Syrien: Drusen und Kurden kritisieren Ausschluss von Wahlen
1. September 2025
In diesem September wählen die Syrer ein neues Parlament. Allerdings wird sich nicht die gesamte Bevölkerung Syriens an dem Urnengang beteiligen. Drei von ethnischen und konfessionellen Minderheiten dominierte Regionen würden aufgrund von Sicherheitsbedenken und fehlender zentraler Kontrolle nicht berücksichtigt, gab Hassan al-Daghim, Sprecher der Obersten Wahlkommission in Damaskus, kürzlich gegenüber der syrischen Nachrichtenagentur SANA bekannt.
Die Wahlen in der drusisch dominierten Provinz Suaida sowie in den kurdisch dominierten Regionen Hasaka und Rakka würden verschoben, bis "die Umstände es erlauben", sie abzuhalten, so al-Daghim. Vorerst könnten die für den 15. bis 20. September angesetzten Wahlen nur in Gebieten durchgeführt werden, die vollständig unter staatlicher Kontrolle stünden.
Die zugewiesenen Sitze für diese drei Provinzen - in ihnen leben mehr als fünf Millionen Menschen - blieben solange unbesetzt, bis dort Wahlen abgehalten werden können, fügte al-Daghim hinzu.
"Die Vertreter dieser Regionen ziehen es derzeit vor, außerhalb des Staates zu sein", sagt Jerome Drevon, Analyst des Think Tanks International Crisis Group. "Da sie die Regierung nicht anerkennen, besetzen sie auch die ihnen zugewiesenen Sitze nicht."
Er gehe davon aus, dass Interimspräsident Ahmed al-Scharaa die Sitze der betroffenen Regionen nicht neu verteilen wolle, so Drevon. "Er knüpft die Wahlbeteiligung an die Voraussetzung, dass die Bewohner der Provinzen die Zentralregierung in Damaskus anerkennen." Die Teilnahme hänge darum ebenso von den Vertretern der Drusen und Kurden wie von der Regierung ab.
Kurdische und drusische Minderheiten gegen Abstimmung
Die kurdisch geführte Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens (AANES), die mit der Zentralregierung derzeit wegen der Integration kurdischer Streitkräfte in die Nationalarmee von Damaskus und der Autorität über die kurdischen Gebiete im Streit liegt, bezeichnete den Ausschluss als "undemokratisch".
Die "Definition unserer Regionen als 'unsicher' dient dazu, den Ausschluss von mehr als fünf Millionen Syrern zu rechtfertigen", teilte die AANES in einer Erklärung mit. Jede Entscheidung, die aufgrund eines Ausschlusses zustande komme, betrachte man als ungültig, heißt es in der Erklärung weiter. "Für die Ethnien und Regionen Nord- und Ostsyriens betrachten wir sie als nicht bindend."
In der südlichen Region Suaida reagierte der umstrittene Führer der Drusen, Scheich Hikmat Salman al-Hidschri, auf die Entscheidung Damaskus' mit erneuten Forderungen nach drusischer Autonomie. Er setze sich dafür ein, dass sich die bewaffneten Fraktionen der Minderheit zusammenschlössen, sagte al-Hidschri in einer Erklärung. Die Regierung in Damaskus bezeichnet er als "extremistisch".
Fragiler Waffenstillstand
Zwar ist der derzeitige Waffenstillstand in Suaida weitgehend stabil. Doch der humanitäre Zugang wird Berichten zufolge weiterhin von regierungsgeführten Streitkräften eingeschränkt. Die Regierung in Damaskus widerspricht diesen Informationen. Zehntausende Menschen sind allerdings weiterhin vertrieben.
Die Gewalt in Suaida könne jederzeit wieder aufflammen, sagte Geir Pedersen, der oberste UN-Gesandte für Syrien, letzte Woche vor dem UN-Sicherheitsrat. Ein Monat relativer militärischer Ruhe könne nicht über das sich verschlechternde politische Klima hinwegtäuschen, sagte er in einem Videobriefing am 21. August. Die Eskalations-Rhetorik verschärfe sich.
"Die Gefahr eines erneuten Konflikts ist allgegenwärtig, ebenso wie die politischen Fliehkräfte, die Syriens Souveränität, Einheit, Unabhängigkeit und territoriale Integrität bedrohen", sagte Pedersen. Die Sicherheitskräfte unter der von al-Sharaa geführten Übergangsregierung müssten nun zeigen, dass sie zum Schutz aller Syrer handelten.
Seit er nach dem Sturz des langjährigen Diktators Baschar al-Assad im Dezember die Macht übernahm, hat Ahmed al-Scharaa, ehemals Anführer der islamistischen Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), jede Form einer dezentralen Regierung oder Teilung des Landes abgelehnt. Allerdings hat er wiederholt versprochen, die Rechte von Minderheiten zu respektieren und eine inklusive Regierung zu bilden, die die vielfältige ethnische und religiöse Zusammensetzung Syriens spiegelt.
Die Macht des Präsidenten
Im März unterzeichnete al-Scharaa allerdings eine Verfassungserklärung, auf deren Grundlage er ein Drittel der 210 Mitglieder der Versammlung selbst ernennen kann. Die restlichen zwei Drittel werden von Wahlgremien unter der Aufsicht eines elfköpfigen "Obersten Komitees" bestimmt. Dieses wird ebenfalls von al-Scharaa ernannt.
Das Oberste Komitee ist für die Bildung von Unterausschüssen in jeder der 14 syrischen Provinzen verantwortlich. Diese Unterausschüsse wählen Gremien von 30 bis 50 Personen, die ihrerseits dann die registrierten Kandidaten wählen. So werden Syriens erste Parlamentswahlen seit dem Sturz des Assad-Regimes nicht direkt sein, sondern indirekt, über Wahlmänner und -frauen, stattfinden.
Allerdings seien Direktwahlen angesichts der durch 14 Jahre Bürgerkrieg schwer beschädigten Infrastruktur und Logistik zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch, sagte die Nahost-Expertin Birgit Schaebler von der Universität Erfurt und bis 2022 Direktorin des Orient-Instituts in Beirut, Anfang August der DW.
Einem aktuellen Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zufolge sind weiterhin zwischen 7 und 7,4 Millionen Menschen innerhalb Syriens vertrieben. Weitere rund 6,2 Millionen syrische Flüchtlinge leben weiterhin ständig im Ausland. Zusammen stellen beide Gruppen etwa die Hälfte der syrischen Gesamtbevölkerung.
Legitimität der Wahlen "ausgesprochen fragwürdig"
"Die Legitimität der Parlamentswahlen ist ohnehin fraglich, und der Rückzug wichtiger Gruppen untergräbt die Legitimität des gesamten Prozesses weiter", sagt Bente Scheller, Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika der deutschen politischen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, gegenüber der DW.
"Die Ankündigung, drei von Minderheiten dominierte Regionen von der Teilnahme an den Parlamentswahlen auszuschließen, schwächen al-Scharaa und werfen einen noch größeren Schatten auf seine Präsidentschaft."
Trotz des Ausschlusses der drei Regionen hält Scheller es für ein positives Zeichen, dass die Wahl überhaupt stattfinden wird. "Zwar steht die Mehrheit der syrischen Bevölkerung der bevorstehenden Wahl weiterhin kritisch gegenüber. Dennoch könnte diese Wahl entscheidend dazu beitragen, das Vertrauen in die derzeitige syrische Regierung entweder zu untergraben oder wiederherzustellen", so Scheller.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.