtigste Ziel der DDR-Bürgerrechtler ist erreicht: "Meine Akte gehört mir." Dafür muss das Stasi-Erbe aus den Giftschränken herausgeholt werden. Arno Polzin nennt aber noch an eine andere Befürchtung: dass westdeutsche Geheimdienste Zugriff auf die Akten bekommen, "bevor die DDR-Bürger überhaupt die Chance haben, zu wissen, was da los war".

Markus Meckel: "Das war eine ganz große Tat"

Ohne das Engagement der Bürgerrechtler an vielen Orten zu verschiedenen Zeitpunkten wären die Auflösung der Stasi und die Öffnung der Akten kaum vorstellbar. Einen Schlussstrich soll es weiterhin nicht geben. Auch wenn die Stasi-Unterlagen, wie 2019 beschlossen, mittelfristig im Bundesarchiv landen. Der letzte DDR-Außenminister Markus Meckel findet diese Lösung gut. Und er betont die Vorbildfunktion für andere Länder des früheren Ostblocks, die dem deutschen Vorbild gefolgt sind. Der Sturm auf die Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 hat für ihn eine besondere historische Bedeutung: "Das war eine ganz große Tat, die wichtig ist und festgehalten werden muss."

Das Ende der Stasi

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Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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