HTS-Anführer in Syrien: Wer ist Abu Mohammed al-Dschulani
10. Dezember 2024Bis vor wenigen Wochen war sein Name außerhalb Syriens vermutlich nur wenigen bekannt. Nun beherrscht Abu Mohammed al-Dschulani, Chef von Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die Schlagzeilen weltweit. Am Sonntag hatten seine islamistischen Kämpfer Syriens Hauptstadt Damaskus erobert und Machthaber Baschar al-Assad zur Flucht gezwungen. Zwar waren seit Ende November auch viele Gruppierungen beteiligt. Doch Dschulani (bürgerlicher Name: Ahmed al-Scharaa) und seine HTS-Miliz hatten die Kämpfe angestoßen.
Al-Dschulani zog als Sieger in Damaskus ein und ließ sich unter anderem an der berühmten Umayyaden-Moschee feiern. Er erklärte die Stadt für befreit - 13 Jahre nachdem Assad Proteste gegen die Regierung im Land gewaltsam niederschlagen ließ und der Bürgerkrieg begann. Assad und Familie sollen sich laut russischen Medien in Moskau befinden.
Uniform statt Turban
Jahrelang hatte Dschulani im Verborgenen agiert. Nun tritt er öffentlich auf, gibt internationalen Medien Interviews. Auch äußerlich hat sich Dschulani verändert. Den Turban der Dschihadisten, den er noch zu Beginn des syrischen Krieges im Jahr 2011 trug, legte er zuletzt immer öfter ab. Stattdessen zeigt er sich vermehrt in Militäruniform und Kappe.
Geboren wurde Ahmed al-Scharaa, so sein bürgerlicher Name, nach Medienberichten Anfang der 1980er Jahre in Saudi-Arabien. Sein Vater arbeitete dort laut BBC bis 1989 als Ingenieur. Im gleichen Jahr zog die Familie nach Masseh, einem gutbetuchten Stadtteil von Damaskus. Sein Vater soll ein Assad-Gegner gewesen sein und viele Jahre in syrischen Gefängnissen verbracht haben, bevor er ins Exil ging.
Nach den Terror-Anschlägen des 11. September 2001 soll sich Dschulani zu der Terrororganisation Al-Kaida hingezogen gefühlt haben. 2003 ging er in den Irak. Dort schloss sich er sich Al-Kaida an und wurde anschließend fünf Jahre inhaftiert.
Kein Gründe für einen Angriff liefern
2011 kehrte er nach Syrien zurück und führte anschließend die Al-Nusra-Front an, den syrischen Ableger von Al-Kaida. Aus dieser ging später die HTS-Miliz hervor. Im Mai 2015 sagte al-Dschulani, dass er im Gegensatz zum IS keine Anschläge gegen den Westen plane. Er erklärte auch, dass es bei einer Niederlage Assads keine Racheangriffe gegen die alawitische Minderheit geben werde, zu der Assads Familie gehört. Als al-Dschulani die Verbindungen zu Al-Kaida kappte, sagte er, dass er dies tue, um dem Westen keinen Grund zu geben, seine Organisation anzugreifen.
Im Januar 2017 zwang al-Dschulani im Nordwesten Syriens rivalisierende islamistische Gruppen, sich mit der HTS zu vereinen. Dadurch übernahm die HTS die Kontrolle über große Teile der Provinz Idlib. In den von ihr beherrschten Gebieten errichtete die HTS eine zivile Verwaltung und etablierte eine Art Staat.
Gleichzeitig bekämpfte sie ihre Gegner. In dieser Zeit wurde der HTS von Bewohnern und Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen, brutal gegen Andersdenkende vorzugehen. Die Vereinten Nationen stuften diese Handlungen als Kriegsverbrechen ein.
Trotz der öffentlichen Abspaltung von Al-Kaida und der Namensänderung wurde HTS weiterhin von den Vereinten Nationen, den USA, dem Vereinigten Königreich und anderen Ländern als terroristische Organisation eingestuft.
Was für Pläne könnte Dschulani haben?
Nun schaut alle Welt auf Dschulani. Dass es bislang nicht zu Gewalt gegen Minderheiten kam, sei ein "hoffnungsvolles Zeichen", sagt der Syrienexperte James Dorsey vom Middle East Institute in Washington der DW. Skeptischer äußerte sich hingegen der ehemalige deutsche Botschafter in Damaskus, Andreas Reinicke. HTS sei weiterhin in der Ideologie von Al-Kaida verwurzelt. Deshalb sei die Zukunft der christlichen und kurdischen Minderheiten in Syrien gefährdet, sagte er der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA).
Um sein Image aufzupolieren, hatte Dschulani in der Vergangenheit Flüchtlingslager besucht und Hilfsmaßnahmen beaufsichtigt, zum Beispiel während des Erdbebens von 2023. Gegenüber den Bewohnern von Aleppo versicherte Dschulani nun, dass sie keine Gewalt zu befürchten hätten. In Aleppo leben noch rund 20.000 Christen, Zehntausende waren bereits in den vergangenen Jahren geflohen. Zudem forderte er seine Kämpfer auf, die Sicherheit in den neu eroberten Gebieten zu gewährleisten.
Das sei zunächst einmal ein politisch gutes Vorgehen, erklärte Aron Lund vom Politikinstitut Century International der Nachrichtenagentur AFP. "Je weniger Panik auf lokaler und internationaler Ebene herrscht und je mehr al-Dschulani wie ein verantwortungsbewusster Akteur und nicht wie ein toxischer Dschihad-Extremist erscheint, desto einfacher wird seine Aufgabe." Zugleich schränkt der Experte ein: "Ist er völlig aufrichtig? Sicherlich nicht." Bei al-Dschulanis derzeitigem Vorgehen sei aber klar: "Es ist das Klügste, was man im Moment sagen und tun kann."
Laut der BBC verfolgt die HTS eine "gemäßigte Dschihad"-Strategie, die pragmatischer ist als eine strenge Ideologie. Dschulanis Ansatz könnte darauf hinweisen, dass starre Dschihad-Bewegungen wie IS und Al-Kaida an Bedeutung verlieren, weil ihre Methoden als ineffektiv und unhaltbar gelten.
(mit Agenturen)