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KonflikteSyrien

Syrien und die Hamas: Assads Rhetorik und Realpolitik

Cathrin Schaer | Omar Albam (Syrien)
16. November 2023

Pro-iranische Milizen bedrohen Israel von Syrien aus. Und Machthaber Baschar al-Assad inszeniert sich politisch als Unterstützer Palästinas. Aktivisten halten dies jedoch für wenig glaubwürdig.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad und andere arabische Staats- und Regierungschefs auf dem Sondergipfel in Riad
Syriens Machthaber Baschar al-Assad (dritter von links) auf dem arabisch-islamischen Sondergipfel zum Gaza-Krieg in RiadBild: Saudi Press Agency/dpa/picture alliance

Aus Sicht oppositioneller syrischer Aktivisten war es eine Farce: Am vergangenen Wochenende trat Baschar al-Assad, der Machthaber Syriens, als regulärer Teilnehmer des Sondergipfels arabischer Staaten zum Hamas-Israel-Konflikt in der saudischen Hauptstadt Riad auf. Die Staats- und Regierungschefs erklärten im Rahmen des von der Arabischen Liga und der Organisation für islamische Zusammenarbeit initiierten Treffens, Israel verstoße gegen humanitäres Völkerrecht. Zudem beschuldigten sie Israel, Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu begehen. Der syrische Diktator kritisierte zusätzlich auch noch die zwischen mehreren arabischen Staaten und Israel geschlossenen Normalisierungsabkommen.

Assads Auftritt als Politiker, der sich angeblich um das Leid von Zivilisten sorgt, ist für Aktivisten angesichts der von ihm verantworteten Verbrechen während des syrischen Bürgerkriegs schwer erträglich. "Assads Rede in Riad über die Lage in Gaza könnte einen Preis für den heuchlerischsten Moment der Weltgeschichte gewinnen", sagt Celine Kassem, Aktivistin und Kommunikationsbeauftragte der in Washington ansässigen Organisation Syrian Emergency Taskforce, der DW.

"Ich halte es für unerträglich, dass ein solcher Kriegsverbrecher, eine Person mit so einer dunklen Geschichte, über diese Dinge spricht", merkt auch Ibrahim Zeidan an, Journalist und Aktivist aus Idlib, einem von oppositionellen islamistischen Milizen kontrollierten Gebiet im Westen Syriens. Während Assads Rede habe er an die Angriffe mit Chemiewaffen auf die Stadt Chan Schaichun in der Provinz Idlib im Jahr 2017 denken müssen. "Kinder und Zivilisten blieben ohne jegliche medizinische Hilfe. Damals waren auch alle Krankenhäuser bombardiert worden." Zu Assads Opfern zählten beileibe nicht nur Syrer, betont Kassem. Assads Streitkräfte hätten ebenso nach Syrien geflohene Palästinenser angegriffen.

Massaker an Muslimbrüdern

Während der Regierungszeit von Baschars Vater Hafis al-Assad waren zahlreiche Palästinenser aus Israel nach Syrien gekommen. Für rund eine Million von ihnen wurde das Land zur neuen Heimat, auch wenn sie niemals eingebürgert wurden. Auch Hamasführer Khaled Mashal lebte lange im syrischen Exil.

Dabei hatten die Regierung in Damaskus und die aus den Reihen der Muslimbrüderschaft entstandene militant-islamistische Hamas ein höchst schwieriges Verhältnis zueinander - auch wegen eines Massakers an Mitgliedern der einstigen Hamas-Mutterorganisation: So führten die Muslimbrüder im Jahr 1982 einen Aufstand in der Stadt Hama im Zentrum des Landes an. Diesen schlug das Regime seinerzeit blutig nieder. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge wurden damals zwischen 10.000 und 30.000 Menschen getötet.

Zugleich inszenierte sich das Regime in Damaskus immer wieder als Fürsprecher der palästinensischen Sache. Damit traf es den Nerv vieler Syrer. Doch als sich die friedliche Revolution 2011 in einen blutigen Bürgerkrieg verwandelte, verschlechterte sich das Verhältnis. Die Hamas, die in Deutschland, der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird, weigerte sich, zugunsten Assads Partei zu ergreifen. Hamas-Chef Mashal verlegte seinen Wohnsitz nach Katar. Dort residiert er noch heute.

"Gaza in Syrien"

Während des Bürgerkriegs, sagt Celine Kassem, seien syrische Regierungstruppen dann auch gezielt gegen palästinensische Zivilisten im Flüchtlingslager Jarmuk in Damaskus vorgegangen. Diese galten als Gegner des Regimes. Assads Streitkräfte riegelten das Viertel damals ab und unterbanden die Lieferung von Lebensmitteln, Strom, Medikamenten und anderen Hilfsgütern. Viele Beobachter bezeichneten Jarmuk damals als "Gaza in Syrien".

Ende vergangenen Jahres, nach der Wiederaufnahme Assads in die Arabische Liga, versöhnte sich die Hamas mit dem Regime in Damaskus formell zwar wieder. Doch deute einiges darauf hin, dass beide Seiten einander nicht vertrauen, schrieb der Politikwissenschaftler Samuel Ramani von der Denkfabrik Royal United Services Institute kürzlich in einer Analyse.

Ein Junge vor den Trümmern eines Hauses in GazaBild: Mohammed Abed/AFP/Getty Images

Zwischen Solidaritätserklärungen und Zurückhaltung

Auf dem Gipfel von Riad forderten die arabischen Staats- und Regierungschefs den Internationalen Strafgerichtshof auf, mutmaßliche "Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" Israels in den palästinensischen Gebieten zu untersuchen. Auch die syrische Regierung unterzeichnete die Resolution. Doch ob der Protest greifbare Folgen haben wird, ist höchst ungewiss. "Zwar hat das syrische Regime seine Solidarität mit dem Gazastreifen zum Ausdruck gebracht", sagt Experte Ramani. Doch eine groß angelegte Eskalation gegen Israel vermeide es. "Zugunsten der Hamas möchte es keine politischen und sicherheitspolitischen Risiken eingehen."

Bislang beschränkten sich militärische Aktionen von syrischem Boden aus gegen Israel auf sporadischen Beschuss und Raketenangriffe auf die israelisch annektierten Golanhöhen, so Ramani. Diese fänden jedoch schon seit Jahren statt - als Urheber gelten oft iranische oder Iran-treue Milizen im Land. Das israelische Militär seinerseits feuerte Raketen auf die syrischen Flughäfen in Damaskus und Aleppo und setzte sie so zeitweilig außer Betrieb. Damit verhindere man den Zustrom von Kämpfern oder Waffen aus dem Iran, heißt es aus Jerusalem. Allerdings unternahm Israel bislang keine Versuche, syrische oder gar russische Militäranlagen in Syrien direkt auszuschalten. Die USA allerdings griffen erst unlängst wieder iranische Stützpunkte in Syrien an, die sie auch als solche benannten.

"Regime ist sehr schwach"

Das syrische Regime sei im Grunde ein "sehr schwacher, passiver Akteur" ohne große eigene militärische Stärke, sagte der Syrien-Experte Joseph Daher vom Europäischen Hochschulinstitut vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Website "Syria Direct". Tatsächlich gilt unter Syrien-Experten als ausgemacht, dass die Assad-Regierung den Bürgerkrieg nur dank massiver militärischer Unterstützung aus Iran und Russland militärisch überleben konnte.

Auch deshalb erscheint es bis auf Weiteres unwahrscheinlich, dass Syriens Regierung selbst gegen Israel militärisch aktiv werden könnte. Allerdings könnten die im Land präsenten pro-iranischen Milizen in größerem Maße als bisher gegen Israel vorgehen. Diese agieren nahezu unabhängig von der syrischen Regierung.

Warteschlangen vor Nahrungsausgabe: Szene aus dem seinerzeit abgeriegelten palästinensischen Flüchtlingslager Jarmuk in Syrien, 2014Bild: UNRWA via AP/picture alliance

Derzeit scheinen sich aber alle relevanten Akteure zurückzuhalten. "Trotz der Aufeinanderfolge von Angriffen und Gegenangriffen scheint keine der beiden Seiten - die USA sowie Israel auf der einen Seite und der Iran und die von Teheran unterstützten Gruppen auf der anderen Seite - eine größere regionale Eskalation anzustreben ", heißt es in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Analyse der 'International Crisis Group'. Allerdings steige mit der Dauer des Krieges das Risiko, dass es dennoch dazu kommen könne.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.