Millionen von Menschen in Idlib bekommen Hilfslieferungen über nur einen Grenzübergang. Doch dieser drohte zu schließen. In letzter Sekunde einigte sich der UN-Sicherheitsrat: Die Grenze bleibt ein weiteres Jahr offen.
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Seit mehr als zehn Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Besonders umkämpft: die Provinz Idlib im Nordwesten des Landes. Die Stadt gilt seit Jahren als letzte verbliebene Rebellenhochburg im Land. In ihrem Umland leben zurzeit drei bis vier Millionen Menschen, über ein Viertel von ihnen in überfüllten Flüchtlingslagern.
Kampf auf Leben und Tod
Überleben können die Menschen in der Provinz allein dank internationaler Hilfslieferungen. Doch diese kommen nur über einen einzigen Grenzübergang namens Bab al-Hawa. Dieser liegt an der Grenze zur Türkei, rund 40 Kilometer westlich der Stadt Idlib. Dass diese Hilfen überhaupt geliefert werden dürfen, muss jährlich neu im UN-Sicherheitsrat verhandelt werden. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen versuchen immer wieder, auf diese prekäre Situation aufmerksam zu machen.
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Der einzige Weg
2014 hatte der UN-Sicherheitsrat beschlossen, vier Grenzübergänge für humanitäre Hilfslieferungen nach Syrien offenzuhalten. In den ersten Jahren gelangten die Hilfen über diese vier Wege aus der Türkei, dem Irak und Jordanien nach Syrien. Heute ist aufgrund einer russischen Blockadehaltung nur noch einer geöffnet. Seit 2014 ist es für Hilfsorganisationen immer schwerer geworden, Lebensmittel und Medikamente in die umkämpfte Provinz zu liefern. Moskau als wichtigster Verbündeter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad möchte eigentlich, dass die Lieferungen durch die syrische Hauptstadt Damaskus geleitet werden und drohte daher, auch diesen letzten Grenzübergang nach Idlib per Veto im UN-Sicherheitsrat zu schließen.
Die entscheidenden Supermächte
Dies konnten die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrates quasi in letzter Sekunde verhindern. Die Regelung zur Offenhaltung der Grenze wäre in der Nacht zu Samstag ausgelaufen. Nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist einigte sich das Gremium auf eine Verlängerung der Resolution um weitere zwölf Monate. Dass Russland die Verlängerung der bestehenden Regelung akzeptierte, dürfte Beobachtern zufolge auch an den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Moskaus zur Türkei gelegen haben. Ankara befürchtet, dass eine Schließung des Grenzübergangs von Bab al-Hawa einen Strom von Flüchtlingen aus dem Nordwesten Syriens in die Türkei nach sich gezogen hätte.
Eine humanitäre Katastrophe
Auch Hilfsorganisationen hatten zuletzt eindringlich davor gewarnt, dass eine Nicht-Verlängerung des UN-Mandats sowohl in Idlib als auch in anderen Provinzen Syriens eine humanitäre Katastrophe auslösen würde. Amnesty International zufolge hätten in diesem Fall mindestens eine Million Menschen keinen Zugang mehr zu Lebensmitteln, Impfstoffen und Wasser gehabt. Laut Human Rights Watch sind rund drei Viertel der Menschen in der Provinz Idlib auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es gibt in der gesamten Provinz nur noch drei funktionierende Krankenhäuser.
Erst Ende Juni hatte das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) erklärt, dass sich Syrien in Bezug auf die Ernährungssicherheit in der schlimmsten Situation seit Anfang des Krieges befinde. Der Sprecher des WFP, Tomson Phiri sagte, dass die Nahrungsversorgung für mehr als 10 Millionen Menschen nicht gesichert sei. "60 Prozent der syrischen Bevölkerung weiß nicht, ob sie morgen genug zu essen haben", so Phiri.
Syrien: Bilder aus zehn Jahren Krieg
Es sind bemerkenswerte Dokumente der Zeitgeschichte, die das UN-Amt für humanitäre Angelegenheiten jetzt zusammengetragen hat. Einheimische Fotografen haben den Alltag im kriegsgeschüttelten Syrien dokumentiert.
Bild: Ghaith Alsayed/OCHA
Zerstörte Erinnerungen in Rakka
Rakka, 2019. Eine Frau schiebt einen Kinderwagen durch die zerstörte Stadtlandschaft. Fotograf Abood Hamam sagt: "2017 begann ich, meine Heimatstadt zu fotografieren. Mit jeder Ecke hier verbinden mich Erinnerungen. Sie haben all das zerstört. Meine Bilder werden mal historische Dokumente sein."
Bild: Abood Hamam/OCHA
Ein Bild, unendliche Trauer
Idlib, 2020: Zwei Söhne trauern nach einem Bombenangriff um ihre Mutter. Fotograf Ghaith Alsayed selbst war 17, als der Krieg begann. Auch sein Bruder kam bei einem Bombenangriff ums Leben. "Als ich das Foto machte, kam der ganze Horror wieder in mir auf, als mein Bruder umkam. Und unvermittelt fing ich selbst an zu weinen".
Bild: Ghaith Alsayed/OCHA
Verloren in Trümmern
Binish, im April 2020. Eine Frau und ihre Tochter. In der Aufnahme von Mohannad Zayat erscheinen sie wie winzige Wesen in einer unendlichen Trümmerwüste. Sie haben in einer zerstörten Schule Schutz gefunden. Ein gefährliches Obdach. Doch besser als nichts. Im nahe gelegenen Camp für Binnenflüchtlinge war kein Zeltplatz mehr frei.
Bild: Mohannad Zayat/OCHA
Trinken aus dem Bombenkrater
Juni 2013, Aleppo: Eine Wasserleitung wird bei einem Angriff zerstört. Sofort beginnt ein Junge, aus dem vollgelaufenen Bombenkrater zu trinken. Fotograf Muzzafar Salman: "Damals sagten einige, das Bild sei unrealistisch. Und: Ich hätte ihm besser sauberes Wasser geben sollen. Ich glaube aber, um die Realität abzuändern, ist es wichtig, sie erstmal abzubilden, wie sie ist."
Bild: Muzaffar Salman/OCHA
Flucht aus Ghouta
Auf der Flucht aus Ghouta im März 2018 trägt ein Mann sein Kind in einem Koffer zum Exit-Point, der den Weg in die Freiheit ebnen soll. Fotograf Omar Sanadiki schreibt dazu: "Der Krieg in Syrien hat ja nicht nur das Land verändert. Er hat auch uns verändert - wie wir auf die Menschen schauen und, wie wir fotografieren und damit humanitäre Botschaften an die Welt senden".
Bild: Omar Sanadiki/OCHA
Weiterleben und durchhalten
Ein Vorort von Damaskus, 2017: Umm Mohammed und ihr Mann sitzen in ihrem zerstörten Haus - als sei nichts gewesen. Fotograf Sameer Al-Doumy erzählt: "Diese Frau ist eine der beeindruckendsten Personen, die ich traf. Sie wurde schwer verletzt und kurz darauf auch ihr Mann. Sie blieb im Haus, um ihn weiter zu versorgen. Ihre Widerstandsfähigkeit spiegelt für mich das wahre Gesicht der Syrer wider".
Bild: Sameer Al-Doumy/OCHA/AFP
Eine Mutter trauert um ihren Sohn
Region Daraa, 2017. Es gibt nichts zu feiern am Zuckerfest. Fotograf Mohamad Abazeed berichtet: "2017 begleitete ich diese Frau dabei, wie sie am ersten Tag des Eid-al Fitr das Grab ihres Sohnes besuchte. Ich selbst musste dabei weinen, wischte die Tränen aber weg, um überhaupt in der Lage zu sein, zu fotografieren".
Bild: Mohamad Abazeed/OCHA
Kindheit im Rollstuhl
Damaskus, im Dezember 2013. Die fünfjährige Aya wartet im Rollstuhl darauf, dass ihr Vater ihr Essen macht. Sie war auf dem Schulweg, als eine Granate sie traf. "Ich trug an dem Tag meine braunen Schuhe. Erst sah ich, wie der Schuh durch die Luft flog, und dann sah ich, mein Bein flog einfach mit".
Bild: Carole Alfarah/OCHA
Syrische Stuntmen
In Kafr Nouran in der Nähe von Aleppo haben syrische Athleten die Trümmerlandschaft in einen Parcours für gewagte akrobatische Übungen verwandelt. Das Foto von Anas Alkharboutli zeigt: Urbaner Action-Sport und Stunts funktionieren offenbar auch inmitten von Betonruinen.
Bild: Anas Alkharboutli/OCHA/picture alliance/dpa
Hoffnung auf einen Neuanfang
Nach dem Unterzeichnen einer Waffenruhe kehrt eine Familie 2020 in ihre Heimat südlich von Idlib zurück. Ali Haj Suleiman schoss das Foto mit gemischten Gefühlen: "Ich freute mich für die Leute, die in ihr Heimatdorf zurückkönnen. Und war traurig, denn ich selbst wurde auch vertrieben - und kann nicht zurück."
Bild: Ali Haj Suleiman/OCHA
Römisches Erbe
Auch das ist Syrien im Krieg: Das römische Amphitheater von Bosra in der Region Daraa. 2018 wurde es von heftigen Regenfällen überflutet. Hinweis: Die UN-Organisation UNOCHA hat alle Fotos dieser Galerie bereitgestellt, kann aber nicht für die Richtigkeit der durch Drittparteien bereitgestellten Informationen garantieren. Die Zusammenarbeit mit diesen bedeutet keine Gemeinmachung durch die UN.