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PolitikNahost

Eine Coronavirus-Infektion im Kriegsgebiet

Diana Hodali
24. Oktober 2020

In der syrischen Provinz Idlib infizieren sich immer mehr Menschen mit SARS-CoV-2. Auch Huda Khayti wurde positiv getestet und hat starke Symptome. Doch nicht nur die Sorge vor einer weiteren Ausbreitung wächst.

Syrien Corona l Desinfektion im Camp bei Idlib
Bild: Aaref Watad/AFP/Getty Images

Huda Khayti hustet noch sehr stark. Sie klingt erschöpft. "Ich hoffe, dass das bald vorbei ist." Vor zwei Wochen hatte sich die junge Frau in Idlib Stadt auf eine Corona-Infektion testen lassen. Das Ergebnis: positiv. "Es begann mit starken Kopfschmerzen, dann kamen Gliederschmerzen dazu", sagte sie. Da habe sie gewusst, dass sie sich möglicherweise angesteckt hatte.

Khayti hatte wenige Tage zuvor eine Bekannte getroffen, die kurz darauf Symptome entwickelte, sich testen lies und Corona-positiv war. "Sie hat mich sofort darüber informiert", sagt sie. "Ich habe kurz darauf selbst Symptome entwickelt, habe das lokale Gesundheitsbüro in Idlib informiert. Sie haben mich unter Sicherheitsvorkehrungen abgeholt und mich in der Einrichtung getestet."

Corona-Symptome wurden täglich stärker

Gute 24 Stunden später hatte sie Gewissheit. In den Tagen darauf seien die Symptome stärker geworden, berichtet sie. Brustkorbschmerzen, starker Husten, extreme Abgeschlagenheit, weder Geruchs- noch Geschmackssinn. Fieber hat sie nicht. "Ich liege seit zwei Wochen im Bett. Es geht mir zwar besser, aber die Symptome sind noch da." Huda Khayti ist alleinstehend. Freunde bringen ihr Nahrungsmittel vor die Wohnungstür. "Ich habe keine Medikamente, daher bringen sie mir viel Obst, damit ich meine Abwehr stärke." Als die Symptome noch besonders stark waren, erzählt sie, habe sie sich Sorgen gemacht, so ganz allein. "Jetzt hoffe ich nur noch, dass es bald vorbeigeht", sagt sie und bemüht sich optimistisch zu klingen.

Huda Khayti (rechts) bei einem der Corona-Aufklärungsworkshops im Frauenzentrum IdlibBild: H. Khayti

Aufklärung über COVID-19

Seit dem Frühjahr 2018 leitet Huda Khayti ein Frauenzentrum in Idlib. Sie selbst war damals allein nach Idlib gekommen als demokratische Oppositionelle und Rebellengruppen gleichermaßen in die Provinz gebracht wurden, die von der extremistisch-islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) kontrolliert wird - weit weg vom Assad-Regime. Idlib ist damit die letzte verbliebene Rebellenhochburg Syriens.

Huda Khayti klingt ein bisschen verzweifelt über die Tatsache, dass sie sich infiziert hat, denn im Frauenzentrum steht das Thema Corona-Aufklärung an oberster Stelle. Dort reden die Mitarbeiterinnen mit den Frauen über Corona-Symptome, über die nötige Hygiene, über Abstandsregeln und auch wie Masken selber gemacht werden können. "Ich trage eigentlich immer Maske und halte Abstand, aber es hat mich eben doch erwischt", sagte sie.

Kaum Testkapazitäten für vier Millionen Menschen

Khayti weiß, dass sie zu den Wenigen gehört, die überhaupt in der Region getestet werden. "Die Versorgungslage im Nordwesten Syriens ist im Allgemeinen sehr schlecht", sagt Till Küster, Syrien-Koordinator der Organisation Medico International. „Einerseits werden zwar viele Hilfslieferungen nach Idlib organisiert, diese sind aber aufgrund der prekären Situation vor Ort nie ausreichend. Von daher ist die Versorgung von Coronainfizierten nie ausreichend und äußerst kritisch."

Das bestätigt auch Huda Khayti. "Die Mitarbeiter in den Gesundheitsbüros tun, was sie können, aber da es viel zu wenige Tests und Medikamente gibt, stoßen sie an ihre Grenzen."

Till Küster ist Syrien-Koordinator bei Medico InternationalBild: Medico International

„Das Virus ist mittlerweile in der ganzen Region"

Nach offiziellen Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollen bisher 3498 Menschen im Nordwesten Syriens mit COVID-19 infiziertgewesen sein. 2026 Fälle sollen noch aktiv sein. 21 Menschen sollen an den Folgen des Coronavirus gestorben sein. (Stand 23.10.2020). Das klingt für eine Region mit vier Millionen Zivilisten erstmal nicht nach einer hohen Infektionsrate. Doch seit März wurden insgesamt erst 20.000 Tests durchgeführt.

Küster geht davon aus, dass die Dunkelziffern viel höher sind. "Wie hoch sie sind können unsere Partnerinnen vor Ort nicht sagen, und auch über die WHO dringen keine Schätzungen nach außen", sagt er. "Meiner Meinung nach ist das größte Versäumnis der internationalen Hilfsgemeinschaft, dass die Testkapazitäten seit März für Idlib nicht ausgeweitet wurden. So hat man überhaupt kein klares Bild darüber, wie weit das Virus schon verbreitet ist."

Medico International unterstützt das Frauenzentrum unter der Leitung Huda Khaytis seit 2018. Neben den Workshops versorgt Khaytis Team etwa 1000 Familien pro Monat in den Flüchtlingslagern an der Grenze zur Türkei mit Hygienekits. Über 900.000 Menschen harren dort seit Jahren aus.

"Das Virus ist mittlerweile in der ganzen Region", schätzt Huda Khayti. Es sei sowohl in Idlib-Stadt weit verbreitet, als auch in den Flüchtlingslagern. Doch in den Lagern sind die hygienischen Bedingungen besonders schlecht: Kaum fließend Wasser, bis zu 15 Menschen in einem Zelt. An Abstand ist da nicht zu denken.

Die hygienischen Bedingungen sind in den Flüchtlingslagern an der türkischen Grenze besonders schlecht Bild: picture-alliance/dpa/A. Alkharboutli

Armut treibt auch Erkrankte zur Arbeit

Mitte Juli gab es den ersten offiziellen Corona-Fall in der Region Idlib. Ein syrischer Arzt war aus der Türkei gekommen, um im Krankenhaus Bab el Hawa zu arbeiten und wurde positiv getestet. Allerdings gehen viele Beobachter davon aus, dass das Virus schon lange vorher die Region erreicht hatte. "Bereits in den Jahren vor Corona war es so, dass Atemwegserkrankungen aufgrund der sehr schlechten hygienischen Bedingungen eine der größten medizinischen Herausforderungen waren", sagt Till Küster vom Medico International.

Es sei also schwer zu sagen, ob jemand an einer Erkältung, einer Bronchitis oder an COVID-19 erkrankt sei. Huda Khayti erzählt, dass es Menschen gebe, die mit leichten Erkältungssymptomen das Haus verließen und dabei gar nicht wüssten, ob sie vielleicht infiziert seien. Sie seien darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Denn acht von zehn Menschen leben unter der Armutsgrenze und auch die Währung ist stark abgewertet. "Sie können sich meist nicht mal Orangen oder Zitronen leisten, um Vitamine zu sich zu nehmen", sagt sie. Wie es um ihre Abwehrkräfte steht, kann man nur erahnen.

Wieder mehr Luftangriffe des Assad-Regimes

Doch die Menschen haben derzeit noch eine große andere Sorge: In den vergangenen Wochen haben die Luftangriffe des Baschar-al-Assad-Regimes und seiner Verbündeten in den weniger dünn besiedelten Gebieten der Region Idlib wieder zugenommen, obwohl eigentlich ein Waffenstillstand herrscht.

"Das Ziel der Assad-Regierung ist es, ganz Idlib einzunehmen und wieder in den syrischen Staatsverband zu integrieren", sagt Nahost-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP). Noch stehen ihnen aber türkische Truppen und Aufständische im Weg. Die Türkei unterstützt viele islamistische Milizen in Syrien im Kampf gegen die Regierung von Assad.

Seit September 2018 konnte die türkische Armee im Nordwesten Syriens zwölf Beobachtungsposten einrichten. Doch jetzt hat sie gerade den Posten in Morek in der Provinz Hama, im Grenzgebiet zur Region Idlib, geräumt. Morek wird bereits seit einem Jahr von Assad-Truppen umzingelt. "Die Türkei konnte den Posten nicht halten. Wir sehen mittlerweile seit Monaten, dass das Regime immer dann, wenn es eine Möglichkeit sieht, den Druck erhöht. Sie wollen in Idlib vormarschieren und das bereiten sie durch Luftangriffe vor", so Steinberg,

Viele Menschen in Idlib können sich diese Nahrungsmittel kaum noch leisten Bild: Syrien; Idlib; Markt; Obst und Gemüse; Ernährung; Verkäufer; Wirtschaft; Geld; Währung; Marktplatz

Zu wenig Intensivbetten und Beatmungsgeräte

Die Bevölkerung habe Angst davor, dass das Regime bald auch dicht besiedelte Gegenden bombardiere, sagt Huda Khayti. Besonders, dass die Türkei den Posten in Morek aufgegeben habe, mache die Menschen hellhörig. Außerdem besteht Sorge, dass das Gesundheitssystem dann vollständig kollabiere, sagt sie. 85 Krankenhäuser wurden alleine in 2019 bei der Militäroffensive in der Region zerstört.Laut WHO versorgen nur noch neun Krankenhäuser insgesamt gut vier Millionen Menschen. Nicht alle Kliniken sind voll funktionsfähig. Und es gibt insgesamt nur 114 Intensivbetten und 86 Beatmungsgeräte.

"Wenn die Infektionszahlen weiter steigen und die Luftangriffe näher rücken, dann kann das zum endgültigen Zusammenbruch führen", sagt Huda Khayti. Doch daran will sie lieber nicht denken. Sie will erstmal gesund werden, um so schnell wie möglich weiter Aufklärungsarbeit zu leisten.

 

 

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