1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Sudan: Protest für eine zivile Gesellschaft

28. Mai 2019

Die Protestbewegung im Sudan hat zum landesweiten Streik aufgerufen. Damit wollen ihre Mitglieder Druck auf das Militär ausüben. Dessen Führung soll den allmählichen Wechsel hin zu einer zivilen Regierung einleiten.

Sudan | Streik
Bild: Getty Images/AFP/A. Shazly

Seit rund sechs Wochen ist der ehemalige Staatspräsident Omar al-Baschir nicht mehr im Amt. Jetzt scheint es, als hätte er nur den Weg frei gemacht für die eigentliche Auseinandersetzung im Sudan. Zivilgesellschaft und Militär stehen sich gegenüber und verhandeln um die politische Zukunft des Landes, insbesondere die Besetzung des Staatsrats. Der soll im Laufe einer dreijährigen Übergangsphase den derzeit amtierenden Militärrat ersetzen und dem Land letztlich eine zivile Regierung verschaffen.

Um ihr Ziel durchzusetzen, hat die Protestbewegung einen zweitägigen Generalstreik ausgerufen. Er soll den Militärs verdeutlichen, welche Macht die Bevölkerung hat. Zumindest in Khartoum sei der allergrößte Teil der Bevölkerung dem Aufruf gefolgt, sagt Philipp Jahn, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in der sudanesischen Hauptstadt. "Überall am Straßenrand stehen Vertreter öffentlicher und privater Institutionen - von Banken, Energieunternehmen, Staatseinrichtungen - und zeigen ihre Solidarität mit der Idee des Generalstreiks. Auch die Angestellten am Flughafen streiken, der Flugbetrieb ist weitestgehend zum Erliegen gekommen. Der Streik entwickelt eine sehr hohe Mobilisierungskraft. Die Bevölkerung unterstützt die Forderung der Opposition nach einer zivilen Regierung", so Jahn im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Entschlossen: Demonstranten in Khartoum, 22. Mai 2019 Bild: Reuters/M. Nureldin Abdallah

Ziviler Ungehorsam

Der Streik sei ein Warnzeichen, sagt Sharaf al-Din Ahmed Adam, einer der führenden Aktivisten der Bewegung. "Es ist ein Akt des zivilen Ungehorsams, mit dem wir zeigen wollen, dass wir es mit unseren Forderungen ernst meinen", sagt er im DW-Interview. Der Druck sei angesichts der Geschichte des Landes nötig. "Wir haben im Sudan eine lange Erfahrung mit der Militärherrschaft. Es war eine bittere Zeit. Die Militärs hatten dem Land nichts anzubieten. So kam es zur Revolution, die wir nun zu Ende führen wollen."

Allerdings ist die  Protestbewegung in ihren Zielen nicht durchgehend einig. Die gemäßigt islamische "Nationale Umma-Partei" hat sich mit dem Militär verbunden: Sie fürchtet die weitgehende Säkularisierung des Landes und das Ende der Scharia, des islamischen Rechtssystems.

Dass es dazu kommen könnte, hält Ahmed Adam allerdings für wenig wahrscheinlich. Die meisten seiner Landsleute seien konservativ und traditionsbewusst, sagt er. Es käme ihnen gar nicht in den Sinn, die religiöse Ordnung hinter sich zu lassen. "Den Leuten geht es um ganz andere Dinge, nämlich um einen angemessenen Lebensstandard - um Brot, Wasser, Arbeit."

Interessen des Auslands

Diese Ziele wollen die Sudanesen nun aber nicht mehr über den Umweg einer Militärregierung erreichen. "Darum ist die Auseinandersetzung um die Besetzung des Staatsrats so bedeutend", sagt Philipp Jahn. Die Demonstranten fordern, dass er zu zwei Dritteln durch Zivilisten besetzt wird. Das aber lehnen die Militärs bislang ab. Dabei spielen persönliche Motive - der Zugang zu den Ressourcen des Landes - eine Rolle, ebenso aber auch politischer Druck. "Man kann davon ausgehen, dass das Militär einigem Druck aus Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgesetzt ist. Teile der obersten militärischen Führung sind in den letzten Tagen in die Hauptstädte ihrer wichtigsten Partnerländer - Saudi-Arabien , die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten - gereist. Das lässt darauf schließen, dass man auch dort einige Erwartungen an den Militärrat hat."

Genau dies sei der Grund, warum die Sudanesen weiterhin demonstrierten, sagt der sudanesische Analyst und Journalist Mohammed Asbat. Die Sudanesen hätten aus ihrer eigenen Geschichte wie auch aus den arabischen Revolutionen der letzten Jahre gelernt. "Nachdem sie Omar al-Baschir zum Rücktritt gezwungen haben, sind sie weiter auf der Straße geblieben - sie wollten sich die Revolution nicht stehlen lassen, wie sie zum Beispiel in Ägypten beobachtet haben", so Asbat gegenüber der DW. 

Alte Bekannte: der ägyptische Präsident al-Sisi und der damalige sudanesische Präsident al-Baschir (Juni 2015)Bild: Reuters/The Egyptian Presidency

Die Regierungen Ägyptens, Saudi-Arabiens und der VAE zählen zu den schärfsten Widersachern jener Protestbewegungen, die insbesondere seit dem Jahr 2011 für eine liberalere Ordnung eintreten. Insbesondere sind alle drei Regierungen die Muslimbrüder verhasst, die für einen politischen Islam stehen und sich darin von konservativen Theologen unterscheiden - allen voran von den in Saudi-Arabien höchst einflussreichen Wahhabiten, die die Herrschaft der Königsfamilie al-Saudi legitimieren und dadurch stabilisieren sollen.

Gewaltexzesse unwahrscheinlich

Eben darum seien die Demonstranten im Sudan sehr darauf bedacht, den Einfluss dieser Regierungen möglichst zu blocken, zumindest aber so gering wie möglich zu halten, sagt der Aktivist Ahmed Adam. "Wir fordern die Regierungen dieser Länder auf, sich nicht in die inneren Angelegenheit des Sudan einzumischen", so Adam im DW-Interview. Außerdem forderten sie den Rückzug sudanesischer Streitkräfte aus dem Jemen. Dort kämpfen sie unter Führung Saudi-Arabiens gegen die mit dem Iran verbundenen Huthis. Die Präsenz sudanesischer Kämpfer im Jemen ist in dem Land am Horn von Afrika höchst umstritten. Viele Sudanesen halten dieses Engagement nicht für legitim.

Es geht in diesen Wochen um sehr viel im Sudan. Trotzdem sei er überzeugt, dass das Ringen um die Zukunft weiterhin mit friedlichen Mitteln ausgetragen würde, sagt Philipp Jahn von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Anwendung von Gewalt im größeren Stil sei höchst unwahrscheinlich, so Jahn. Damit hätten die Sudanesen leidvolle Erfahrungen gemacht. "Und die will niemand wiederholen."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika