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PolitikNahost

Syrien: Tourismus im Zeichen der Diktatur

Cathrin Schaer
4. November 2021

Nach zehn Jahren Krieg in Syrien bieten einige Reiseunternehmen wieder Touren in das teils stark zerstörte und weiterhin diktatorisch regierte Land an. Menschenrechtler kritisieren diese Art "Abenteuer-Tourismus".

Syrien Kamel in Palmyra
Tourismus in Syrien - eine Aufnahme aus dem Jahr 2007 aus Palmyra (Archivbild)Bild: Louai Beshara/Getty Images/AFP

Die Ziele sind exotisch und reizvoll: Märkte voller Kunsthandwerk, architektonisch beeindruckende Gotteshäuser, alte Schlösser und ausdrucksvolle Landschaften. Das Problem dieser Attraktionen: Sie alle befinden sich in Syrien, einem Land, das einen zehnjährigen brutal geführten Bürgerkrieg hinter sich hat, aber weiterhin unter Terror und Gewalt leidet. Es steht dabei vor allem weiter unter einer gewaltsam agierenden autoritären Regierung.

Einige europäische Reisebüros sehen darin allerdings keinen Grund, keine touristische Reisen nach Syrien anzubieten.

"Biblische Städte, uralte Kulturen und köstliche Delikatessen", rühmt das Berliner Unternehmen "Soviet Tours" das am Boden liegende Land. Das Unternehmen selbst ist vor allem für Reisen in Nachfolge-Länder des ehemaligen Sowjetblocks bekannt. Für das Jahr 2022 bietet es Reisen nach Syrien an.

"Nach Jahren des Bürgerkriegs kehrt in Syrien langsam eine Normalität zurück, die man seit Jahren nicht mehr gesehen hat", wirbt ein anderes Berliner Unternehmen, "Rocky Road Travel", auf seiner Website.

Von den Syrien-Reisen, die "Rocky Road Travel" für das nächste Jahr anbietet, ist eine bereits ausgebucht. Weitere würden aufgrund der Nachfrage zusätzlich ins Programm genommen, so der Gründer des Unternehmens, Shane Horan, gegenüber der DW. "Die Menschen sind neugierig und wollen das Land ungeachtet der Schlagzeilen und des vielen Geredes mit eigenen Augen sehen", so Horan.

Veranstaltet Reisen nach Syrien und Nordkorea: Shane Horan, Gründer von "Rocky Road Travel"Bild: Pressebild Shane Horan Rocky Road Travel

Unterschiedliche Anbieter

Die Berliner Agenturen sind nicht allein. Auch die britischen Unternehmen "Lupine Travel" und "Untamed Borders" bieten für das Jahr 2022 Reisen nach Syrien an.

Eines der vermutlich ersten europäischen Unternehmen, die 2019 mit der Werbung für Syrienreisen begannen, war der in Paris ansässige Veranstalter "Clio", der auf Kulturreisen spezialisiert ist. Auch bei "Clio" sind für 2022 Reisen nach Syrien im Angebot.

Eine Reihe chinesischer und russischer Reiseveranstalter haben bereits Reisen dorthin beworben. Für das kommende Jahr bietet etwa das chinesische Unternehmen "Young Pioneer Tours" Reisen nach Syrien an. Bislang ist der Veranstalter vor allem für Reisen nach Nordkorea bekannt.

Grundsätzlich sind Touristenvisa für Syrien seit 2018 für Gruppenreisen erhältlich. Allerdings gab die syrische Regierung diese aufgrund der Corona-Pandemie für rund anderthalb Jahre nicht aus. Seit Oktober werden diese nun aber wieder ausgestellt.

Syrien neben Nordkorea

Die beworbenen Gruppenreisen nach Syrien kosten bis zu rund 2000 Euro für eine neuntägige Reise. Flüge sind im Preis nicht inbegriffen. Alle Touren beginnen in Beirut - ein Ziel, das sich von Europa aus anfliegen lässt. Anschließend reisen die Touristen über die Grenze in mehrere von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete. Stationen sind Damaskus, Aleppo, Homs und die syrische Küste, dann geht es zurück nach Beirut. Alle Agenturen weisen darauf hin, sie würden ihre Kunden nicht in die Nähe von Gebieten führen, in denen womöglich noch gekämpft wird.

Die meisten der mit Syrienreisen befassten Unternehmen gelten als Anbieter maßgeschneiderter "Abenteuerreisen". In der Regel haben sie auch über Syrien hinaus eher außergewöhnliche Ziele für westliche Touristen im Angebot: Nordkorea, Somalia, Jemen, Pakistan und Afghanistan.

Klassisches Erbe, derzeit Notunterkunft für Flüchtlinge: Ausgrabungsfläche bei IdlibBild: Rami Alsayed/NurPhoto/picture alliance

Auswärtiges Amt warnt

Das deutsche Auswärtige Amt (AA) steht solchen touristischen Reisen nach Syrien sehr skeptisch gegenüber. "Für Syrien besteht eine Reisewarnung sowie eine Ausreise-Aufforderung an Deutsche, die sich möglicherweise im Land befinden", heißt es in einer Stellungnahme gegenüber der DW. "Die deutsche Botschaft in Damaskus ist geschlossen, eine konsularische Betreuung deutscher Staatsangehöriger vor Ort ist daher nicht möglich. Vor diesem Hintergrund können wir Reiseangebote nach Syrien nicht nachvollziehen."

Auf mögliche Bedenken ihrer Kunden gehen auch die meisten Anbieter ein. Auf ihren Websites erörtern sie auch Themen wie Sicherheit, spezielle Versicherungen sowie ethische Überlegungen. Fast alle Anbieter betonen, ihre Angebote seien "nicht politisch".

"Generell sehen wir Reisen als eine Form des kulturellen Austauschs", erklärt Shane Horan von "Rocky Road Travel", der sein Geschäft mit Reisen nach Nordkorea begann. "Wir glauben, dass jede Tätigkeit dieser Art, selbst ein kurzer touristischer Besuch, einen Beitrag zur Förderung des kulturellen Verständnisses leistet. Das ist auch bei anderen, oft geschmähten Zielen wie Nordkorea der Fall."

"Soviet Tours" argumentiert auf seiner Website ganz ähnlich: "Wir glauben fest daran, dass natürliche menschliche Beziehungen viel wichtiger sind als laute Gespräche über Politik und Moral."

Devisen für den Diktator

Gruppen wie das in Washington ansässige "Syria Justice and Accountability Centre" (SJAC) sind allerdings anderer Meinung. In einer Stellungnahme vom Juli 2021 weist das Zentrum darauf hin, dass die syrische Regierung unter der Führung von Diktator Baschar al-Assad die Wiederaufnahme des Tourismus zu zweierlei Zwecken nutze.

Erstens wolle die syrische Regierung Devisen ins Land bringen. Diese benötige sie für den Handel mit dem Rest der Welt, auch wenn dieser durch internationale Sanktionen weitgehend blockiert sei. "Da es für Touristen unmöglich ist, ihr Geld außerhalb des Landes in syrische Pfund umzutauschen, kann sich die Regierung darauf verlassen, dass die Reisenden Geld ins Land bringen", schreibt das SJAC. So bestehe die Gefahr, dass der Tourismus letztlich "Assads militärische Kampagnen, auch gegen Zivilisten", finanziere.

Das syrische Regime und sein Foltersystem: Ausstellung in den Räumen der Vereinten Nationen in New York, 2015Bild: Cem Ozdel/AA/picture alliance

Wenig Europäer

Zudem war der Tourismus bereits vor Ausbruch des Bürgerkriegs eine wertvolle Einnahmequelle. So machte er im Jahr 2011 knapp zehn Prozent des syrischen Bruttoinlandsprodukts aus. Seit 2016 haben die syrischen Behörden wieder damit begonnen, die Besucherzahlen zu erfassen. Diese haben sich innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt: von rund 1,04 Millionen im Jahr 2016 auf 2,42 Millionen im Jahr 2019. Wie viele der Besucher Europäer waren, lässt sich nicht sagen. Vieles spricht allerdings dafür, dass der Anteil nicht hoch ist und künftig auch nicht hoch sein wird. Nimmt man etwa an, dass jede Reise der genannten Agenturen ausverkauft ist und im nächsten Jahr an jeder Reise zwischen acht und 20 Personen teilnähmen, würde dies für das gesamte Jahr 2022 auf kaum mehr als etwa 400 Personen hinauslaufen.

Tourismus aus der Zeit vor dem Krieg: Blick auf einen Souvenirladen in Damaskus, April 2011Bild: Louai Beshara/Getty Images/AFP

Politisches Kalkül

Die syrische Regierung nutze den Tourismus auch, um ihr internationales Image aufzupolieren, schreibt das SJAC. Denn der Ruf der Regierung ist gerade in westlichen Staaten ruiniert. Deutsche Staatsanwälte haben Haftbefehle gegen hochrangige Mitglieder der syrischen Regierung erlassen. Handlanger des Regimes wurden in Deutschland bereits verurteilt. Man legte ihnen zahlreiche Kriegsverbrechen zur Last. Internationale Menschenrechtsorganisationen machen die syrische Regierung zudem regelmäßig für die Bombardierung von Krankenhäusern und Schulen, die Folterung hunderter Gefangener, sowie für die Belagerung ganzer Städte durch Hunger und Umleitung humanitärer Hilfe verantwortlich. Darüber könnten Bilder sorglos durchs Land spazierender Touristen möglicherweise schnell hinwegsehen lassen.

Diese selbst dürften von dem Elend kaum etwas zu sehen bekommen. "Wer sich mit dem Gedanken trägt, seinen Urlaub in Syrien zu verbringen, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er nur ein einseitiges Bild von der Situation in Syrien bekommt", sagt Nahla Osman, Juristin und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Syrienhilfe e.V., einem Dachverband, der über 20 verschiedene syrische Hilfsorganisationen in Europa vertritt.

Land im Elend: Szene aus einem Flüchtlingslager in Idlib, Juni 2021Bild: Khalil Ashawi/REUTERS

Journalisten verboten

Aus diesem Grund dürfen auch keine Journalisten oder Menschenrechtler an diesen Reisen teilnehmen. Die Berliner Firma "Soviet Tours" bestätigt dies auf ihrer Website: "Derzeit ist es Journalisten nicht erlaubt, an unseren Touren im Land teilzunehmen. Dies ist eine strenge Regierungsanweisung, an die wir uns halten müssen."

"Die Teilnahme an solchen Reisen lässt sich pauschal weder befürworten noch ablehnen", sagt Miriam Putz, Expertin bei der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik, die im November 2020 eine Studie über ethischen Tourismus mit verfasst hat. "Würde man Reisen nur auf funktionierende Demokratien beschränken, dann würden viele Länder von der Liste gestrichen." Umso mehr komme es darauf an, derartige Reisen mit offenen Augen anzugehen.

So gut es einige Reisende auch meinen mögen: Es sei unwahrscheinlich, dass europäische Touristen und ihre Selfies Syrien sonderlich helfen würden, meint Nahla Osman von der Deutschen Syrienhilfe. "Der einzige Weg, Syrien wirklich zu stabilisieren, ist ein in die Zukunft gerichteter politischer Prozess."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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