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Politik

Sudan: Euphorie und Ernüchterung

10. April 2020

Vor einem Jahr wurde Sudans Langzeit-Machthaber Omar al-Baschir gestürzt. Das Land bewegt sich langsam Richtung Demokratie, doch die Herausforderungen sind enorm. Die Corona-Pandemie kommt hinzu.

Sudan Demonstration in Khartum
Bild: picture-alliance/AP Photo

Vergangene Woche erhielt Sudans Ex-Machthaber Omar al-Baschir wieder unerfreuliche Post in sein Gefängnis. Absender war Said al-Yazal Muhammad Sarri, oberster Staatsanwalt des Landes. Der Jurist legte al-Baschir zur Last, mit seinem Putsch 1989 die Verfassung verletzt zu haben. Damit sieht der vor einem Jahr, am 11. April 2019, nach Massendemonstrationen durch das Militär zu Fall gebrachte Ex-Diktator weiteres juristisches Unheil auf sich zukommen. Einen Vorgeschmack hatte er bereits im Dezember erhalten, als er wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde.

Überdies hatte sich die nach dem Putsch gegen ihn von Militärs und Zivilisten gemeinsam gebildete Übergangsregierung im Februar bereit erklärt, den gestürzten Autokraten wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Darfur an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu überstellen.

Schon diese Entscheidung zur Auslieferung al-Baschirs zeige, wie sehr sich das einst international isolierte Land verändert habe, sagt Wibke Hansen vom Zentrum für internationale Friedenseinsätze in Berlin. "Der Sudan ist heute bereits ein anderer, als er es noch vor einem Jahr war", so Hansen, die zuletzt Khartum wie auch die Krisenregion Darfur besucht hat und insbesondere in der Hauptstadt viel Euphorie gespürt hatte. "Gerade in Khartum ist die Aufbruchsstimmung und Zuversicht, dass man mit der Verfassungserklärung vom vergangenen August und mit der Bildung einer zivilen Übergangsregierung einen nicht mehr umkehrbaren Weg beschritten hat, deutlich spürbar."

Erfolgsgeschichte einer Revolution

Die sudanesische Revolution verlief vergleichsweise zügig. Dies hat mehrere Gründe. So hatten zumindest ältere Sudanesen bereits in zwei vorhergehenden Umbrüchen, 1964 und 1985, Erfahrungen mit Aufständen gegen ungeliebte Regime gesammelt. Zudem standen längst nicht alle Vertreter der Sicherheitsapparate hinter al-Baschir. Und die Demonstranten, die das Militär mit ihren Massenprotesten geradezu zum Putsch gegen al-Baschir gezwungen hatten, konnten sich zusätzlich auf moralische Unterstützung nicht nur der EU, sondern auch der Afrikanischen Union (AU) berufen.

Einen Tag nach dem Putsch: Demonstranten und Soldaten feiern und fordern eine ZivilregierungBild: picture-alliance/dpa/A. Kheir

Als klar wurde, dass es unter al-Baschir wirtschaftlich nur noch weiter bergab gehen würde, entzogen ihm auch zahlreiche Geschäftsleute die Unterstützung. Unter al-Baschir war die Infrastruktur ohnehin weitgehend zerfallen: Landwirtschaft, Gesundheits- und Transportwesen, Bildungssektor - kaum etwas funktionierte mehr. Zudem hatte das Land 2011 seinen südlichen Teil verloren und mit ihm die dort befindlichen lukrativen Ölvorkommen. All dies führte dazu, dass der Aufstand, einmal in Gang gekommen, beinahe sämtliche Landesteile und weite Bevölkerungsschichten erfasste. Die ethnischen, sozialen und konfessionellen Grenzen, die al-Baschir zu seiner Machtsicherung stets geschickt auszuspielen gewusst hatte - im Aufstand gegen ihn spielten sie keine Rolle mehr. Die Menschen überwanden ihre Gegensätze und forderten eine zivile demokratische Regierung.

Ein echter Systemwechsel steht noch aus

Allerdings war die Entwicklung seitdem vor Rückschlägen nicht gefeit. Ein unvergessener Schock ist das Massaker vom 3. Juni 2019 in Khartum - mehr als hundert Demonstranten wurden damals an einem Tag in einem Protestlager erschossen, die Aufklärung ist bis heute nicht vollständig abgeschlossen. Erst Anfang März 2020 wurde auf den zum Lager der Zivilisten gehörenden Premierminister Abdalla Hamdok ein Attentat verübt. Hamdok blieb unverletzt und erklärte, der Angriff sei für ihn nun ein zusätzlicher Impuls, das Rad des Wandels im Sudan weiter voranzutreiben.

Das bedeutet allerdings auch, dass er einige nach dem Sturz al-Baschirs verbliebene Probleme dringend lösen muss. So muss er die Gespräche mit den ehemaligen Rebellengruppen weiter vorantreiben und sie an die Organe der neuen Staatsordnung - von der Regierung über den Staatsrat bis zum neu gegründeten Legislativrat - heranzuführen.

Rückschlag: Attentat auf Ministerpräsident Abdalla Hamdok im März 2020Bild: Reuters/M.N. Abdallah

"Ob ein echter Systemwandel gelingen kann, hängt außerdem auch von der fragilen Kräftebalance zwischen Zivilisten und Militärs ab, zwischen demokratischen Gruppen und Vertreten des alten militärisch-islamistischen Systems", sagt Sudan-Kennerin Hansen. Viele Sudanesen haben Sorge, dass die Armee in Wirklichkeit vor allem ihre politische Macht absichern will, anstatt den Weg zu einem zivilen Staat zu ebnen, in dem die Militärs sich auch selbst unterordnen müssten.

Außerdem hat die neue zivile Regierung bereits selbst die Beilegung der verbleibenden bewaffneten Konflikte im Sudan zu ihrer absoluten Priorität erklärt. Seit Oktober verhandelt sie im südsudanesischen Juba mit verschiedenen Rebellengruppen. "Ob sich hier Friedensschlüsse und eine anschließende Verbesserung von Sicherheit und Versorgung in Sudans Krisenprovinzen erzielen lassen - auch dies wird für das Gelingen der Transformation entscheidend sein", meint Hansen. Nur so könne die in Khartum deutlich spürbare Übergangsstimmung auch in den Provinzen wirklich ankommen. Hierzu gehöre auch, Perspektiven für Binnenvertriebene anzubieten. Allein in Darfur gelten 1,8 Millionen Menschen als Binnenvertriebene. Die meisten von ihnen leben in Camps.

Auch die wirtschaftliche Lage bleibt ernüchternd. Der Sudan gehört zu den zehn höchstverschuldeten Ländern der Welt. Die Verschuldungsquote liegt derzeit bei 122 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch die Inflation ist gewaltig - im Februar dieses Jahres lag sie bei über 71 Prozent. Für viele Menschen bedeutet dies einen unsicheren Zugang zu Nahrungsmitteln.

Nicht alle sind euphorisch: Baschir-Anhänger protestieren gegen seine Verurteilung wegen Korruption im Dezember 2019Bild: Getty Images/AFP/A. Shazly

Corona - die Krise in der Krise

Zusätzlich sieht sich der Sudan nun auch der Gefahr einer Corona-Pandemie gegenüber. Derzeit sind zwar "nur" 14 Infektionen und zwei Todesfälle gemeldet, doch die Dunkelziffer ist völlig unbekannt, die Anzahl der Fälle könnte rasch steigen. Bei einem großflächigen Ausbruch könnte das verarmte Land schnell an seine Grenzen stoßen. Die COVID-19-Pandemie sei ein erheblicher Risikofaktor, meint Wibke Hansen, "und zwar für die Menschen, für die Vorhaben der neuen Regierung und für die demokratische Entwicklung im Sudan". Allein schon ein Ausbruch von COVID-19 in einem der größeren Camps in Darfur "wäre ein Schock für das System, der selbst in stabileren Zeiten schwer zu absorbieren wäre", konstatiert die Expertin. Im schlimmsten Falle, sagen Beobachter, könnten sich auch im Sudan Tragödien mit vielen Corona-Opfern abspielen.

Die dringend benötigten Überweisungen von Hunderttausenden sudanesischer Gastarbeiter aus der Golfregion drohen schon jetzt zurückzugehen. Es sei leider "nicht klar", ob der Sudan in dieser schwierigen Lage auf finanzielle Unterstützung aus westlichen Ländern hoffen könne, so Hansen. Diese könnten in der Corona-Krise geneigt sein, zunächst ihre eigenen Wirtschaftskrisen zu lösen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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