Syrische Ärzte aus Deutschland helfen in ihrer alten Heimat
21. April 2025
Mohammed Qanbat hatte Glück: Anfang April wurde der 55 Jahre alte Syrer aus der Stadt Hama am offenen Herzen operiert. Nach 14 Jahren Krieg sind Eingriffe dieser Art in Syrien selten. Das nationale Gesundheitssystem hat massiv unter der jahrelangen Gewalt gelitten, zudem sind derartige Operationen vergleichsweise teuer.
Zur Hilfe kam Qanbat der Umstand, dass viele syrische Ärzte in Deutschland arbeiten. Einige von ihnen reisten im April in ihre alte Heimat, um dort für einige Zeit medizinische Hilfe zu leisten. Sie setzten Qanbat auf die Liste derjenigen Patienten, die ärztlichen Beistand am dringendsten benötigen.
"Ich kann kaum ausdrücken, wie glücklich und dankbar ich bin", sagt Qanbat der DW. "Wir haben sehr lange darauf gewartet, dass unsere Landsleute wieder zurückkommen und uns helfen", sagt er mit Blick auf die ins Ausland geflohenen Syrer, unter denen auch viele Ärzte und Ärztinnen sind. "Sie haben uns nicht vergessen. Sie sind zurückgekehrt, um uns zu helfen."
Nach wie vor ist unklar, wie viele syrische Ärzte das Land während des Krieges verließen. Angaben der Weltbank zufolge waren im Jahr 2010, also kurz vor dem folgenreichen Aufstand des Jahres 2011, rund 30.000 Ärzte in Syrien tätig. Im Jahr 2020 - dem einzigen Jahr, für das die Vereinten Nationen Daten erhoben hatten - waren es weniger als 16.000. Auch anderes medizinisches Personal, etwa Krankenschwestern, Apotheker und Zahnärzte, hatte das Land verlassen.
Viele von ihnen fanden Exil in Deutschland. Laut Statistiken arbeiten derzeit knapp über 6.000 syrische Ärzte in Deutschland, überwiegend in Krankenhäusern. Hinzu kommen viele Ärzte, die bereits einen deutschen Pass haben. Beide Gruppen zusammen könnten auf über 10.000 Ärzte syrischer Herkunft kommen.
Erster Einsatz in Syrien
Nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad Anfang Dezember letzten Jahres schlossen sich einige dieser Ärzte zusammen und gründeten die "Syrian German Medical Association", kurz SGMA.
Alles habe begonnen mit einer kleinen WhatsApp-Gruppe von Ärzten, die sich fragten, wie sie helfen könnten, erzählt Nour Hazzouri, ein auf Gastroenterologie spezialisierter Oberarzt am Helios-Klinikum in Krefeld.
Aus der WhatsApp-Gruppe wurde eine Facebook-Seite, so Hazzouri im Gespräch mit der DW. Mitte Januar wurde die SGMA dann offiziell gegründet. Inzwischen hat sie rund 500 Mitglieder. "Selbst wir waren überrascht, wie schnell die Gruppe gewachsen ist", so Hazzouri.
Im April traten die SGMA-Mitglieder ihre erste Syrien-Reise an. Seitdem kamen rund 85 syrische Ärzte der SGMA nach Syrien, um Vorträge zu halten, den Zustand des syrischen Gesundheitssystems zu inspizieren und um medizinische Operationen im ganzen Land durchzuführen.
Eine Herausforderung sei, dass die Ausrüstung in syrischen Krankenhäusern vielfach veraltet sei, sagte Ayman Sodah, Oberarzt und Kardiologe am Rhön-Klinikum im bayerischen Bad Neustadt, dem Nachrichtensender Al-Dschasira. "Es liegt auf der Hand, dass in den letzten 15 Jahren kaum etwas erneuert wurde."
"Vor dem Krieg war Syrien ein Land mit mittlerem Einkommen und relativ guten Gesundheitsindikatoren", heißt es in einem Report der in Washington ansässigen Denkfabrik "Brookings Institution". Doch während des Krieges griffen das Assad-Regime und seine russische Verbündeten in Teilen des Landes regelmäßig Gesundheitseinrichtungen an. Aufgrund von Sanktionen und einer kränkelnden Wirtschaft verschlechterte sich das Gesundheitssystem zusätzlich.
Davon war am Sonntag, 13. April, in Syriens Hauptstadt Damaskus freilich keine Rede. Rund 300 Menschen hatten sich versammelt, um den Vortrag einer SGMA-Delegation zu hören. "Ich bin etwas aufgeregt", sagte Mustafa Fahham, leitender Arzt für Nierenheilkunde und Dialyse am Krankenhaus Bremerhaven, der DW. "Jeder Syrer hatte latente Angst vor dem Assad-Regime. Diese Angst ist jetzt weg. Ich fühle mich gut und bin froh, hier in Damaskus zu sein, wo ich endlich helfen kann."
Hilfreiche Partnerschaften
Die syrischen Freiwilligen hätten die Reise größtenteils selbst finanziert, berichtet Mediziner Hazzouri. Auch hätten sie Geld für medizinische Ausrüstung gesammelt. "Viele brachten Spenden aus ihren Kliniken mit. Gleichzeitig starteten wir eine Online-Fundraising-Kampagne, mit der wir innerhalb eines Monats fast 100.000 Euro sammeln konnten, hauptsächlich von syrischen Ärzten in Deutschland", so der Arzt, der sich zudem auch vor Ort über Hilfen freut: "Lokale syrische Nichtregierungsorganisationen unterstützen uns zusätzlich durch Materialspenden."
Bislang gibt es noch keine offizielle Unterstützung durch die deutsche Regierung. Mitglieder der SGMA nahmen Mitte Februar jedoch an einer Konferenz des deutschen Entwicklungsministeriums über deutsch-syrische Krankenhausallianzen teil. Dies, sagt Hazzouri, sei "ein wichtiger Schritt in Richtung einer möglichen Partnerschaft".
Das syrische Gesundheitsministerium seinerseits erteilte den SGMA-Ärzten Arbeitserlaubnisse. Der neue Gesundheitsminister im syrischen Kabinett, der Neurochirurg Musab al-Ali, war zuvor ebenfalls in Deutschland tätig und engagierte sich für die "Syrische Gemeinschaft in Deutschland" (SGD). Außerdem war er auch schon früher als Freiwilliger in seiner Heimat unterwegs.
Inzwischen gibt es eine weitere medizinische Initiative: die in diesem Monat in Syrien angelaufene Hilfskampagne "Shifa, Hand in Hand für Syrien". Sie steht in direkter Verbindung mit der SGD und dem syrischen Gesundheitsministerium. An ihr beteiligen sich rund 100 syrische Ärzte.
In Syrien oder Deutschland leben?
Die meisten der medizinischen Freiwilligen der SGMA werden an ihren Arbeitsplatz in Deutschland zurückkehren. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage der Syrischen Gesellschaft für Ärzte und Apotheker in Deutschland ergab jedoch, dass 76 Prozent der Mitglieder eine dauerhafte Rückkehr in ihre alte Heimat in Betracht ziehen.
In Interviews mit deutschen Medien, etwa der Wochenzeitung DIE ZEIT, äußern sich syrische Ärzte besorgt über zunehmende rechtsextreme und einwanderungsfeindliche Haltungen in der Bundesrepublik und darüber, wie schwierig es für einige sei, in Deutschland voll akzeptiert zu werden.
Ihre Ausreise würde sich nachteilig auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland auswirken - darauf hatte unter anderem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (GKS) frühzeitig in einer Erklärung Ende 2024 hingewiesen. Auch wenn syrische Ärzte nur zwei Prozent aller Ärzte in Deutschland ausmachen, so stellen sie doch unter ausländischen Medizinern die größte Gruppe und spielen nicht zuletzt in unterbesetzten Krankenhäusern und Kliniken Ostdeutschlands eine wichtige Rolle.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.