Susan Sontag und das Amerika unter Trump
9. April 2025
Sie wäre vermutlich eine Hassfigur für den amtierenden US-Präsidenten Donald Trump. Als Susan Sontag 2004 verstarb, war sie eine prominente Schriftstellerin. Die Kulturwelt in den USA wie in Europa schätzte sie für ihre scharfsinnige Gesellschaftskritik. Sie mischte sich in politische Debatten ein, viele ihrer Gedanken sind aktueller denn je. "Zweifellos hätte Sontag eine gewichtige Stimme", sagt der Kulturhistoriker Bernd Hüppauf, der lange an der New York University forschte. "Aber würde sich Trump davon beeindrucken lassen? Wohl kaum."
In Deutschland beschäftigen sich aktuell zwei Ausstellungen mit der Gedankenwelt der US-Intellektuellen: "Sehen und gesehen werden" in der Bundeskunsthalle in Bonn (bis 28. September) und "Everything matters" ab 23. Mai im Literaturhaus München (bis 30.11.2025). An beiden hat die Susan Sontag-Biographin Anna-Lisa Dieter mitgewirkt. "Viele Menschen fragen sich oft, was würde Susan Sontag zu unserer Gegenwart sagen", so Dieter im DW-Gespräch, "und ich glaube, sie hätte ganz viel zu sagen gehabt."
Susan Sontags europäische Sicht auf die USA
Susan Sontags lebte Kultur. Wie nur wenige Intellektuelle beschäftigte sie sich umfassend mit Film, Theater, Literatur, Medien und politischen Fragen. In vielen Sparten publizierte sie Aufsätze, Essays, Bücher und Filme. Sie war Kulturkritikerin und Regisseurin, eine Allrounderin, die jeweils klar Position bezog. Sontag entstammte einer jüdischen Familie in New York City. Sie studierte Literatur, Philosophie und Theologie an namhaften US-Universitäten und lebte einige Jahre in Paris, was ihr eine europäische Sicht auf ihre US-Heimat bescherte. Intellektuelle Brillanz, ihr Gespür für den Zeitgeist und ein unstillbarer Hunger nach Kultur, Reisen und Begegnungen - all das ließ sie als Denkerin und Autorin zur Ikone werden, diesseits wie jenseits des Atlantiks.
Die Präsidentschaften von Donald Trump erlebte Sontag nicht mehr. Dass sie heute zu seinen schärfsten Kritikerinnen zählen würde, liegt jedoch nahe.
Gegen Trumps Kettensägen-Politik
Es mag spekulativ klingen, aber die "Kettensägen"-Politik Trumps (den Begriff prägte der Trump-Berater und Tesla-Chef Elon Musk, Anm.d.Red.) dürfte Susan Sontag nicht gefallen haben. Zweieinhalb Monate nach seinem neuerlichen Amtsantritt hat Trump einen Feldzug gegen die Wissenschaft begonnen: Er streicht staatliche Forschungsgelder und entlässt Tausende Bundesangestellte im Wissenschaftsbereich. Erste Forschende verlassen jetzt das Land, darunter die namhaften Historiker Timothy Snyder, Marci Shore und Jason Stanley, die nach Kanada gehen.
Sontags Missfallen erregt hätten wohl auch Trumps Dekrete gegen Forschung in den Bereichen Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion (DEI) oder die Maßnahmen der Trump-Regierung gegen Einwanderung - nicht zu vergessen Trumps Versuch, Universitäten durch den Entzug staatlicher Gelder auf Linie zu zwingen. Hüppauf glaubt allerdings nicht, dass Susan Sontag konkret dazu öffentlich Stellung genommen hätte. "Einen Essay von ihr über die neuen Autokraten der Welt im 'New Yorker' kann ich mir vorstellen", so Hüppauf zur Deutschen Welle, "aber keinen Protest gegen Trump".
Eine öffentliche moralische Instanz
"Intellektuelle mit öffentlicher Wirkung", so konstatierte der Kulturhistoriker Hüppauf schon zu Beginn von Trumps erster Amtszeit 2016 in einem Zeitungsbeitrag, "gibt es in den Vereinigten Staaten nicht". Selbst solche wie Susan Sontag, Noam Chomsky oder Hannah Arendt, hätten keine gesellschaftliche Relevanz gehabt und ihr Ruf nicht den Experten-Status überwunden. "Der Triumph des Donald Trump geht nicht auf das Scheitern der Intellektuellen zurück, sondern ist das Symptom des Scheiterns der Demokratie", so Hüppauf.
Ganz anders sieht das Susan-Sontag-Biographin Anna-Lisa Dieter: "Sie war eine öffentliche moralische Instanz", so Dieter im DW-Gespräch. Als solche hätte Sontag, die sich kulturpolitisch engagierte und von 1987 bis 1989 Präsidentin des PEN Amerika war, womöglich auch daran Anstoß genommen - den Attacken Trumps auf US-Museen, die Ausstellungen etwa über Rassismus, Kolonialismus und Sexismus zeigen. Diese hätten die bisexuell lebende Intellektuelle, die sich mit afroamerikanischen Freunden umgab, ganz persönlich getroffen.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin kritisierte die Ankündigung Trumps scharf. Der US-Präsident kämpfe einen "antiintellektuellen Kampf, der auf alles zielt, was den Menschen frei macht" und wolle so die Vermittlung konservativer amerikanischer Werte durchsetzen. Diese Kritik hätte auch von Susan Sontag stammen können.
Vermittlerin zwischen Amerika und Europa
Susan Sontag verstand sich als Grenzgängerin zwischen Europa und den USA. "Sie hat sich immer wieder politisch eingemischt", sagt Kristina Jaspers, Kuratorin der aktuellen Ausstellung über Susan Sontag in der Bundeskunsthalle in Bonn. Gelegentlich brach Sontag dabei mit den Erwartungen ihres Publikums, so auch 2003 - das Jahr, in dem US-Truppen im Irak einmarschierten. Susan Sontag erhielt in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, als "Vermittlerin zwischen Europa und den Vereinigten Staaten". Erwartet wurde, dass sie in ihrer Dankesrede die US-Regierung scharf kritisieren würde. US-Botschafter Dan Coats, ein Republikaner, war der Zeremonie daher demonstrativ ferngeblieben. Sontag aber legte den Fokus ihrer Rede auf das transatlantische Verhältnis und appellierte an ihre Schriftstellerkolleginnen und -kollegen, ihr Augenmerk auf die Welt zu richten.
Immer wieder jedoch kritisierte sie ihr eigenes Land. Sontag protestierte gegen den Vietnamkrieg, nahm an Demonstrationen und Happenings teil. Sie reiste, sie schrieb, sie drehte. Von ihr gibt es einen Dokumentarfilm über den Jom-Kippur-Krieg. Sontag überwand zwei Krebserkrankungen, die sie auch essayistisch verarbeitete und ordnete die Immunschwächekrankheit Aids, an der Menschen in ihrem Umfeld starben, gesellschaftspolitisch ein. Während des Bosnien-Krieges fuhr sie in das von serbischen Milizen belagerte Sarajewo. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wetterte sie, im Widerspruch zur herrschenden Meinung in der US-Politik und in den US-Medien, gegen den vom damaligen US-Präsident Georg W. Bush ausgerufenen "Krieg gegen den Terror".
Man kann sich ausmalen, was sie zu Donald Trumps Populismus gesagt hätte. "Meiner Ansicht nach verdient nur eine kritische, dialektische, skeptische, jeder Vereinfachung entgegenwirkende Intelligenz, verteidigt zu werden", schrieb sie Anfang der 1970er-Jahre in einem Essayband. Und über die Wirkung von Bildern notierte sie, lange vor dem Aufkommen von Instagram, TikTok, Truth Social und Co.: "Heute existiert alles, um fotografiert zu werden." Bei bestimmten Themen sei sie "geradezu prophetisch" gewesen, sagt Sontag-Biographin Anna-Lisa Dieter, "in jedem Fall aber war sie das moralische Gewissen, was uns gerade jetzt fehlt."