Syrien-Deal: Türkei erwägt Handel mit Kurden aufzunehmen
21. Oktober 2025
Es könnte ein richtungsweisender Durchbruch werden: Mazloum Abdi, Hauptkommandant der von den USA unterstützten kurdischen Truppen in Syrien, hat verkündet, dass man sich mit der syrischen Zentralregierung grundsätzlich auf die Integration kurdischer Kräfte in die syrische Nationalarmee geeinigt hätte. Indes bestätigte die Außenbeauftragte der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyrien (AANES), Ilham Ahmed, Verhandlungen über die Wiedereröffnung der Grenzübergänge des Gebiets zur Türkei und sprach von einer Vorvereinbarung.
Wichtige Teil der Grenze weiter geschlossen
Die 911 Kilometer lange Grenze zwischen der Türkei und Syrien ist für beide Länder die längste Landgrenze. Während des syrischen Bürgerkriegs hielt die Türkei nur einzelne der elf Grenzübergänge eingeschränkt offen, die das Wirtschaftsministerium aufführt. Auf syrischer Seite wurden sie von verschiedenen, teils wechselnden bewaffneten Gruppen kontrolliert, drei Übergänge grenzen an die kurdisch verwalteten Gebiete im Nordosten Syriens.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes vor zehn Monaten haben sich die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Länder gut entwickelt. Der neue Machthaber in Syrien ist Ahmad al-Sharaa, der ehemalige Anführer einer Islamistenmiliz, die Ankara bereits während des Bürgerkriegs unterstützte.
Die Türkei sieht sich als wichtiger politischer Akteur in Syrien und strebt nun danach, auch wirtschaftlich von den neuen Verhältnissen zu profitieren. Dafür müsste sich die politische Stabilität in Syrien aber noch deutlich verbessern. Bisher aber halten Auseinandersetzungen der Regierung in Damaskus mit Minderheiten wie Drusen, Alawiten und Kurden an.
Kurdische Annäherung als Gamechanger
Schätzungen zufolge kontrollieren die Kurden ein Viertel bis ein Drittel des syrischen Territoriums. Fast die Hälfte der gemeinsamen Landgrenze zur Türkei verläuft durch die kurdisch kontrollierten Gebiete.
Nach mehr als 13 Jahren Krieg weckt die Annäherung zwischen Damaskus und den Kurden, die auf Druck der USA zustande gekommen sein soll, bei türkischen Unternehmern Hoffnungen auf gute Geschäfte mit ihren kurdischen Nachbarn.
Bisher sind die drei Grenzübergänge im Kurdengebiet geschlossen - aus Sicherheitsgründen, heißt es aus der Türkei. Für den Fall, dass diese - wie bereits die acht anderen - wieder geöffnet werden, rechnen Unternehmer in der Türkei umgehend mit einer Verdoppelung der Exporte nach Syrien von zwei auf vier Milliarden US-Dollar.
Ankaras Bedingung: syrische Grenzposten
Allerdings knüpft Ankara die Wiedereröffnung an eine klare Bedingung: Die Grenzregionen müssen von der syrischen Armee kontrolliert werden, nicht wie derzeit vom Militär des kurdischen Autonomiegebiets AANES, auch bekannt als Rojava.
Das AANES-Gebiet ist reich an Öl und Rohstoffen und wird von der Partei der Demokratischen Union (PYD) verwaltet, die enge Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) unterhält. Obwohl die PKK, die von Deutschland, der Türkei und vielen weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, Anfang des Jahres formell ihre Auflösung samt Niederlegung ihrer Waffen bekannt gegeben hat, ist der Friedensprozess seither kaum vorangekommen. Daher wird sie weiterhin hart von der Türkei bekämpft. Seit 2016 hat die türkische Armee auch in Syrien immer wieder Gebiete bombardiert, die von Kurden kontrolliert wurden, und unterhält weiterhin Truppenkontingente in syrischen Städten wie Afrin, Dscharablus und Azaz.
Entspannungspolitik als Wirtschaftsmotor
Die Entspannungspolitik ist für die türkische Wirtschaft schon jetzt ein Motor. Sahismail Bedirhanoglu, Vorsitzender des Vereins Südostanatolische Industrielle, berichtet, dass die türkischen Exporte nach Syrien seit dem Sturz des Assad-Regimes bereits um 50 Prozent gestiegen sind: "Wenn Damaskus und die Kurden sich auch einigen, hoffen wir, dass die anderen Grenzübergänge geöffnet werden und unsere Handelsbeziehungen zunehmen."
Der Unternehmer erinnert daran, dass Ankara auch die autonome Selbstverwaltung Irakisch-Kurdistans jahrelang kritisch betrachtete, bis vor 20 Jahren der Handel begann. Heute entfallen von den jährlichen Exporten in den Irak im Wert von 13 Milliarden US-Dollar 80 Prozent auf die kurdischen Gebiete. "Eine ähnliche Entwicklung wünschen wir uns auch für Syrien", sagt Bedirhanoglu.
Türkische Firmen drängen auf den Wiederaufbau
Auch Ahmet Fikret Kileci, Koordinator der Exporteure Südostanatolischer Verbände, ist zuversichtlich. Nach mehr als 13 Jahren seien in den vergangenen Monaten neue Land- und Seetransportwege eröffnet worden, sagt er: "Nach unseren bisherigen Erfahrungen können wir davon ausgehen, dass der Warenverkehr sich sehr schnell entwickeln wird."
Türkische Firmen exportierten mittlerweile nicht nur in die von der Türkei kontrollierten Gebiete, sondern auch in die anderen Regionen des Landes, so Kileci: "Vor allem der Wiederaufbau Syriens bietet viele Möglichkeiten. Wir können der Baubranche die dafür benötigten Stoffe Stoffe liefern: von chemischen Elementen über Zement, Stahl, Keramik bis hin zu Generatoren und Energiesystemen", betont Kileci.
Mehmet Kaya, Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer der kurdischen Metropole Diyarbakir, sieht Bedarf in praktisch allen Sektoren: "Nach einem Abkommen mit syrischen Kurden können wir diverse Produkte exportieren, von Lebensmitteln über Haushaltsgeräte bis hin zu Textilien oder Möbeln."
Wettlauf gegen China
Für Kaya ist der Ausbau der Handelsbeziehungen mit ganz Syrien eine dringende Angelegenheit. Er befürchtet, dass China den großen syrischen Markt für sich erobern könnte, sollte Ankara nicht zügig vorankommen. Chinesische Firmen drängten bereits über die Golfstaaten in die syrischen und irakischen Märkte und vergrößerten rasch ihre Anteile.
Seiner Meinung nach sollte Ankara daher nicht nur die Beziehungen zu Damaskus vertiefen, sondern auch die Wünsche und Bedürfnisse anderer Minderheiten in Syrien berücksichtigen. Andernfalls würden die Region und die türkische Wirtschaft darunter leiden. Kaya ist fest davon überzeugt, dass vor allem der Grenzübergang von der türkischen Stadt Nusaybin zu Qamischli auf der syrisch-kurdischen Seite innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten Handelstor der gesamten Region wird, sollte er bald eröffnet werden.
Allerdings misstraut die türkische Regierung der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien. Die von ihr kontrollierten Gebiete und Militärposten wird sie nicht leichtfertig aufgeben. Zudem berichten regierungsnahe türkische Tageszeitungen, dass Damaskus Ankara um militärische Ausbildung und Ausrüstung gebeten habe, was wiederum die Kurden misstrauisch macht. Welch dieser Meldungen wahr sind und welche lediglich als Gerüchte gestreut wurde, um einen Hebel bei den Verhandlungen zu erzeugen, könnte sich bald zeigen.