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Politik

Syrien-Gipfel: Die deutschen Interessen

Kersten Knipp | Abbas Al-Khashali
27. Oktober 2018

In Istanbul kommen die Präsidenten der Türkei, Russlands und Frankreichs sowie die deutsche Kanzlerin zusammen, um über die Zukunft Syriens zu beraten. Deutschland hat klare Ziele und einiges zu bieten.

Syrien Protest gegen die Regierung
Für Syrien, gegen die Regierung: Anti-Asssad-Demonstration in Hazzanu, nahe der Stadt Idlib, September 2018Bild: Getty Images/AFP/A. Watad

Ahmad Taher Mustafa hatte Glück. Nur einen Tag, nachdem eine kriminelle Gang ihn Mitte Oktober nahe Afrin entführt hatte, gelang es einer zivilen Brigade, ihn wieder zu befreien. Körperlich unversehrt, konnte der neun Jahre alte Schüler zu seiner Familie zurückkehren.

Die glimpflich verlaufene Entführung wirft ein Schlaglicht auf die prekäre Sicherheitslage im nördlichen Syrien. Besonders beunruhigend, sei der Umstand gewesen, dass sich unter den Entführern auch ehemalige Mitglieder der Rebellenorganisation "Freie Syrische Armee" (FSA) befanden, schreibt das mit der Politik im Nahen Osten befasste Internetmagazin "Al-Monitor" unter Hinweis auf eine nicht genannte Quelle.

Dass sich ausgerechnet Mitglieder der FSA, die den Aufstand gegen die Regierung Assad im Namen freiheitlicher Motive in den ersten Jahren an zentraler Stelle mitgetragen hatten, in eine kriminelle Gruppe verwandelt haben, zeigt, wie sehr der bald acht Jahre dauernde Krieg ihren Motiven und ihrer ethischen Haltung zugesetzt hat. Die Kämpfe haben den Charakter zumindest einiger Truppenteile der FSA verwandelt - ungeachtet des Umstands, dass es auch Mitglieder der FSA waren, die den Jungen befreiten.

Sorge um Sicherheit und Stabilität

Doch nicht nur im Norden, auch in anderen Regionen Syriens steht es weiterhin schlecht um die Sicherheit. Heikel ist die Lage insbesondere rund um die von dschihadistischen Gruppen beherrschte Region Idlib. Die syrische Regierung, unterstützt von Russland und dem Iran, denkt daran, die Region zu stürmen. Noch aber schrecken die Akteure vor dem Blutbad vor allem unter Zivilisten zurück, das eine militärische Rückeroberung mit sich bringen würde.

Willkür und Raub: Arabische Milizen bei Plünderungen nach der Einnahme von Afrin, März 2018Bild: Getty Images/AFP/B. Kilic

Die Situation um Idlib dürfte im Zentrum des internationalen Syrien-Gipfeltreffens an diesem Samstag stehen, an dem neben der Türkei, Russland und Frankreich auch Deutschland teilnehmen wird. Als weiteres mögliches Thema gilt eine neue syrische Verfassung oder die Gründung einer verfassungsgebenden Versammlung.

Deutsches Engagement für Waffenruhe

Für Deutschland dürfte bei dem Treffen die Flüchtlingsfrage im Vordergrund stehen, sagt Kristian Brakel, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. "Deutschland will zusammen mit der Türkei dafür sorgen, dass sich nicht noch mehr Syrer auf den Weg in die Türkei machen. Bereits jetzt beherbergt die Türkei ja über drei Millionen syrische Flüchtlinge. Darum gab es in der Türkei und indirekt auch in Deutschland erhebliche Sorgen, dass es zu einer militärischen Offensive auf Idlib kommen könnte."

Beide Länder, die Türkei ebenso wie Deutschland, stehen in der Flüchtlingsfrage unter Druck. Im Osten der Türkei komme es wegen der Flüchtlinge immer wieder zu Ausschreitungen, sagt Brakel im DW-Interview. In Deutschland hingegen spielte die Flüchtlingsfrage nicht nur bei der Bundestagswahl im September 2017 eine erhebliche Rolle. Auch bei den Landtagswahlen hat sie eine Bedeutung - obwohl sie von den meisten Parteien im Wahlkampf nicht offen thematisiert wird. "Beide Seiten - Deutschland ebenso wie die Türkei - sind daran interessiert, die Situation zumindest so stabil zu halten, so dass nicht mit weiteren Bewegungen flüchtender Menschen zu rechnen ist", sagt Brakel.

Szene aus Idlib, September 2018Bild: picture-alliance/dpa/DHA/U. Can

Die Rolle einer neuen Verfassung 

Indirekt verbunden mit der Debatte um Idlib ist darum die Frage einer neuen Verfassung. Auch sie ist ein wichtiges Signal, national wie international. Ihre Ausrichtung dürfte für viele Geflüchtete eine entscheidende Rolle bei der Frage spielen, ob sie irgendwann nach Syrien zurückkehren oder es vorziehen, nach Möglichkeit im Ausland zu bleiben. Ebenso dürfte sie einen Einfluss darauf haben, wie schnell sich das Land nach einem Ende der Kämpfe wieder befrieden und stabilisieren lässt.

Sieben westliche und arabische Staaten, darunter auch Deutschland, hatten im September dieses Jahres die Vereinten Nationen dazu aufgerufen, so schnell wie möglich die Erarbeitung einer Verfassung für das Bürgerkriegsland Syrien auf den Weg zu bringen. Dazu solle ein Ausschuss mit Vertretern aller Seiten gebildet werden, hieß es in einer Erklärung. Ziel sei es, die Grundlage für freie und faire Wahlen unter UN-Aufsicht zu schaffen, an denen alle wahlberechtigten Syrer - auch die geflüchteten - teilnehmen dürfen. Eine internationale Ausarbeitung der Verfassung hat die syrische Regierung bislang zurückgewiesen. Dies sei eine rein syrische Angelegenheit, erklärte der syrische Außenminister Walid al-Muallim.

Russland: die Kosten des Krieges

Syriens Schutzmacht Russland spricht sich zwar auch für eine allein von den Syrern zu erarbeitende Verfassung aus. Allerdings, das erwartet der russische Nahost-Experte Taimour Dwida, könnte die Regierung in Moskau durchaus Entgegenkommen zeigen. "Der Kreml will seine militärischen Operationen in Syrien beenden. Die belasten die russische Wirtschaft massiv; außerdem steht der Krieg verbesserten Beziehungen zu den USA und Israel im Weg", sagt Dwida im DW-Interview.

Angewiesen auf Verbündete: der syrische Präsident Baschar al-AssadBild: picture-alliance/AP Photo/Syrian Presidency

Und noch etwas spreche dafür, dass Russland in der Frage der syrischen Verfassung zu den westlichen Staaten nicht auf Fundamentalopposition gehen dürfte, erklärt Kristian Brakel: "Die Russen sehen dem Wiederaufbau des Landes entgegen. Sie wollen natürlich, dass sich andere Länder daran beteiligen. Es geht um viele Milliarden Dollar über einen Zeitraum von vielleicht 15 bis 20 Jahren. Dieses Geld haben weder Russland noch der Iran. Auch die Golfstaaten sind bislang nicht bereit, sich wesentlich zu beteiligen."

Die Schwäche Assads

Darum sei Russland auf Deutschland angewiesen - zum einen zur direkten Finanzierung. Zum anderen aber auch, um im Westen für diese Finanzierung zu werben. "Die Russen haben durchaus ein Interesse, Deutschland an Bord zu haben", sagt Brakel.

Bereits im Krieg konnte sich die syrische Regierung nur mit Hilfe ihrer Verbündeten halten. Es scheint, als habe sie auch bei den Gesprächen über den sich abzeichnenden Waffenstillstand das Heft nicht in der Hand. Baschar al-Assad steht an der Spitze einer Regierung, die zunächst militärisch und nun auch politisch an Autonomie verloren hat.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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