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Anruf vom Whistleblower Assange

Sabine Oelze29. Mai 2015

Für viele Menschen sind sie die wahren Helden unserer Zeit, für andere sind sie Verräter: die Whistleblower. Nun versucht ein Theaterstück, über die Gefahren der Überwachung aufzuklären.

Supernerds- Schauspieler auf der Bühne Foto David Baltzer
Bild: David Baltzer

Julian Assange ist blass, sehr blass. Kein Wunder, mehr als viereinhalb Jahre hat er kein Sonnenlicht mehr gesehen. Auf 25 Quadratmetern lebt der Gründer der Whistleblower-Plattform WikiLeaks in der Ecuadorianischen Botschaft in London. Dort sitzt er unfreiwillig im Exil. Theaterregisseurin Angela Richter hat ihn dort getroffen und stundenlang interviewt. Seine Geschichte dient als roter Faden für das Theaterstück "Supernerds. Ein Überwachungsabend", das am Donnerstagabend im Kölner #link:http://www.schauspielkoeln.de/spielplan/monatsuebersicht/supernerds:Schauspielhaus# Premiere feierte. Es erzählt crossmedial - auf der Bühne, im Netz und im Fernsehen - die Geschichten von Assange und neun weiteren Whistleblowern. Und es erzählt von den Auswirkungen von 9/11, dem Tag, an dem es losging mit "Big Data", der Massendatenspeicherung.

Hacker, Aktivisten und Einzelkämpfer

Schauspieler agieren auf der Bühne, schlüpfen in die Rollen von Julian Assange, Edward Snowden, Daniel Ellsberg oder Jeremy Hammond. Sie alle haben viel riskiert, um die demokratischen Grundrechte zu retten. Wie ein Gespenst erscheint Julian Assange als Projektion auf einer Leinwand im Kölner Schauspielhaus und gibt ein Interview. Die Journalistin Bettina Böttinger, die zeitgleich zum Theaterabend eine Fernsehsendung zu den Risiken der Überwachung moderiert, fragt ihn, wie es ihm geht. Er wäre gerne in Deutschland, sagt er.

Das Kölner Theaterstück versucht, interaktiv zu sein. Vor der Sendung haben die Zuschauer Name, Mobilfunknummer und Adresse preisgegeben. Eine Woche lang erhielten sie irritierende Anrufe und E-Mails. Oder sie wurden selber zu Ausspähern, wenn private Informationen fremder Personen auf ihrem Handy landeten. Auch während des Theaterstücks mussten die Mobiltelefone eingeschaltet bleiben. Man will zeigen: Jedes Iphone ist ein "Spy-Phone", das sich mühelos anzapfen lässt und zur Wanze mutiert.

Julian Assange wurde per Bildschirm zugeschaltetBild: Getty Images

Aufgedeckte Lügen der US-Regierung

Fast zwei Stunden lang sprechen Schauspieler auf der Bühne Interviewprotokolle nach. Vom Whistleblower Thomas Drake erfährt der Zuschauer, dass die US-Regierung die Öffentlichkeit belogen hat. Drake war mal Mitarbeiter der NSA. Als eine neue Abhörsoftware eingeführt werden sollte, wandte er sich an die Medien. Denn "Trailblazer" verletzte die Verfassung, weil es private Daten ungeschützt preisgab. Drake hatte Glück, er erhielt nur eine geringe Strafe. Auch Daniel Elsbergs Geschichte wird erzählt: Der US-Amerikaner veröffentlichte 1971 die Pentagon-Papiere mit unbekannten Fakten über den Vietnam-Krieg. Auch hier belog die US-Regierung die Weltöffentlichkeit. Damit brachte er Präsident Nixon zu Fall.

So nah wie möglich an der Realität

Dass die Daten aller Nutzer von Telefonen und Internet gesammelt werden, ist nicht neu. Doch das scheint den meisten Menschen nicht wichtig zu sein - vielleicht, weil Überwachung ein abstraktes Phänomen bleibt.

Interaktiv und beklemmend: Überwachung allerortenBild: David Baltzer

Während der Vorführung klingelt mehrmals das Telefon. Die "Supernerds"-Macher wollen damit demonstrieren, wie leicht sie Daten hacken können. Einmal ruft sogar Julian Assange aus Großbritannien an, um eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen. "The confidential is not for the public", sagt er: Vertrauliches ist nichts für die Öffentlichkeit.

Im Fernsehprogramm des Westdeutschen Rundfunks und im Hörfunk können sich die Zuschauer einmischen. Eine Person im Publikum soll digital ausgezogen werden. Wohnort, Kreditwürdigkeit, Kaufkraft – all das kriegen Ausspäher schnell heraus.

Kampf gegen die digitale Naivität

Schon einmal hat Regisseurin Angela Richter ihre Recherchen zu den Whistleblowern zu einem Theaterstück verarbeitet. Vor zwei Jahren hatte "Assasinate Assange" Premiere in Hamburg. "Wenn es so weitergeht, dann werden wir in einer globalen, postmodernen Version von Nordkorea leben", sagt Assange in Köln. Sein Schicksal ist seit langer Zeit bekannt, doch geändert hat sich dadurch nichts.

Im Gegenteil: Gerade erst ist in Deutschland das Vorratsdatenspeichergesetz durchgesetzt worden. "Die Bösewichte, die echten Terroristen, können durch Überwachung nicht abgewehrt werden", prophezeit Julian Assange düster. So wenig das Ausspähen vor neuen Anschlägen schützen kann, umso mehr bedroht es die Grundfeste der Demokratie: die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Meinungsäußerung.

Analog trifft digital

Das Experiment, die digitale Bedrohung im Theaterraum sinnlich erfahrbar zu machen, glückt allerdings nur manchmal. Im Theater zählt der reale Kontakt. Wenn Schauspieler versuchen, Überwachung und Verfolgung von Whistleblowern nachzuspielen, dann schafft das vor allem Distanz. Die Versuche, das Publikum durch Interaktion wie "embedded" einzubeziehen, erinnern an ein Spiel ohne Grenzen: Bedrohung wird nur vorgetäuscht. Telefone klingeln zu lassen, reicht nicht, um ein Gefühl der Angst zu schüren. Wenngleich einige Premierengäste durchaus mit mulmigen Gefühlen das Theater betraten, nachdem sie tagelang mit E-Mails fremder Absender bombardiert wurden.

Die Schauspieler schlüpften in die Rollen von WhistleblowernBild: David Baltzer


Wichtige Fragen bleiben offen: Warum möchten wir Technologien nutzen, die anti-demokratisch sind? Wann und wie lassen sich die Computer kontrollieren? Das Theaterstück "Supernerds" ist ein wichtiger Versuch, die Menschen wachzurütteln. Antworten kann es nicht geben. Vielleicht ist die Kunst dafür nicht der richtige Ort.