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Syrien - auf der Achse des Bösen

Constantin Schreiber14. Februar 2005

Das Regime in Damaskus ist seit Jahren im Visier der USA. Doch warum ist das Land außenpolitisch isoliert? Und wer hat die Macht in dem Land, das in der arabischen Welt als Vorzeigenation verstanden wird?

Syrischer Soldat an der Grenze zum IrakBild: AP

Neben dem Iran ist Syrien das Hauptziel US-amerikanischer Verbalattacken. Es gehöre zur "Achse des Bösen", verlautete es schon 2002 aus dem Weißen Haus und in ihrer Grundsatzrede in Paris erneuerte US-Außenministerin Condoleezza Rice die amerikanische Auffassung, Syrien unterstütze den internationalen Terrorismus. Doch was geht wirklich vor in dem Land, wer hat die Macht und wie reagieren die Syrer und die arabische Welt auf die Angriffe des Westens? DW-WORLD gibt Antworten.

Uralte Traditionen

Ummaiyaden-Moschee in der Altstadt von DamaskusBild: dpa

Syrien gilt in der arabischen Welt als Musterbeispiel multikulturellen Zusammenlebens. In keinem anderen Land der Region gibt es einen ähnlichen Mix unterschiedlicher Religions- und Volksgruppen, die in erstaunlicher Harmonie miteinander leben. Denn jede Großmacht, die in den vergangenen 5000 Jahren im Mittelmeer herrschte, hat hier ihre Spuren hinterlassen, angefangen von den Assyrern, den Phöniziern und Römern, hin zu den Arabern, den europäischen Kreuzrittern bis zu den Türken. Sie alle zogen auf ihren Eroberungszügen durch das Land der Levante, wovon eindrucksvoll Burgen, Moscheen und antike Tempel zeugen. Und in dieser Tradition sehen sich die Syrer als arabisches Führungsland, dem wie selbstverständlich eine Leitrolle unter den arabischen Staaten zukommt. Auch andere arabische Länder betrachten Syrien als hochkultiviertes und traditionsreiches Land, mithin als eine arabische Vorzeigenation.

Syrische Sonderrolle

Dabei spielt es in vielen Dingen eine Sonderrolle. Syrien unterscheidet sich in vielem vom Rest der arabischen Welt. Angefangen bei der Sprache, die ein besonders starker Dialekt des Arabischen ist, über die religiöse Zusammensetzung – knapp 10 Prozent der Bevölkerung sind Christen –, hin zu dem Landschaftsbild, das häufig eher der Toskana ähnelt als einem arabischen Wüstenstaat. Doch auch wenn christlichen Politikern Ministerposten eingeräumt werden, und in den Straßen Damaskus' häufig Kurdisch und Armenisch gesprochen wird, an der Bekennung zur arabischen Nation gibt es keinen Zweifel, das verheißt schon der offizielle Staatsname: Syrisch-Arabische Republik.

Konservative Staatsführung

Baschar Al-Assad auf dem Balkon seines PalastesBild: dpa

So liberal das gesellschaftliche Leben in Syrien zugeht, so konservativ gibt sich die Staatsführung. Sie vertritt in vielen Punkten die extremste Linie der arabischen Welt und sieht sich als Sprachrohr panarabischer Großreichfanatiker. Zusammen mit einem Militarismus, der in den vergangenen Jahrzehnten zu mehreren Kriegen führte, ruft das natürlich die besondere Wachsamkeit Washingtons auf den Plan, das Syrien als Hauptunruhestifter der Region betrachtet. Besonders verhasst war den USA Hafiz al-Assad, der Vater des jetzigen Präsidenten, der von 1971 bis 2000 regierte. Er hatte das Land dem ehemaligen Ostblock angenähert und es weitgehend isoliert. Unter seiner Herrschaft sollen radikale Gruppen in Damaskus Unterschlupf gefunden haben, sagt Washington. Nach seinem Tod folgte ihm Sohn Baschar auf den Präsidentensessel. Westliche Politiker hofften auf eine Öffnung des Landes.

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Der Löwe von Damaskus

Hafiz al-Assad, der "Löwe von Damaskus", Präsident Syriens von 1971 bis 2000Bild: AP

Al-Assad ist Arabisch und heißt "Der Löwe". Hafiz al-Assad, den Vater des jetzigen Präsidenten, nannten die Syrer den "Löwen von Damaskus". Er war der Inbegriff eines arabischen Autokraten und gehörte zur alten Führungsgarde der arabischen Welt. König Hussein von Jordanien, König Hassan von Marokko und Präsident Assad von Syrien waren die drei machtbewussten und absoluten Tonangeber der Region. Der Titel Präsident täuscht Demokratie vor, knapp dreißig Jahre herrschte Assad unangefochten und wenn nötig unterdrückte er Opposition mit äußerster Brutalität. Als sich zu Beginn der 1980er Jahre die Muslimbrüderschaft erhob, ließ er in der Stadt Hama ein Blutbad anrichten.

Tod des Nachfolgers

Offenbar undemokratisch wurde auch eine Erbfolge für den Präsidentenposten bestimmt. Basil, der älteste Sohn Assads sollte das Amt übernehmen, denn der "Löwe von Damaskus" war schwer krank, war bereits mehrfach ins Koma gefallen. Basil war beim Militär anerkannt und er hatte die strenge Rhetorik des Vaters – er war der perfekte Nachfolger. Aber Basil starb wenige Jahre vor seinem Vater bei einem Autounfall. Es gab nur eine Alternative zu ihm: der zweite Sohn Baschar, der in London lebte, musste das Erbe antreten.

Der Präsident aus London

Baschar war das Gegenteil von Basil. Er wirkte ruhiger, besonnener. Er hatte Medizin studiert und praktizierte in Großbritannien als Augenarzt. Mit Militär und Politik hatte er nie etwas zu tun. Das sollte sich nun ändern, der sterbende Assad befahl Baschar nach Syrien, um die Führung des Landes zu übernehmen.

Syrer vor einem Kino in Damaskus. Westliche Unterhaltung und Medien entwickeln sich erst langsam in dem isolierten LandBild: AP

Die Syrer und das Ausland erhofften sich einen Wechsel nach dem Tod des "Löwen" im Jahr 2000. Von einem Präsidenten, der so lange im Ausland gelebt hatte, erwarteten sie eine aufgeklärtere Politik, eine Öffnung des Landes. Und zunächst sah alles danach aus. Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit hatte Baschar als Leitmotive der ersten Jahre genannt. Internet und Telekommunikation sollten gefördert werden – Dinge, die unter Hafiz als westlich und Macht gefährdend unterdrückt wurden.

Die Öffnung scheitert

Doch kaum etwas geschah. Der neue Präsident jedoch änderte seine Maximen in den folgenden Jahren. Er polemisierte gegen Israel, ließ das Militär in seinen Strukturen bestehen, und versuchte nun seinerseits, sich als konservativer Araber-Führer zu etablieren. Hafiz al-Assad, der "Löwe von Damaskus" war tot, aber die von ihm geschaffenen Machtstrukturen waren intakt und mit alten Gefolgsleuten besetzt. Und über allem wachte das Militär auf die politische Linie des Landes. Die Öffnung ist gescheitert.

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Problem: Arbeitslosigkeit

Dabei hatte Baschar die Probleme Syriens treffend erkannt. Nach Jahrzehnten einer am Sozialismus orientierten Politik war die Wirtschaft des Landes am Boden. Eine Arbeitslosigkeit jenseits der 20 Prozent – offiziell. In Wirklichkeit dürften viel mehr Menschen ohne Beschäftigung sein, sind auf traditionelle Familienbande angewiesen. Diejenigen, die Arbeit haben, sind zum größten Teil im aufgeblähten Staatsapparat beschäftigt. Freie Wirtschaft existiert nahezu nicht.

Problem: Bevölkerungswachstum

Blick über die Altstadt von Damaskus: seit über 4000 Jahren besiedeltBild: AP

Hinzu kommt, dass die Bevölkerung Syriens explodiert. Das jährliche Bevölkerungswachstum liegt bei über drei Prozent und ist damit eines der höchsten weltweit. Kinder sind immer noch ein Statussymbol und in vielen Bereichen des Landes auch die einzige Altersvorsorge. Zigtausend Jobs müssten jährlich geschaffen werden, um die nachrückenden jungen Menschen in Arbeit zu bringen – doch davon ist das Land weit entfernt. Bis jetzt finanziert die syrische Regierung einen Großteil ihres Budgets mit Erdöl. Die Vorkommen sind jedoch geringer, als in anderen Staaten der Region, und bei einer weiteren sprunghaften Zunahme der Bevölkerungszahl dürften die Staatsfinanzen in wenigen Jahren platzen.

Problem: Bildungsstand

Blick auf die von Syrien beanspruchten Golan-HöhenBild: AP

Darüber hinaus bietet Syrien wenig Anreize für ausländische Investoren – der technische Bildungsstand ist niedrig. Syrische Schulen und Universitäten sind zwar im Nahen Osten für Geisteswissenschaften anerkannt, aber "moderne" Fächer und vor allem zukunftsweisende IT-Bereiche werden ausgespart, kompetente Facharbeiter gibt es nahezu nicht. Hinzu kommen die nach wie vor bestehenden staatlichen Reglementierungen. Vor über dreißig Jahren hatte Syrien seine Politik der Sowjetunion angenähert, das Konzept der herrschenden Bath-Partei war eine lenkende Staatsrolle. Und seitdem hat keine Privatisierung stattgefunden, ein Kollaps des Systems wie im alten Ostblock ist bisher ausgeblieben – die alten Strukturen hemmen noch immer die Entwicklung des Landes.

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Erbfeindschaft

Noch immer schwingt bei der Haltung Washingtons gegenüber Syrien die Opposition im Kalten Krieg mit. Bis heute hat sich Damaskus nicht zum Kapitalismus bekannt, sondern verharrt in seiner sozialistischen Tradition. Syrien ist damit nicht erst seit dem 11. September auf der "Roten Liste" der USA, sondern ist es bereits seit Ende der 1960er Jahre – nahezu eine Erbfeindschaft wie im Falle Iran.

Aggressionen gegen Israel

Schlug als erster scharfe Töne gegen Syrien an: der ehemalige US-Außenminister Colin PowellBild: AP

Syrien unter Assad hatte sich von Anfang an als Stimmführer des Nahen Ostens gegen Israel dargestellt. Der Kampf um die Golan-Höhen und die Förderung radikaler Gruppen, die größtenteils aus dem Südlibanon gegen Israel operieren, sind unbestreitbare Aggressionen Syriens gegen das jüdische Nachbarland. Damaskus hat besonders hartnäckig gegen jeden Versuch der Aussöhnung mit Jerusalem opponiert, und damit die Israel-freundlichen USA herausgefordert und den Friedensprozess im Nahen Osten torpediert. Die Isolation des Landes liegt hierin verwurzelt.

Rückzugsort für Radikale

Hinzu kommt die Entwicklung nach den Anschlägen in New York im Jahr 2001. Zwar lauten die Vorwürfe gegen Syrien nicht wie im Falle Irak oder Iran, dass das Regime an Atomwaffen bastle – das nehmen selbst die Vereinigten Staaten nicht an, das technische Niveau des Landes gibt derartige Unternehmungen wohl nicht her. Aber Syrien soll der Rückzugsort sein für viele Islamisten und radikale Untergrundkämpfer und jetzt auch für Anhänger des gestürzten Saddam-Regimes. So wird der ehemalige irakische Informationsminister Sahaf dort vermutet.

Angriff auf Syrien?

Die Vorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen, aber eine militärische Intervention der USA gegen Syrien wäre wahrscheinlich ein noch schwierigeres Unterfangen als im Falle Irak oder womöglich Iran. Auch wenn die Situation Syriens weit von einer freien Gesellschaft entfernt ist, hat das Regime nicht den despotischen Ruf der Saddam-Hussein-Herrschaft. Zudem nimmt Syrien im Nahost-Konflikt mit Israel eine entscheidendere Rolle ein: Saddam Hussein hatte mit den Aufständen im eigenen Land zu tun und kümmerte sich wenig um Palästina. Syrien ist viel enger in die politischen Prozesse verstrickt und wird von allen arabischen Ländern nach wie vor als Stimmangeber in der Krise wahrgenommen. Ein Angriff auf das Land wäre ein direkter Angriff auf die Position aller Araber in dem Konflikt.

Und so sind auch die seit Jahren wiederkehrenden Verbal-Attacken Washingtons zu sehen, als Versuch mit starken Worten kleine Schritte in eine neue Richtung zu bewirken.

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