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Suche Ingenieur, biete Unsicherheit

Mathias Bölinger5. Februar 2014

Deutschland erleichtert die Zuwanderung für Hochqualifizierte. Doch der Ansturm bleibt aus. Ist Deutschland als Einwanderungsland überhaupt attraktiv?

Indische Studenten auf dem Weg nach Deutschland - Foto: Doreen Fiedler (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ratna Omidvar kommt leicht ins Schwärmen, wenn sie über Deutschland spricht: "Funktionierende Demokratie, aktive Bürgergesellschaft, zuverlässiges Gesundheitssystem, funktionierender Rechtsstaat ...", rattert sie herunter, bis sie bei der Landschaft mit ihren Bergen, Seen und Schlössern angekommen ist. "Sie können sehen, ich habe Sehnsucht", sagt die Kanadierin indischer Abstammung in fehlerfreiem Deutsch. Ratna Omidvar studierte in den achtziger Jahren in München. Sie wäre damals gerne geblieben, sagt sie. Doch nach dem Studium eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, war nicht vorgesehen. "Es gab damals keine Möglichkeit", sagt sie und klingt auch dreißig Jahre später noch ein wenig gekränkt.

"Die falschen Debatten"

Omidvar ist jetzt auf einem kurzen Besuch im Land ihrer Studienzeit. Sie arbeitet für die private Maytree-Stiftung in Toronto und spricht als Expertin für internationale Migration auf einer Konferenz in Berlin. Veranstalter ist das Netzwerk Integration durch Qualifikation (IQ). Es beschäftigt sich mit der Qualifikation von Migranten für den Arbeitsmarkt, doch ein Großteil der Diskussionen dreht sich um die Frage, wie Deutschland für gut ausgebildete Migranten attraktiver werden kann. "Wir haben in Deutschland über viele Jahre die falschen Debatten über Zuwanderung geführt", sagt Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles SPD. Statt sich auf die Gefahren der Zuwanderung, auf Konflikte, religiöse Extremisten oder den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen zu konzentrieren, müsse darüber gesprochen werden, "gesellschaftliche Teilhabe ganz konkret zu organisieren.

Das kommt gut an in einem Saal, in dem neben Wissenschaftlern und Mitarbeitern der Arbeitsämter vor allem Vertreter von Bildungseinrichtungen und Integrationsinitiativen sitzen. So gut, dass sich die Moderatorin der Veranstaltung, die irakischstämmige Fernsehmoderatorin Dunya Hayali, genötigt sieht, hinzuzufügen, dass es sie besonders freuen würde, "wenn Sie das, was sie hier gesagt haben, vielleicht auch umsetzen."

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles: "Viele Jahre die falschen Debatten"Bild: picture-alliance/dpa

Dabei ist in Deutschland viel passiert, seit Ratna Omidvar das Land, in dem sie gerne leben wollte, verlassen musste. Seit etwa 15 Jahren ändert sich die Einwanderungspolitik. Während für die traditionellen Einwanderergruppen mit niedriger Qualifikation die Hürden steigen, möchte Deutschland gut ausgebildete Immigranten anziehen. Selbst konservative Politiker wie die ehemalige Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, sprechen von einer "Willkommenskultur", die Deutschland brauche. Im Wettbewerb um Ingenieure und Informatiker würde Deutschland gerne in einer Liga mit den traditionellen Einwanderungsländern Kanada, USA, Neuseeland spielen.

Immer niedrigere Geburtenraten haben in Deutschland zu einem Fachkräftemangel geführt. Die Überalterung der Gesellschaft belastet die Sozialsysteme. Die Zuwanderung junger Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt verspricht da Entlastung. In den vergangenen Jahren wurden die Regeln für solche Migranten deshalb erleichtert.

Musste ein Unternehmen früher aufwendig nachweisen, dass es für einen Posten im Inland keine vergleichbaren Bewerber finden konnte, genügt heute ein überdurchschnittlich gut bezahlter Arbeitsvertrag, um eine Aufenthaltsgenehmigung für einen Mitarbeiter aus dem Nicht-EU-Ausland zu bekommen. Die Grenze liegt bei 44.000 Euro im Jahr. Das ist deutlich mehr als ein Durchschnittsgehalt in Deutschland. Auch wer in einem sogenannten Mangelberuf ausgebildet ist, etwa als Pflegekraft, kann damit rechnen, relativ einfach einwandern zu dürfen.

Kongress: Keine "Willkommenskultur" für Zuwanderer

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Früher sei sie als Deutsche auf internationalen Kongressen immer diejenige gewesen, die die anderen um ihre Möglichkeiten beneidete, beschreibt die Anwältin Bettina Offer diesen Wandel. Sie vertritt Unternehmen, die Mitarbeiter im Ausland rekrutieren wollen. "Heute kommen Kollegen aus anderen Ländern zu mir und sagen neidisch: 'Bei Euch ist so viel möglich'." Das liegt allerdings nur zum Teil an den rechtlichen Erleichterungen der vergangenen Jahre. Eine Rolle spielt auch, dass gerade traditionelle Einwanderungsländer wie Großbritannien ihre Gesetze drastisch verschärft und strenge Einwanderungsquoten eingeführt haben.

Steigende Zuwandererzahlen

Deutschland, ein Paradies für Einwanderer? Die Zuwanderungszahlen geben dem nur auf den ersten Blick recht. 400.000 Bürger sind im vergangenen Jahr nach Deutschland eingewandert. Das sind so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Allerdings stammt der Großteil von ihnen aus der EU, wo ohnehin die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Die Zielgruppe der hoch qualifizierten Nicht-EU-Einwanderer ist dagegen eher zurückhaltend.

"Deutschland wird als ein Land von Deutschen für Deutsche wahrgenommen", sagt Ratna Omidvar. Denn bei allen Einreise-Erleichterungen - der Weg zur dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung ist auch heute noch weit. Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen, dass nur ein kleiner Teil der Zuwanderer länger als fünf Jahre in Deutschland bleibt. Und von den ausländischen Studierenden in Deutschland bleibt gerade ein Viertel nach dem Studium im Land. Im Nachbarland Frankreich dagegen ist es mehr als die Hälfte.

Taxi in Toronto: "Jeder Taxifahrer hat mindestens einen Master-Abschluss"Bild: imago/imagebroker

Ratna Omidvar zog nach ihrem Studium nach Kanada weiter. Das ist das Land, das international als besonders erfolgreich bei der Anwerbung von Hochqualifizierten gilt. Anhand eines Punktesystems wird dort der Bildungsstand von Einwanderern bewertet. Wer genug Punkte hat, darf einreisen und bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung. Und wer einmal dort ist, bekommt leicht die Staatsbürgerschaft, denn er soll sich langfristig niederlassen. "In Kanada gilt das Versprechen: Kommt her, arbeitet hart, dann werden es eure Kinder schaffen", sagt Omidvar. So überzeugt klingt das, dass sie sich bei einer Nachfrage genötigt sieht, klarzustellen, dass sie keine Vertreterin der kanadischen Regierung sei.

Denn an dem kanadischen Punktemodell gibt es durchaus Kritik. Nach Kanada wanderten viel mehr hoch qualifizierte Migranten ein, als das Land brauche, sagt Omidvars Landsmann Doug Saunders, der als Autor und Journalist über Zuwanderung schreibt. Die Wirtschaft dagegen suche händeringend niedriger qualifizierte Arbeitskräfte, habe Schwierigkeiten, Hotelrezeptionen zu besetzen oder Arbeiter für den Rohstoffabbau zu finden. "Es gibt den Spruch, in Toronto habe jeder Taxifahrer mindestens einen Master-Abschluss", sagt Saunders. "Und meiner Erfahrung nach stimmt das."

Deshalb werden inzwischen ganz andere Modelle diskutiert. Schweden hat sich 2008 für eine äußerst radikale Reform entschieden. Der Staat hat den Anspruch aufgegeben, zu steuern, welche Arbeitnehmer ins Land kommen dürfen und welche nicht. Arbeitgeber können dort fast ohne Einschränkung ausländische Arbeitnehmer einstellen. Die Aufenthaltsgenehmigung ist dann nur noch Formsache.

Damit das nicht zu Lohndumping führe, müsse sichergestellt sein, dass für ausländische Arbeitnehmer die gleichen Rechte durchgesetzt werden wie für schwedische, sagt Samuel Engblom vom schwedischen Gewerkschaftsverband. Der Arbeitsmarkt sorge dann für die nötige Kontrolle. "Ausländische Arbeitskräfte haben nur eine Chance, wenn sie genauso produktiv sind wie Einheimische." Deshalb sei die Zuwanderung seit der Reform nur gering gestiegen, sagt er. Die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes würden aber viel effektiver bedient als vorher.

Ratna Omidvar glaubt, dass Deutschland für qualifizierte Einwanderer erst attraktiv wird, wenn es Einwanderern von vornherein langfristige Perspektiven biete - inklusive der Staatsbürgerschaft. "Deutschland muss einer harten Wahrheit ins Auge sehen", sagt sie. "Einwanderer haben die Wahl."

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