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Politik

Syrien, die Kurden und der IS

15. Januar 2018

Die USA planen im Norden Syriens den Aufbau einer so genannten Grenzschutztruppe. Die soll die Rückkehr der Terrororganisation "Islamischer Staat" verhindern. Doch regional und international sorgt der Plan für Aufregung.

Syrien YPG Kämpfer in Qamishli
Bild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

An seiner Haltung ließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan keinen Zweifel. Er werde die "Terrorarmee im Keim ersticken", kommentierte er die Pläne der USA, in der Provinz Idlib im Norden Syriens eine rund 30.000 Mann starke so genannte Grenzschutztruppe zu unterstützen und auszurüsten.

Den Präsidenten empört, dass diese Gruppe zur Hälfte aus Kämpfern der kurdischen Volksverteidigungseinheiten ("Yekîneyên Parastina Gel", YPG) besteht. Die YPG sind der bewaffnete Arm der kurdisch-syrischen "Partei der Demokratischen Union" (PYD). Diese steht der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahe.

Erdogan fürchtet, die Aufrüstung der YPG könne den kurdischen Nationalismus und Separatismus nicht nur in Syrien, sondern auch in der Türkei  neu beleben. "Amerika hat eingestanden, dabei zu sein, eine Terrorarmee an unserer Grenze zu schaffen", kommentierte er die US-Pläne.

Auch andere Akteure in der Region lehnen die Pläne der USA ab. Die syrische Regierung stört sich insbesondere daran, dass Amerika auch gemäßigte Assad-Gegner unterstützen will. Damaskus sprach von einer "schamlosen Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität" Syriens.  

"Boots on the ground"

Die USA unterstützen die beiden Gruppen seit dem Sturm auf die Stadt Raqqa im Norden Syriens, die die Dschihadistenorganisation "Islamischer Staat" (IS) 2013 unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Im Mai 2016 begann die Widereroberung der Stadt, ganz wesentlich vorangetrieben von den gemäßigten Assad-Gegner und den Volksverteidigungseinheiten. Dabei wurden sie von den USA und der Internationalen Anti-IS-Allianz, bestehend aus den USA und mehreren arabischen Ländern, vorneweg Saudi-Arabien, unterstützt. Mitte Oktober hatten die Truppen die Stadt vom IS befreit.

Weitgehend zerstört: Idlib nach der Befreiung vom "Islamischen Staat"Bild: picture-alliance

Die USA verfolgten mit der Schaffung oder Unterstützung der Grenzschutztruppen zweierlei Ziele, sagt der Syrienexperte André Bank vom GIGA-Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Zum einen wollten sie ein neuerliches Wiederaufflammen des IS verhindern. "Dafür brauchen sie starke "boots on the ground", also schlagkräftige Bodentruppen. Nachdem die IS-Kämpfer nach der Eroberung von Raqqa und Der Ez-Zoor in den Irak geflohen sind, sollen sie nicht nach Syrien zurückkehren können. Das lässt sich nur mit einer größeren Gruppe verhindern."

Handel mit vielen Fragezeichen

Das zweite Motiv der USA sei von eher geostrategischer Natur. "Es geht darum, lokale Verbündete zu haben, die den Einfluss Irans eindämmen. Nach jahrelangem Engagement im Syrien-Krieg ist der zumindest auf dem Boden erheblich größer als der Russlands." Zwar sei fraglich, dass die nun entstehende Truppe den iranischen Revolutionsgarden militärisch gewachsen sei. Doch sei sie ein Zeichen, dass die Amerikaner entschlossen seien sich dem Einfluss Irans in Syrien entgegenzustellen.

Dieses Ansinnen stößt auch auf russischer Seite auf wenig Gegenliebe. Das Vorhaben der USA sei ein "big deal", ein "gutes Geschäft", erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow - allerdings eines, das eine "Menge Fragezeichen" aufwerfe.

Die Fragezeichen dürften sich vor allem auf die bisher gültige stillschweigende Übereinkunft zwischen Russland und den USA beziehen. Zum einen hat Russland Interesse daran, dass die - relative - Waffenruhe in Syrien weiter Bestand hat. Zum anderen will es Assad weiter an der Macht sehen, da Moskaus Einfluss in dem Land auf das engste mit dessen Herrschaft verbunden ist.

Eine neue geostrategische Konstallation?

Eben diese Konstellation stellten die USA nun aber grundlegend in Frage, so André Bank. Bislang nämlich habe Donald Trump den Syrienkonflikt weitgehend den Russen überlassen. So etwa hätte Washington im vergangenen Jahr keine eigene Verhandlungsinitiative gestartet, sondern sämtliche Impulse den Russen überlassen. Das habe sich vor allem in dem wesentlich von Moskau lancierten Astana-Prozess gezeigt. "Nun aber scheint es, dass man die jüngste US-Initiative in Moskau als Infragestellen mit der bisherigen Übereinkunft wahrnimmt."

Denn zum einen sei die geplante Grenzschutztruppe zwar ein Bollwerk gegen den IS. "Zugleich ist es aber offen, wie sich diese 30.000 Kämpfer künftig gegenüber den Truppen Assads oder den iranisch dominierten Milizen verhalten. Die Initiative stellt aus russischer Sicht also einen Unsicherheitsfaktor dar."

Die kurdische Frage

Grenzübeschreitung: Türkisches Militär auf dem Weg nach IdlibBild: Getty Images/AFP/O. Haj Kadour

Noch komplizierter wird die Lage durch die starke Präsenz der syrischen Kurden in der neuen Truppe. Die PYD habe keinerlei Absichten, einen eigenen, von Syrien unabhängigen Staat zu errichten, sagt Newaf Khalil, Leiter des Kurdischen Studienzentrums in Bochum, gegenüber der DW. Die syrischen Kurden wollten ihre Gesellschaft innerhalb des syrischen Staates entwickeln. Das hätten auch die USA erkannt und sähen die kurdische Initiative geradezu als modellhaft für die Region. Darum dürfte die Türkei die neu gegründete Grenzschutztruppe auch nicht angreifen. "Darum richten sich auch Erdogans Drohungen vor allem an das türkische Publikum."

Allerdings verlegt die Türkei bereits seit geraumer Zeit Truppen und militärisches Gerät in die Region - sehr zum Ärger der Regierung in Damaskus, die darin eine eklatante Verletzung der syrischen Souveränität sieht.

Das aber beeindruckt die Regierung in Ankara offenbar wenig. "Die Türkei sieht ihre nationale Sicherheit als Rote Linie an", erklärt der türkische Politologe Yousef Kateb Oglu gegenüber der DW. "Darum kann sie keine terroristische Organisation an ihrer Grenze dulden."

Gefahr der Eskalation

Noch ist offen, wie die Türkei reagieren wird. Eine Eskalation sei aber denkbar, so André Bank vom GIGA-Institut für Nahost-Studien. Dem aber dürften Russland und Iran entgegenwirken, die den Konflikt im Norden Syriens nicht weiter eskalieren lassen wollten. "Denn Moskau und Teheran wollen sich weiter auf die noch von den Rebellen kontrollierten Gebieten konzentrieren - die Provinz Idlib, das Umland von Damaskus sowie Teile im Süden, an der Grenze zu Jordanien."

Sie alle seien im Laufe des Astana-Prozesses zwar offiziell zu so genannten Deeskalationszonen erklärt worden, in denen die Zivilbevölkerung sicher sei. " Aber tatsächlich sind es die neuen Eskalationszonen. Das militärische Interesse der Akteure liegt auf diesen Gebieten."

Es scheint, als betrieben die USA einen riskanten Plan. Die Dschihidisten des IS könnten durch die neue Grenzschutztruppe zwar außer Landes gehalten werden. Läuft es aber schlecht, könnten im Norden Syriens dafür Konflikte anderer Art ausbrechen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika