Europa muss sich im Klimawandel nach Erkenntnissen der Münchener Rück auf mehr und teurere Naturkatastrophen einstellen. Vor allem beim Hochwasserschutz müssten die Schutzmaßnahmen erheblich ausgeweitet werden.
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Mit einem Gesamtschaden von 46 Milliarden Euro war das Tief "Bernd" mit tagelangen Regenfällen im vergangenen Jahr das zweitteuerste Naturereignis weltweit, wie aus dem am Montag veröffentlichten Naturkatastrophenbericht der Münchener Rück (Munich Re) hervorgeht. "Der Klimawandel hat solche Ereignisse wahrscheinlicher gemacht", stellt Ernst Rauch, der Chef-Klimaforscher des Rückversicherers, im Interview mit der DW fest. "Es wird eine Generationenaufgabe, unser Land wetterfest zu machen."
Weltweit verursachten Stürme, Hochwasser, Waldbrände oder Erdbeben 2021 Schäden von 280 (2020: 210) Milliarden Dollar. 120 (82) Milliarden davon mussten Versicherer und Rückversicherer tragen - mehr war es Rauch zufolge nur 2017 (146 Milliarden).
In der inflationsbereinigten Rangliste der teuersten Naturkatastrophenjahre liegt 2021 nach Rechnung des Rückversicherers auf Platz vier. Bislang teuerstes Jahr war 2011, als Seebeben, der Tsunami und das folgende Atomunglück in Japan die weltweite volkswirtschaftliche Schadensumme auf 355 Milliarden Dollar getrieben hatten.
10.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr bei Naturkatastrophen ums Leben, ähnlich viele wie 2020. Die Überschwemmungen im Westen Deutschlands und in angrenzenden Regionen kosteten mehr als 220 Menschen das Leben.
Am meisten versicherte Schäden in den USA
Mehr Schaden richtete im vergangenen Jahr nur der Hurrikan "Ida" an, der Ende August über den Süden und Osten der USA hinwegzog und eine Schneise der Verwüstung hinterließ. Von den 65 Milliarden Dollar Gesamtschaden mussten die Versicherer 36 Milliarden zahlen.
In den USA ist ein weit größerer Teil der Häuser, Fabriken, aber auch öffentlicher Infrastruktur wie Straßen und Brücken gegen Naturereignisse versichert als etwa in Deutschland. Daher entfällt auf das Land mit 145 Milliarden Dollar gut die Hälfte des volkswirtschaftlichen Schadens, mit 85 Milliarden aber gut zwei Drittel der versicherten Schäden. noch ungleich härter getroffen wurden die USA, wo Tornados, Hurrikane und eine Kältewelle mit 145 Milliarden Dollar zu Buche schlugen.
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Milliardenschäden auf engstem Raum
"Bernd" kostet die Branche nach Berechnungen der Münchener Rück elf Milliarden Euro, davon 8,2 Milliarden in Deutschland. Das ist knapp ein Viertel des Gesamtschadens. Die Sturzfluten etwa an Ahr und Erft hatten im Juli ganze Dörfer überschwemmt. "Dass auf so engem Raum ein so großer Schaden entstehen konnte, hat viele überrascht", sagt Rauch. Das sei eine neue Dimension:
Der versicherte Schaden liege beim Vierfachen dessen, was die größten Überschwemmungs-Unwetter in Deutschland je angerichtet haben. "Das sind Erfahrungen, die für die Versicherungswirtschaft prägend sein werden", sagt der Klima-Experte.
Der Einfluss des Klimawandels sei nicht von der Hand zu weisen. Die warme Luft kann mehr Feuchtigkeit aus den Meeren aufnehmen, damit werden starke Niederschläge wahrscheinlicher. Und weil sich mit den Temperaturunterschieden auch Luftströme verändern, bleiben Hochs und Tiefs länger an einem Ort. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Welt das Ziel einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad verfehle, steige Monat für Monat, sagt Rauch.
Münchener Rück: Müssen uns an Klimawandel anpassen
"Es wird immer klarer, dass wir uns dem Klimawandel anpassen müssen" - auch mit Blick auf künftige Generationen. "Das geht vom Verbot, zerstörte Gebäude in Risikozonen wieder aufzubauen, bis zur Renaturierung von Flüssen."
Die Sicherheitspuffer bei Schutzmaßnahmen müssten größer werden. "Hochwasserschutz ist in Deutschland meist auf ein 100-jähriges Hochwasser ausgelegt." Die Niederlande erhöhten ihre Deiche bereits für Fluten, wie man sie bisher nur alle 10.000 Jahre erwartet habe, erklärt Rauch. Dass sich Schutzmaßnahmen lohnten, zeige der Hurrikan "Ida". Als er auf das amerikanische Festland traf, war er sogar stärker als 2005 der Wirbelsturm "Katrina", der New Orleans verwüstet hatte. Dennoch richtete "Ida" nur halb so große Schäden an wie "Katrina", weil die verstärkten Deiche rund um die Stadt hielten.
Tödliches Extremwetter
Dramatische Bilder der Folgen extremen Wetters dominierten die Berichterstattung der vergangenen Wochen. Ist die Klimakrise dafür verantwortlich?
Bild: AFP/Getty Images
Europa in Flammen
Während ein Teil Europas buchstäblich absäuft, steht andernorts alles in Flammen: Insbesondere in Griechenland, Italien und der Türkei wüten Großbrände. Der finanzielle Schaden ist bisher nicht absehbar, Tausende Menschen verloren ihr Heim.
Bild: ANGELOS TZORTZINIS/AFP
Hitzerekorde in Italien
Italien kämpft zudem mit Rekordtemperaturen, das italienische Gesundheitsministerium gab für viele Städte die höchste Hitze-Warnstufe aus. Auf Sizilien wurden am Mittwoch 48,8 Grad Celsius gemessen – ein neuer europäischer Hitzerekord. Die Hitze könnte weitere Brände nach sich ziehen.
Bild: Andrew Medichini/AP/picture alliance
Sturzfluten in Europa
Noch nie dagewesene Überschwemmungen durch zwei Tage Regen, wie er sonst in zwei Monaten fällt, haben in Deutschland und Belgien mindestens 262 Menschenleben gekostet. Flüsse in engen Tälern schwollen Mitte Juli zu reißenden Fluten an und zerstörten jahrhundertealte Dörfer. Der Wiederaufbau der zerstörten Häuser, Unternehmen und Infrastruktur wird laut Schätzungen Milliarden kosten.
Bild: Thomas Lohnes/Getty Images
Zum Feuer gesellt sich die Flut
Neben den Brandherden bekämpft man andernorts in der Türkei die Folgen der extremen Regenfälle vom Mittwoch. Wie in Deutschland und Belgien wurden auch hier Häuser und Brücken von den Fluten mitgerissen. Betroffen sind die am Schwarzen Meer gelegenen Provinzen Kastamonu, Bartin, Sinop und Samsun.
Bild: dpa/picture alliance
Extreme Regenzeit
Auch Teile Indiens und Chinas wurden von Rekordüberschwemmungen getroffen. Dämme und Abwasserkanäle wurden überflutet. Wissenschaftler sagen voraus, dass der Klimawandel zu häufigeren und heftigeren Regenfällen führen wird - wärmere Luft speichert mehr Wasser, was zu mehr Regen führt.
Bild: AFP/Getty Images
Hochwasser überschwemmt Zentralchina
Tagelange Regenfälle haben Ende Juli in der zentralchinesischen Provinz Henan zu verheerenden Überschwemmungen geführt. Zahlreiche Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende wurden vertrieben. In der Provinzhauptstadt Zhengzhou wurden Menschen in einer U-Bahn eingeschlossen, als diese von den Wassermassen überflutet wurde. Ländliche Gebiete sollen noch stärker betroffen sein.
Bild: Courtesy of Weibo user merakiZz/AFP
Weniger als ein Drittel des Brandes unter Kontrolle
In Kalifornien wütet derweil immer noch das Dixie Fire. Weniger als ein Drittel der Brandfläche konnte bislang unter Kontrolle gebracht werden. Aufgrund der extremen Trockenheit werden noch mehr Brände befürchtet.
Bild: DAVID SWANSON/REUTERS
Waldbrände entfachen Unwetter
Die Hitzewelle mag vorbei sein, aber die Trockenheit heizt die Waldbrandsaison weiter an. Das Bootleg-Fire in Oregon war so groß, dass es sein eigenes Unwetter erzeugt hat und den Rauch bis nach New York getragen hat. Einer kürzlich veröffentlichten Studie zufolge wären diese Wetterbedingungen ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel "praktisch unmöglich" gewesen.
Bild: National Wildfire Coordinating Group/Inciweb/ZUMA Wire/picture alliance
Steht der Amazonas vor einem "Kipppunkt"?
Im Süden leidet Zentralbrasilien unter der schlimmsten Dürre seit 100 Jahren. Damit steigt das Risiko von Bränden und weiterer Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes. Forscher berichteten kürzlich, dass ein großer Teil des südöstlichen Amazonasgebiets statt wie früher CO2 zu absorbieren durch die andauernde Zerstörung nun Treibhausgase ausstößt. Der "Kipppunkt" könnte bald erreicht sein.
Bild: Andre Penner/AP Photo/picture alliance
Am Rande des Verhungerns
In Madagaskar sind nach Jahren unerbittlicher Dürre mehr als 1,14 Millionen Menschen von einer Hungersnot bedroht. Einige sind gezwungen, rohe Kakteen, wilde Blätter und Heuschrecken zu essen. Da es keine Naturkatastrophen, Ernteausfälle oder politischen Konflikte zu verzeichnen gab, gilt die Hungersnot als die erste in der modernen Geschichte, die allein durch den Klimawandel verursacht wurde.
Bild: Laetitia Bezain/AP photo/picture alliance
Mehr Menschen auf der Flucht
Die Zahl der vor Konflikten und Naturkatastrophen Geflüchteter hat 2020 einen Zehnjahreshöchststand erreicht: 55 Millionen Menschen sind dabei in ihrem eigenen Land geflohen. Ein Bericht, der kürzlich von mehreren Organisationen veröffentlicht wurde, stellt fest, dass drei Viertel der Binnenflüchtlinge Opfer extremer Wetterbedingungen waren - diese Zahl wird wahrscheinlich noch steigen.