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Politik

"Eine Frau kann Präsidentin von Belarus werden"

Ekaterina Venkina
8. März 2021

Die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaj spricht im exklusiven DW-Interview über die Widerstandskraft der Belarussinnen und die Aussichten für eine weibliche Präsidentschaft.

Swetlana Tichanowskaja
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Kulbis

Swetlana Tichanowskaja, 38 Jahre alt, Hausfrau, noch vor einem Jahr in der Öffentlichkeit völlig unbekannt, ist zu dem Gesicht der Protestbewegung in Belarus geworden. Nach der Verhaftung ihres Mannes, des Video-Bloggers Sergej Tichanowskij, ermutigte sie ihre Mitbürger zum Widerstand gegen das autoritäre Regime von Alexander Lukaschenko und wurde sogar für den diesjährigen Friedensnobelpreis nominiert. 

"Es war ein Impuls des Herzens, gegen Gewalt auf die Straße zu gehen. Es war wie ein Instinkt", sagt sie in einem exklusiven Interview mit der DW zum Internationalen Frauentag. "Als wir sahen, wie viele wir waren, fingen wir an, stolz auf uns zu sein. Die innere Stärke begann zu erwachen." 

Sie wisse nicht, wer bei "neuen, fairen Wahlen" zum nächsten Präsidenten von Belarus gewählt werde, sagt Tichanowskaja. "Aber alle belarussischen Frauen, die auf die Straße gegangen sind, haben eine solche Widerstandskraft, eine solche Charakterstärke gezeigt, dass die Belarussen selbst sicher nicht daran zweifeln werden, dass eine Frau die künftige Präsidentin der Republik Belarus werden kann."

Proteste in Minsk machen auf das Schicksal inhaftierter belarussischer Frauen aufmerksamBild: picture-alliance/AP

Seit August 2020 lebt Swetlana Tichanowskaja im Exil in Litauen, von wo aus sie weiterhin für die Demokratie in ihrer Heimat kämpft. Anfang März setzten die Behörden in Belarus sie auf eine Fahndungsliste wegen angeblicher "Vorbereitung von Unruhen". Mit Stand 23. Februar gab es in Belarus 250 politische Gefangene, darunter 33 Frauen. Unter ihnen waren Menschenrechtsaktivistinnen, Musikerinnen, Professorinnen, Studentinnen und Journalistinnen.

Lukaschenko: Präsidentenamt ist nichts für eine Frau

Kurz bevor Swetlana Tichanowskaja bei den Präsidentschaftswahlen 2020 kandidierte, hatte Machthaber Alexander Lukaschenko gesagt, dass das Präsidentenamt nichts für eine Frau sei: "Die Arme" würde "unter der Last zusammenbrechen". Außerdem trat er dafür ein, in der Verfassung solle als Voraussetzung für das Präsidentenamt ein geleisteter Armeedienst verankert werden.

Rückendeckung bekommt Präsident Alexander Lukaschenko (r.) immer wieder vom russischen Präsidenten Wladimir PutinBild: Alexei Druzhinin/Sputnik/dpa/picture alliance

Die Proteste gegen die Präsidentschaftswahl, deren Ergebnis zugunsten von Lukaschenko weithin als gefälscht gilt, hätten die Aussichten für eine weibliche Präsidentschaft in Belarus und die belarussischen Frauen verändert, so Tichanowskaja.

Vor den Protesten hätten sich nur wenige Menschen in Belarus Gedanken über die Ungleichbehandlung der Geschlechter bei der Besetzung von offiziellen Posten gemacht, sagt Tichanowskaja. Doch nun habe sich vieles geändert. Vielleicht werde eine Frau zur Präsidentin gewählt. "Denn Frauen haben gezeigt, dass sie genauso stark sind wie Männer, manchmal sogar stärker." 

Sie selbst habe im Moment keine Pläne, noch einmal zu kandidieren. Sie wolle einfach den Weg für ein Belarus ohne Lukaschenko ebnen. Allerdings könne sich die Situation ändern. "Wenn ich weiß, dass alle Belarussen hinter mir stehen, kann ich diese Verantwortung (auch) künftig übernehmen."

"Merkel war äußerst freundlich"

Tichanowskaja sprach auch über ihren Besuch in Deutschland im Oktober 2020, bei dem sie Angela Merkel traf. Sie finde die deutsche Kanzlerin "äußerst freundlich". "Ich sah, dass sie sich tatsächlich um unsere Probleme kümmert", sagt Tichanowskaja.

"Es war offensichtlich, dass sie Empathie hatte, dass sie unseren Schmerz verstand, dass sie uns wirklich helfen wollte." Bei dem etwa 30-minütigen Treffen sei es um eine mögliche Vermittlung Deutschlands zwischen Demonstranten und Behörden in Belarus gegangen.

Über den Eindruck, den Merkel als Frau in der Politik und als erste deutsche Bundeskanzlerin auf sie gemacht hat, sagt die Oppositionelle: "Sie ist so einfach, überhaupt nicht arrogant." Sie widerspreche keineswegs dem Bild einer starken Frau, aber das sei keine arrogante Stärke, sondern eine innere Kraft, so Tichanowskaja.

Im Oktober traf Swetlana Tichanowskaja Bundeskanzlerin Angela Merkel in BerlinBild: Jesco Denzel/Bundespresseamt/dpa/picture alliance

Tichanowskaja: "Ich bin keine Feministin"

Obwohl das Gesicht des Protests in Belarus derzeit weiblich ist, sieht sich Swetlana Tichanowskaja nicht als Feministin. Sie trete dem belarussischen Regime "trotz ihrer Angst" entgegen, so wie jeder andere in diesem Land. Sie fürchte sich davor, im Gefängnis zu landen, davor, was mit ihren Kindern passieren könnte.Es ist für niemanden einfach, sagt sie. An der Seite ihres Mannes möchte sie auch einmal ihre Schwäche zeigen können: "Ich mag es, dass er stark ist, und ich würde ihm gern die ganze Last aufbürden."

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