Um jüdisches Leben sichtbar zu machen und Vorurteile abzubauen, rollt ab sofort eine mobile Synagoge quer durch Deutschland. Das "Mizwa Mobil" soll auch Raum für Gebete und Gottesdienste bieten.
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Ein zur Synagoge umgebauter Lieferwagen, der durch Deutschland tourt: Das ist die Idee hinter dem "Mizwa Mobil". Die deutschlandweit erste Synagoge ihrer Art nahm am Sonntag von Berlin aus Fahrt auf. In den kommenden Monaten soll sie quer durch das Land rollen und jüdische Kultur zugänglich zu machen.
Projekt will Berührungsängste abbauen
Initiiert wurde das Projekt von der Jüdischen Gemeinde Chabad Lubawitsch in Berlin. "Das Mobil hat eine doppelte Funktion", so Rabbiner Yehuda Teichtal, Gründer und Vorsitzender der Gemeinde, gegenüber der DW. Zum einen solle das Gefährt die Möglichkeit bieten, sich über jüdisches Leben und Traditionen zu informieren und einen gegenseitigen Austausch zu fördern.
"Viele Menschen trauen sich nicht, in jüdische Gemeindezentren zu gehen", so Teichtal. Diesen Menschen wolle man mit einem niedrigschwelligen Angebot entgegenkommen und so Berührungsängste abbauen. Vor Ort können Interessierte Fragen stellen, Videopräsentationen anschauen und Broschüren zu den verschiedensten Themen mitnehmen.
Seit einigen Jahren werde viel über den wachsenden Antisemitismus berichtet, so Teichtal. "Wir möchten abseits dieses Narrativs über das Judentum sprechen. Unser Ziel ist, dass Vorurteile abgebaut werden und es mehr Wissen und Toleranz gibt", sagt Teichtal. Seit gut 26 Jahren lebt der gebürtige New Yorker in Berlin. Die jüdische Bewegung Chabad Lubawitsch ist nach Angaben von Teichtal nicht einfach eine orthodoxe Gruppierung im Judentum. "Wir sind orthodox und offen", betont Teichtal und erklärt: "Wir respektieren alle Menschen."
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Jüdische Praxis erleben
Gleichzeitig zur Bildungsinitiative soll das "Mizwa Mobil" als Synagoge dienen, mit Raum für Gebete und jüdische Gottesdienste. Man wolle Juden überall in Deutschland ermöglichen, jüdische Praxis zu erleben, so Teichtal.
Dazu gehören die jüdischen Feste wie das Purim-Fest, das am Montag (06.03.) begonnen hat. "Anlässlich des Purim-Festes werden wir Pakete an geflüchtete Menschen verteilen, es wird ein Clown da sein, es wird Stimmung gemacht werden."
Von Jom Kippur bis Rosch Ha-Schana: Jüdische Feiertage
Am 25. September 2023 feiern Juden auf der ganzen Welt "Jom Kippur". Es ist der höchste jüdische Feiertag. Wie die Juden diesen und andere heilige Tage begehen, verrät unsere Bildergalerie.
Bild: David Silverman/Getty Images
Jom Kippur: der Versöhnungstag
Zehn Tage lang bereuen die Juden ihre Missetaten. Bei der Kaparot-Zeremonie sollen ihre Sünden in ein Huhn fahren (Foto). Am zehnten Tag wird der wichtigste Feiertag, Jom Kippur, als strenger Fastentag begangen. Nicht nur essen und trinken, auch Körperpflege ist untersagt. An diesem Tag fällt Adonai - jüdisch für Gott - sein Urteil über die Menschen. Gläubige beten den ganzen Tag in der Synagoge.
Bild: Menahem Kahana/AFP/Getty Images
Rosch Ha-Schana: das jüdische Neujahrsfest
Bei dem zweitägigen Fest im September sollen sich die Menschen vom Bösen abwenden und Gutes tun, denn an Rosch Ha-Schana (Anfang des Jahres) müssen sie Gott Rechenschaft ablegen. Der Klang des Schofars, eine Posaune aus Widderhorn, mahnt die Gläubigen zur inneren Einkehr - wie vor 2000 Jahren. Im Judentum darf Gottes Name nicht benutzt werden, man spricht ehrfürchtig vom Allmächtigen oder "G'tt".
Bild: Abir Sultan/epa/dpa/picture alliance
Pessach: Fest der ungesäuerten Brote
An Pessach wird des Auszugs der Juden aus Ägypten gedacht. Orthodoxe Gläubige pilgern dann zur Klagemauer in Jerusalem. Beim achttägigen Pessach-Fest wird nichts Gesäuertes gegessen, die Vorfahren hatten auf der Flucht nur ungesäuertes Brot dabei. Die Familie trifft sich zum Festmahl, ein Brauch auch unter säkularen Juden. Orthodoxe reinigen alle Küchengeräte, damit das Essen koscher bleibt.
Bild: Uriel Sinai/Getty Images
Schawuot: Fest der Erstlinge
Laut Überlieferung verkündete Gott dem jüdischen Volk am Berg Sinai die zehn Gebote, und daher gilt Schawuot als Tag der "Tora-Gebung". Außerdem ist er das "Fest der Erstlinge", an dem in Israel das erste Getreide reif ist und auch einige Früchte geerntet werden können. In biblischen Zeiten wurden an diesem Tag im Jerusalemer Tempel zwei Weizenbrote aus dem Mehl der neuen Ernte geopfert.
Die Wochen zwischen Pessach und Schawuot gelten als Trauerzeit. Dann dürfen sich Juden weder die Haare schneiden noch Hochzeiten feiern. Doch am 33. Tag wird die Trauerzeit unterbrochen und das Freudenfest Lag BaOmer gefeiert. Zur Erinnerung an Schim’on Bar Jochai, der zur Zeit der Römer heimlich in einer Höhle versteckt die Tora studierte. Noch heute werden ihm zu Ehren im Mai Feuer entzündet.
Bild: Lior Mizrahi/Getty Images
Sukkot: das Laubhüttenfest
Vor 3000 Jahren führten die Israeliten unter dem ägyptischen Pharao ein Leben in Sklaverei. Moses erhielt von Gott den Auftrag, sie ins gelobte Land Kanaan zu führen. 40 Jahre soll die Wanderung durch die Wüste gedauert haben. Unterwegs lebten sie sie in "Sukkot" (Hütten). Daran erinnert das Laubhüttenfest, das jüdische Erntedankfest. Gläubige ziehen im Herbst nach Obsternte und Weinlese dort ein.
Bild: Annette Riedl/dpa/picture alliance
Simchat Tora: Feier zu Ehren der Tora
Das Sukkot endet mit dem "Schemini Azeret" und dem "Simchat Tora"-Fest: Das erste markiert den Winterbeginn, das zweite ist das Freudenfest der Tora, der jüdischen Bibel. Alle Torarollen der Synagoge werden aus dem Schrein gehoben und in einem fröhlichen Umzug siebenmal durch das Gebetshaus getragen. Dazu tanzt der Rabbi. Anschließend wird ein Segensspruch auf die Tora gesprochen.
Bild: Hanan Isachar/picture alliance
Chanukkah: das Lichterfest
Zwei Jahrhunderte lang duften die Juden unter der Herrschaft der Griechen ihre Religion nicht ausüben, doch im Jahr 164 v. Chr. eroberten sie Jerusalem zurück. Im Tempel fand sich ein Ölkrug, um den Leuchter zu entzünden. Aber das Öl reichte nur für eine Nacht. Am Ende brannte es acht Tage lang: ein Wunder. Deshalb wird an Chanukka acht Tage täglich mit einem Dankesspruch eine Kerze entzündet.
Bild: Ronen Zvulun/REUTERS
Tu Bischwat: das Neujahrsfest der Bäume
Der Feiertag im Januar markiert das Ende der Regenzeit, bis dahin sollen die Pflanzen in Ruhe wachsen dürfen. Traditionsgemäß werden an Tu Bischwat die Früchte gemeinsam verspeist, die Israel zu bieten hat: Weintrauben, Nüsse, Feigen, Datteln, Oliven, Granatäpfel und Getreide. Mittlerweile ist es in Israel auch ein Tag des Umweltschutzes, an dem die Menschen im ganzen Land Setzlinge pflanzen.
Bild: Photoshot/picture-alliance
Purim: Freudenfest und jüdischer Karneval
Einst wollte der persische Minister Haman alle Juden ausrotten, steht in der Tora. Doch Ester, die jüdische Frau des Königs, rettete ihr Volk. Wenn der Rabbi ihre Geschichte vorliest, wird bei der Erwähnung des Judenhassers Haman mit Rasseln Krach gemacht. Außerdem ermuntert der Talmud dazu, sich beim Festmahl danach aus Freude zu betrinken. Auf den Straßen feiern die Menschen bunt verkleidet.
Bild: Omer Messinger/ZUMAPRESS/picture alliance
Sabbat: der wöchentliche Ruhetag
Der Sabbat dauert vom Sonnenuntergang am Freitag bis Samstagabend. Arbeit ist verboten, gläubige Juden besuchen an diesem Tag die Synagoge. Am Sabbat darf kein Feuer entzündet werden, das gilt auch für elektrisches Licht oder den Herd. Die Kerze für das Festmahl im Kreis der Familie wird daher schon am Werktag entzündet. Zur Trennung von Feiertag und Werktag wird ein Segen gesprochen.
Bild: P Deliss/Godong/picture-alliance
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Möglich gemacht wurde das "Mizwa Mobil" von drei Familien der Gemeinde. Insgesamt rund 100.000 Euro haben der Wagen und sein Umbau zur fahrbaren Synagoge gekostet. Zur Ausstattung des Gefährts gehören eine kleine Handbibliothek, eine eigene Tora-Rolle und Gebetsriemen. Mit an Bord ist immer der Rabbiner Mendel Brandwine aus New York, der Gottesdienste abhalten wird. Bewusst sollen Orte angesteuert werden, an denen zwar jüdische Menschen leben, es aber keine festen Synagogen gibt.
Bildungsarbeit an Schulen und öffentlichen Plätzen
Das Interesse an dem "Mizwa Mobil" ist groß. Teichtal berichtet von vielen Anfragen durch Stadtverwaltungen und Gemeinden. Das Mobil solle an öffentlichen Plätzen ebenso stehen wie an Schulen. Die genauen Standorte des "Mizwa Mobils" werden jedoch nur kurzfristig bekanntgegeben. Das gehört zum Sicherheitskonzept der fahrbaren Synagoge. "Wir müssen die Sicherheitsvorschriften beachten, aber wir wollen auch die Sichtbarkeit nicht verlieren", so Teichtal. Denn Sichtbarkeit sei bedeutend, um eine lebendige, positive Zukunft des jüdischen Lebens und Miteinanders in Deutschland zu sichern.