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PolitikNahost

Syrer zum Ukraine-Krieg: "Wir teilen ähnliches Leid"

Diana Hodali
5. März 2022

Viele Syrer solidarisieren sich mit der Ukraine. Sie sind selbst vom russischen Militär bombardiert worden. Und fragen: Wäre es in der Ukraine soweit gekommen, wenn Moskau in Syrien entschiedener begegnet worden wäre?

Syrien Russland Ukraine Konflikt Wandgemälde
Solidarität mit der Ukraine in Idlib von den syrischen Künstler Aziz Asmar and Anis HamdounBild: OMAR HAJ KADOUR/AFP via Getty Images

"Ich fühle sehr mit den Menschen in der Ukraine mit", sagt Huda Khayti. "Es ist schrecklich zu sehen, wie rücksichtslos Russland auch in der Ukraine vorgeht. Wladimir Putin macht was er will, keiner hat ihm jemals Grenzen gesetzt. Wir Syrer wissen wovon wir reden", sagt die Leiterin eines Frauenzentrum in Idlib Stadt. Dort hat sie nicht immer gelebt, denn wie viele Hunderttausende Syrer musste auch sie mehrmals innerhalb des Landes fliehen, um zu überleben.

Moskaus Krieg gegen die Ukraine geht in die zweite Woche. Und die Brutalität scheint von Tag zu Tag größer zu werden.

Vorwurf von Kriegsverbrechen

Wie grausam der Bombenhagel von Putins Armee sein kann, hat Huda Khayti schon oft erlebt. Damals, 2018, als sie Ost-Ghuta verlassen musste, weil Russland an der Seite von Syriens Machthaber Baschar al-Assad die Stadt in Grund und Boden bombte. "Ich komme aus Duma und habe einen Giftgasangriff des syrischen Regimes überlebt. Ich weiß, wie es ist, unter Bombenhagel zu leben oder eingepfercht zu sein wie damals in Ost-Ghuta", sagt sie.

Huda Khayti leitet ein Frauenzentrum in Idlib StadtBild: H. Khayti

Im Frühjahr 2018 kam sie schließlich in die Provinz Idlib. Sämtliche Oppositionelle und Rebellengruppen gleichermaßen wurden damals in die Provinz gebracht, die heute von der Al-Kaida-nahen islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) kontrolliert wird. Die syrische Luftwaffe fliegt immer wieder intensive Angriffe auf die Provinz, unterstützt von russischem Militär. Syrische und russische Zivil- und Militärbeamte seien aufgrund ihrer Befehlsverantwortung dort in Kriegsverbrechen verwickelt, urteilt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW).

Das Ausmaß der Zerstörung in Syrien wäre ohne die militärische Unterstützung des russischen Präsidenten für Baschar Al-Assad nicht möglich gewesen. 2015 sah es tatsächlich so aus, als könnte Assad den Krieg verlieren. Doch Moskau intervenierte noch im selben Jahr - auf Bitten des Regimes in Damaskus. Anders als der Ukraine-Krieg war das Eingreifen Russlands damit formell nicht völkerrechtswidrig.

Blockaden im Weltsicherheitsrat

Völkerrechtsverletzungen gab es dennoch viele: Zusammen mit dem Iran attackierten Moskau und Damaskus Krankenhäuser, Schulen und Märkte, um Gebiete von Assads Gegnern zurückzuerobern. Der Einsatz von Fassbomben, Streumunition und völkerrechtswidrigen Vakuumbomben wurde vielfach dokumentiert.

Gute Freunde: Baschar al-Assad und Wladimir PutinBild: Mikhail Klimentyev/AP/picture alliance

Ein 2020 veröffentlichter UN-Bericht untersuchte diverse Gräueltaten in Syrien und kam zu dem Schluss, dass Russlands Armee wegen der wahllosen Bombardierung ziviler Gebiete direkt an Kriegsverbrechen beteiligt war. Doch hatte dies keinerlei schmerzhafte Konsequenzen für Assad oder Putin.

Als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Moskau bereits mindestens 16 Resolutionen zu Syrien verhindert. Somit kann auch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht wegen Völkerrechtsverbrechen des syrischen Regimes angerufen werden.

"Die Gesamtheit der Geschehnisse in Syrien hätte die Frage aufwerfen müssen, in wie weit es geht, dass ein ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates gleichzeitig Kriegspartei ist und immer wieder über einen Krieg entscheiden darf, in den es selbst involviert ist", sagt Bente Scheller, Leiterin des Nahost- und Nordafrika- Referats der Heinrich-Böll-Stiftung. Diese Struktur sei überkommen, es brauche ein anderes Format - auch für andere Krisen und Kriege auf dieser Welt, so die Expertin. Doch das scheint bis kaum möglich: Alle Versuche, den Weltsicherheitsrat neu zu strukturieren, sind bisher gescheitert.

Ost-Ghuta wurde 2018 in Schutt und Asche gelegt - auch durch das russische Militär Bild: picture-alliance/dpa/A. Alkharboutli

Hat der Westen in Syrien weggeschaut? "Nein", sagt Bente Scheller. Er habe nicht so sehr weggeschaut - aber der Westen habe sich auch nicht zum Handeln durchringen können. Man habe immer wieder die Frage aufgeworfen, wer in Syrien nach Assad die Macht übernehmen könnte, wenn es einen Regimewechsel geben sollte. "Das halte ich für die gefährlichste Entwicklung, weil es internationale Normen und Standards im Frage stellt. Es ist völlig klar, dass Zivilisten und Zivilistinnen geschützt werden müssen." Doch man habe sich faktisch dagegen entschieden, sie zu schützen, so Scheller. Als westliche Länder dann doch beschlossen, militärisch in Syrien einzugreifen, ging es mehr um den Kampf gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) als um den Schutz der Bevölkerung.

Auch die "roten Linien" mit Blick auf mögliche Giftgasangriffe Syriens, die der ehemalige US-Präsident Barak Obama einst ausgerufen hatte, erwiesen sich im Syrien-Krieg als äußerst elastisch. Putin verpflichtete Assad damals öffentlich zur Vernichtung seiner Chemiewaffenbestände - und lieferte Obama damit einen Vorwand, trotz Überschreitung der roten Linien nicht militärisch eingreifen zu müssen. Kurzfristig war das eine Win-Win-Situation für die beteiligten Mächte, nicht jedoch für die Menschen: Einen Giftgasangriff gab es 2013 dennoch.

Der Ort Okhtyrka in der Ukraine nach einer BombenattackeBild: Privat

Streubomben in beiden Ländern

Hätte man aus Syrien lernen können? "Ja", glaubt Huda Khayti. "Durch die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft in Syrien hat man Putin grünes Licht gegeben, auch woanders brutal vorzugehen." Er habe dabei bisher nichts zu befürchten gehabt. Auch in der Ukraine hat Putins Armee bereits zivile Einrichtungen bombardiert - ebenso wurden dort laut HRW wie in Syrien auch bereits Streubomben eingesetzt.

Ob Propagandakrieg, Einsatz von brutalen Söldnergruppen oder Kriegsverbrechen: "Putin konnte seine Waffen und Kriegsführungstechnik in Syrien ausprobieren", sagt Bente Scheller. "Das alles sind Vorläufer, aus denen er die Lehre ziehen konnte: Er hat nichts zu befürchten vom Westen." Auch diplomatisch habe es der Kremlchef in Syrien weit gebracht. "Und im anstehenden Sommer wird Putin wieder die Möglichkeit haben, Druck auf westliche Staaten auszuüben, weil dann die Entscheidung über die humanitäre Hilfe für Idlib wieder ansteht."

In der Provinz Idlib erhalten die Menschen direkte humanitäre Hilfe aus dem Ausland - lediglich der Grenzübergang Bab el Hawa wird von Russland zu diesem Zweck noch offen gehalten, aber es ist eben auch Russland, das im Weltsicherheitsrat alle sechs Monate mit Vetorecht darüber entscheidet, ob Bab el Hawa offen bleibt oder nicht. In der Ukraine sind bereits Millionen von Menschen auf Hilfe angewiesen. Die Ukraine und Russland haben sich auf die Schaffung humanitärer Korridore geeinigt.

Rückkehr eines Traumas

Auch wenn Krisen und Kriege nicht immer vergleichbar sind, sagt Huda Khayti: "Ich frage mich, ob ein Angriff dieser Art auf die Ukraine überhaupt möglich gewesen wäre, wenn sich die Welt vorher entschlossener gegen Russlands Einmischung im Syrien-Krieg gestellt hätte."

Sie sei erleichtert, dass man der russischen Regierung wenigstens mit Blick auf die Ukraine jetzt härter begegne. "Ich wünsche mir, dass den Ukrainern Jahre des Leids erspart bleiben", sagt Huda Khayti. Viele Syrer wünschten sich einen direkten Kanal zu den Ukrainern, erzählt sie, etwa um ihnen zu sagen, wie sie sich am besten schützen können. Manche würden sogar gerne an der Seite der Ukrainer gegen das russische Militär kämpfen, erzählt sie. "Wir teilen ein ähnliches Leid. Wir wissen besser als jeder andere auf der Welt, was die Ukraine gerade durchmacht", sagt sie. 

Noch immer harren viele Flüchtlinge im Camps auf Lesbos ausBild: Panagiotis Balaskas/AP/picture alliance

Doch das Ganze habe auch einen faden Beigeschmack, sagt Huda Khayti. Dass viele Staaten sich an Sanktionen gegen Russland beteiligten, freue zwar viele syrische Regimegegner. Es sorge aber auch für ein gewisses Erstaunen: "Solche harten Sanktionen gab es in so vielen Jahren Krieg in Syrien nicht", sagt die Frauenrechtlerin. Es sei das Gebot der Stunde, Menschen, die aus der Ukraine fliehen, aufzunehmen. Dennoch verwundere sie der teilweise unterschiedliche Umgang mit Geflüchteten in Europa. "Es scheint so etwas wie Flüchtlinge erster Klasse und zweiter Klasse zu geben."

Sie wünscht sich, dass auch das Schicksal syrischer Flüchtlinge sehr ernst genommen wird: Es gebe immer wieder Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, an europäischen Grenzen erfrieren oder seit Jahren in notdürftig eingerichteten Camps in Griechenland feststecken. "Der Welt fehlt eben oft die Menschlichkeit", sagt sie. 

Dennoch gibt es in Idlib auch Hoffnungen, dass sich das Blatt sowohl in der Ukraine wie in Syrien gegen Russlands Regierung wenden könnte - und dass die Welt auch den Syrern angesichts des andauernden Kriegs in ihrem Land mit mehr Empathie begegnet. 

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