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Syrien-Sanktionen: Wie eine Lockerung den Libanon beträfe

Mohamad Chreyteh | Jennifer Holleis
18. Mai 2025

Eine Lockerung der Sanktionen der USA gegen Syrien könnte dem Libanon neue Chancen eröffnen. Präsident Joseph Aoun hofft auf eine wirtschaftliche Sanierung und vor allem die Rückkehr syrischer Flüchtlinge.

Ein Raum - augenscheinlich in einer Schule - voll mit Menschen, Matratzen und Habseligkeiten
Noch immer leben rund 1,5 Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge im Libanon, wie hier im Flüchtlingslager Hermel (Dezember 2024)Bild: DW

Gerade einmal 85 Kilometer liegen zwischen Beirut und Damaskus. Entsprechend eng beobachtet man im Libanon die politischen Entwicklungen in Syrien. Dazu gehört auch die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump Anfang dieser Woche, die seit Jahrzehnten bestehenden Sanktionen gegen Syrien aufzuheben. Noch sind die Einzelheiten dieser Pläne vage. Klar ist hingegen, dass auch der Libanon betroffen wäre, wenn das Nachbarland einen Weg zurück auf die internationalen Märkte finden, ausländische Investitionen anlocken und die diplomatische Unterstützung Washingtons, Saudi-Arabiens und einer Reihe von Golfstaaten zurückgewinnen könnte.

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02:18

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"Stabilität in Syrien wird sich positiv auf den Libanon und die gesamte Region auswirken", sagte der libanesische Präsident Joseph Aoun am Dienstag nach Trumps Ankündigung und nannte sie eine "mutige Entscheidung".

Syrische Flüchtlinge nicht mehr willkommen

Mehr als 1,5 Millionen Menschen - viele von ihnen ohne Papiere - sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 aus Syrien in den Libanon geflohen. Beirut hat sie nach dem Sturz des ehemaligen Diktators und Präsidenten Bashar Assad im vergangenen November wiederholt zur Rückkehr aufgefordert. 

"Sie haben keinen Grund mehr zu bleiben", sagte Aoun, kurz nachdem er im Januar nach einem zweijährigen politischen Stillstand im Libanon sein Amt als Präsident angetreten hatte. Der General, der bereits seit 2017 Oberbefehlshaber der libanesischen Streitkräfte ist, deutete an, dass viele von ihnen nun als Wirtschaftsmigranten eingestuft werden könnten, statt als Personen, die Asylschutz benötigen: "Wir können sie nicht mehr strikt als Flüchtlinge einstufen."

Libanon - Land in Chaos und Armut

Der Libanon steht selbst nach jahrelangen politischen Unruhen vor großen internen Herausforderungen. Die Wirtschaft leidet unter einer rasanten Inflation von zeitweise über 250 Prozent und den Folgen eines Zusammenbruchs des Bankensektors. Nach Angaben von Human Rights Watch leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

Der schleppende Wiederaufbau nach der Explosion eines Düngemittellagers (rechts) im Jahr 2020 hält an (Foto: August 2023)Bild: Emilie Madi/REUTERS

Hinzu kommt die regionale Instabilität. Ein Faktor dabei: die islamistische Miliz Hisbollah, die mehrere Länder, darunter die Vereinigten Staaten und Deutschland als terroristische Organisation einstufen. Auch wenn die grenzüberschreitenden Angriffe zwischen der Hisbollah im Libanon und Israel nach einem Waffenstillstand im November 2024 weitgehend eingestellt wurden, haben sie das Land zusätzlich belastet. 

Die Weltbank schätzt, dass der Libanon nach Jahren des regionalen Konflikts, der politischen und wirtschaftlichen Unruhen und nicht zuletzt der verheerenden Explosion im Beiruter Hafen im Jahr 2020 rund 9,83 Mrd. EUR (11 Mrd. USD) an Hilfe für den Wiederaufbau und die Erholung benötigen wird.

Wirtschaftliche "Integration überwiegt Wettbewerb"

Nun befürchten einige Analysten, dass die Interessen des Libanon auf der Strecke bleiben könnten, wenn sich der größere Nachbar anderen Ländern in der Region annähert: "Wenn Damaskus Beirut bei der Aussöhnung mit den Golfstaaten und dem Aufbau geopolitischer Beziehungen in der Region zuvorkommt, hat es den Vorteil, politische und wirtschaftliche Chancen zu nutzen", sagte Sami Nader, Direktor des in Washington ansässigen Levant Institute for Strategic Affairs, der DW.

Ein Mann, der vor den Kämpfen zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah geflohen war, kehrt Ende November 2024 in sein Dorf zurückBild: Hussein Malla/AP Photo/picture alliance

Allerdings liege darin auch eine Chance, sagt Experte: "Der libanesische Markt mit etwa 5 Millionen Einwohnern und der syrische Markt mit etwa 20 Millionen Einwohnern könnten zu einem riesigen Markt werden."

Der Libanon liegt eingekeilt zwischen Israel, Syrien und dem Mittelmeer. Die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien könnte also den Landkorridor für libanesische Waren öffnen und den Libanon wirtschaftlich mit Jordanien, dem Irak und den Golfstaaten verbinden. "Eine wirtschaftliche Integration des Libanon und Syriens würde jede Konkurrenz zwischen diesen beiden Ländern überkompensieren", meint Nader.

Aufbruchstimmung in Beirut

Der libanesische Finanzminister Yassine Jaber verbindet ähnliche Hoffnungen mit einer möglichen wirtschaftlichen Öffnung Syriens. In der libanesischen Zeitung "L'Orient Today" erklärte Jaber, dass potenzielle Projekte ein "positives Signal" für das Land aussenden würden. Als Beispiele nannte er den Transport irakischen Öls zur Raffinerie in Tripolis, der zweitgrößten Stadt des Libanon, eine Glasfaserleitung, eine Verbindung der Stromnetze mit anderen Ländern der Region sowie den Transport von Erdgas und Strom von Ägypten über Jordanien bis in den Libanon.

Hofft auf wirtschaftlichen Aufschwung und die Heimkehr der syrischen Flüchtlinge: Libanons Präsident Joseph AounBild: Jeanne Accorsini/SIPA/picture alliance

Von libanesischen Unternehmen wird erwartet, dass sie zum Wiederaufbau der syrischen Infrastruktur beitragen, die während des Bürgerkriegs zu einem großen Teil zerstört wurde.

Rückkehr der Flüchtlinge hat höchste Priorität

Wann, wie weit oder ob die Sanktionen überhaupt aufgehoben werden, ist allerdings noch unklar. "Die Syrer wissen, dass die USA den Willen geäußert haben, alle Sanktionen gegen Syrien aufzuheben, aber das könnte in der Realität schwieriger zu erreichen sein", sagte Kelly Petillo, Nahost-Forscher beim European Council on Foreign Relations, der DW. 

Die Aufhebung der Sanktionen, so Petillo, käme zunächst den Menschen in Syrien zugute, von denen viele in provisorischen Unterkünften leben und bereits mehrfach vertrieben wurden. Der Analyst warnt jedoch davor, Menschen überstürzt nach Syrien zurückkehren zu lassen: "Für jemanden, der jahrelang aus Syrien weg war, wird es ziemlich lange dauern, bis er sich zur Rückkehr entschließt - selbst bei wirtschaftlicher Entlastung."

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.