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PolitikSyrien

Syrer in der Türkei: Abschiebung ins Ungewisse

Diana Hodali
25. Juni 2024

Trotz internationaler Bedenken schiebt die Türkei syrische Flüchtlinge nach Syrien ab. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die unsichere Lage dort und warnen vor schwerwiegenden Konsequenzen für die Abgeschobenen.

Ein junger Mann im Halbprofil schaut auf sein Tablet
Hafis A. würde gerne wieder nach Istanbul Bild: privat

Hafis A. war auf dem Weg zu seiner Arbeit in einem Restaurant in Istanbul in der Türkei. Eigentlich, so dachte der junge Syrer, wäre es ein Tag wie jeder andere. Doch alles sollte sich an diesem Morgen ändern. Die türkischen Sicherheitsbehörden hielten ihn an und verlangten seine Papiere. Doch seine Aufenthaltsgenehmigung war zwei Tage zuvor ungültig geworden, er hatte es noch nicht geschafft, sie zu verlängern. Das wurde ihm zum Verhängnis. Die Sicherheitsbeamten nahmen ihn mit, brachten ihn zuerst in ein Abschiebehaftanstalt, wenige Tage später ging es dann gemeinsam mit anderen Syrern über die türkische Stadt Antakya an den Grenzübergang Bab el Hawa in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens. "Sie haben mich nach der Grenze rausgelassen, und auf einmal stand ich wieder auf syrischem Boden", sagt er.

Hafis A. stammt eigentlich aus Damaskus. Im Jahr 2020, damals gerade 22 Jahre alt, beschloss er aus Syrien zu fliehen, weil er sonst vom syrischen Regime zum Militär eingezogen worden wäre. "Ich wollte das nicht, ich wollte leben", erzählt er. Allein flieht er über Idlib in die Türkei. Das war das einzige und erste Mal, dass er die Region Idlib zuvor betreten hatte. Er hatte gehört, dass die Türkei syrische Geflüchtete aufnimmt.

Stimmungsmache gegen Syrer in der Türkei

Kein anderes Land hat so viel Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen wie die Türkei: 3,6 Millionen Syrer leben dort nach Angaben des UNHCR mit temporärem Schutz, seitdem in ihrer Heimat ein Krieg tobt - seit 2011. Nicht zuletzt auch, weil die Europäische Union 2016 einen umstrittenen Deal mit der Türkei geschlossen hat, der die Flucht und Migration nach Europa über die Ägais eindämmen sollte.

Bab el Hawa - Hafis A. ist über diesen Grenzübergang abgeschoben wordenBild: Rami Alsayed/NurPhoto/picture alliance

Auch Hafis A. fand in Istanbul eine neue Heimat. Er erhielt alle nötigen Papiere, um zu bleiben, fand einen Job, kaufte sich später sogar ein kleines Auto. Er begann, sich ein neues Leben aufzubauen. Alles lief reibungslos - bis zu jenem Tag im März dieses Jahres. Hafis A. erzählt, dass das Klima in der letzten Zeit angespannt gewesen sei. "Die Stimmung in Land war schon lange so, dass man gemerkt hat, dass man uns Syrer eigentlich loswerden will." Einer seiner engeren, allerdings kranken Freunde, sei auch abgeschoben worden.

"Syrische Geflüchtete haben immer nur einen temporären Schutz genossen in der Türkei", sagt Anita Starosta von der Organisation Medico International. "Syrer wurden und werden immer wie Gäste behandelt. Sie sollen sich nicht niederlassen und türkische Staatsbürger werden."

Das geht auch aus den Online-Informationen der türkischen Migrationsbehörde hervor, die über eine freiwillige Rückkehr so informiert: "Die Rückführung erfolgt nach den Grundsätzen der freiwilligen, sicheren und würdigen Rückkehr im Einklang mit dem Völkerrecht. In unserem Land wird kein Ausländer, der unter temporärem oder internationalem Schutz steht, zwangsweise in sein Herkunftsland zurückgeführt; er wird nicht unter Druck gesetzt, in sein Herkunftsland zurückzukehren", heißt es dort.

Syrer werden in die Unsicherheit abgeschoben

Über diesen temporären Schutzstatus, der eigens für syrischen Flüchtlinge eingeführt wurde, hat die Türkei einen Mechanismus etabliert, der leichtere Abschiebungen ermöglicht. Außerdem wurden viele Registrierungsbüros für Geflüchtete in der Türkei geschlossen. "Seit 2018 kommt es immer wieder zu größeren Abschiebungswellen", so Starosta. Die Abschiebung syrischer Flüchtlinge aus der Türkei löste besonders vor den Präsidentschaftswahlen 2023 einen Aufschrei aus. Nach Angaben der Organisation Human Rights Watch (HRW) haben die türkischen Behörden zwischen Januar und Dezember 2023 über 57.000 Syrer und andere Personen über ihre Grenzübergänge abgeschoben. Laut Human Rights Watch sollen die Grenzbehörden auf Druck der türkischen Behörden einen Großteil der Grenzübertritte als "Rückkehrer" oder "freiwillig" listen.

2,9 Millionen Menschen in der Region Idlib sind Binnenvertriebe - viele leben in Zelten entlang der Grenze zur TürkeiBild: Omar Albam/DW

Für Hafis A. war es bisher nicht leicht, sich in der Stadt Idlib ein neues Leben aufzubauen. Die Provinz Idlib ist in weiten Teilen die letzte von syrischen Rebellen und Islamisten gehaltene Region. Sie steht überwiegend unter der Kontrolle islamistischer Milizen, insbesondere der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die wiederum aus der Al-Kaida-nahen so genannten "Al-Nusra-Front" hervorgegangen ist. Doch in der Region brodelt es; in den vergangenen Monaten kam es dort auch zu Protesten gegen die Islamisten.

Die Region ist insgesamt von Armut geprägt, viele der 2,9 Millionen Binnenflüchtlinge sind auf internationale Hilfe angewiesen - und die wird immer weniger. Hafis A. hat zwar einen kleinen Job in einem Café gefunden. Aber der Verdienst sei nicht zu vergleichen mit dem in der Türkei. Die Schwierigkeiten, denen Hafis A. und andere abgeschobene Syrer nach Nordsyrien gegenüberstehen, enden nicht. Denn neben der prekären Versorgung und Sicherheitslage in der Region müssen sie sich mit der Verwaltung ihres zurückgelassenen Eigentums in der Türkei auseinandersetzen. Hafis A. hat in Istanbul noch sein Auto - und noch etwas Geld gespart auf einem Konto.

Immer wieder ist es in den vergangenen Monaten zu Protesten gegen die HTS-Islamisten in Nordsyrien gekommenBild: Omar Albam/DW

"Natürlich ist in Syrien dennoch alles vertrauter für mich, die Menschen, die Sprache. Aber ich lebe in meinem Land und bin doch so weit von meinen Eltern entfernt, denn ich kann sie aufgrund der politischen Lage nicht in Damaskus besuchen", sagt er. Außerdem müsste er mit Konsequenzen durch das Assad-Regime rechnen, da er vor seinem Militärdienst geflohen ist.

Syrer als Spielball der Politik

Hafis A. wurde an der Grenze nicht gesagt, wohin er gehen soll. Im Gegensatz zu anderen Abgeschobenen - viele werden von türkischen Behörden in Städten in sogenannten Safe Zones (Sicherheitszonen) angesiedelt. Diese befinden sich in Nordsyrien, stehen unter türkischer Kontrolle und sollen als sichere Rückkehrgebiete für syrische Flüchtlinge dienen. Gleichzeitig sollen sie aber auch als Pufferzone gegen kurdische Gruppen und Milizen fungieren. Die Türkei begründet das damit, dass die kurdisch geführten Kräfte in Nordostsyrien der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) angehören würden, die von der Türkei, den USA und der Europäischen Union als terroristische Vereinigung eingestuft wird und mit der die Türkei einen jahrzehntelangen Konflikt austrägt. Seit Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien 2016 hält die Türkei die überwiegend arabische Region nördlich von Aleppo besetzt.

Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya gab im Februar bekannt, "dass rund 625.000 Syrer freiwillig nach Syrien zurückgekehrt sind", weil sich die Lebensbedingungen dort verbessert hätten. In den Städten Dscharablus, Al-Bab und Azaz (Anm. der Redaktion: Städte, die in der Sicherheitszone liegen) habe man Anstrengungen unternommen, um irreguläre Migration in Richtung Türkei einzudämmen.

Doch von einer Verbesserung der Lebensbedingungen kann kaum die Rede sein. Human Rights Watch dokumentierte erst kürzlich in einem Bericht, dass es in diesen Gebieten alles andere als sicher ist: "Die Türkei ist damit gescheitert, für die Sicherheit und das Wohlergehen der Zivilbevölkerung zu sorgen. Stattdessen ist das Leben der 1,4 Millionen Bewohner*innen der Region von Gesetzlosigkeit und Unsicherheit geprägt", heißt es bei HRW.

Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya redet auch nur von "freiwilligen Rückkehrern"Bild: Anka

"Die Türkei hat syrische Flüchtlinge stets als politisches Instrument genutzt, sei es durch den EU-Türkei-Deal und die damit verbundenen Milliarden Euro, oder um Einfluss auf die Neuordnung Syriens zu nehmen, falls das Regime gestürzt würde", sagt Anita Starosta von Medico International. Da das Assad-Regime fest im Sattel sitze, sei das vorerst keine Option. "Aktuell nutzt Erdogan sie für seine Besiedlungspolitik in den kurdischen Gebieten", so Starosta.

Hafis A. wird vorerst keine andere Wahl haben, als in Idlib Stadt zu bleiben. Aber er will die Hoffnung nicht aufgeben. "Wir Syrer müssen so oft von neu anfangen. Das macht müde. Ich würde so gerne zurück in die Türkei."

Elmas Topcu hat zu diesem Artikel mit einem Zitat beigetragen.