Syrien: Unklare Rolle von Drusenführer al-Hidschri
23. Juli 2025
Während der tödlichen Ausschreitungen in der südsyrischen Provinz Suwaida tauchte immer wieder ein Name auf: Hikmat al-Hidschri.
Der 60 Jahre alte al-Hidschri, ein prominenter spiritueller Führer der drusischen Gemeinschaft in Syrien, spielte eine wichtige Rolle bei den Ereignissen, in deren Verlauf viele Hunderte Menschen ums Leben kamen und die den fragilen politischen Übergang des Landes nach Jahrzehnten der Diktatur zu gefährden drohen.
Al-Hidschris Kritiker sehen in seiner harten, ablehnenden Haltung gegenüber der neuen syrischen Regierung einen wesentlichen Grund für die Eskalation der Gewalt. Sie beschimpfen ihn als machtgierigen Verräter und als angeblichen Drogenschmuggler mit Verbindungen zu ehemaligen Militärs des Assad-Regimes.
Seine Anhänger hingegen sehen in ihm ein Musterbeispiel für Würde und Mut. Aus ihrer Sicht hat er die von sunnitischem Dominanzstreben bedrohte Minderheit der Drusen erfolgreich gegen die Übermacht der syrischen Übergangsregierung und ihre potenziell gefährlichen Anhänger mit oftmals militant-islamistischem Hintergrund verteidigt.
Politische Positionswechsel
Al-Hidschri ist einer der drei wichtigsten religiösen Führer der drusischen Gemeinschaft in Syrien. Die anderen beiden sind Jusuf al-Dscharbu und Hamoud al-Hanawi.
Unter der Herrschaft des Assad-Regimes und während des syrischen Bürgerkriegs nahm al-Hidschri eine Position ein, die sich vielleicht am besten als politisch zweckmäßig und angepasst an äußere Umstände umschreiben ließe. Zeitweise unterstützte er offen das Assad-Regime. Doch ab 2023 sprach er sich gegen den Diktator aus. Auch die beiden anderen drusischen Geistlichen sollen zeitweise das Assad-Regime unterstützt haben - keine Seltenheit in einem System, in dem offener politischer Widerstand lebensgefährlich war.
Außerdem gab es Streitigkeiten zwischen den dreien darüber, wer der oberste Führer der drusischen Gemeinschaft in Syrien ist und wer für sie spricht. Berichten zufolge distanzierten sich al-Dscharbu und al-Hanawi aus diesem Grund von al-Hidschri.
Hikmat al-Hidschri: Vorbild oder Kompromiss-Verweigerer?
In Syrien leben die Drusen hauptsächlich in der südlichen Provinz Suwaida und verhandeln ähnlich wie die Kurden über ihre Position innerhalb des neuen Syriens.
Syrien ist ein mehrheitlich sunnitisches Land. Die verschiedenen religiösen und ethnischen Minderheiten des Landes sehen ihrer Zukunft mit Sorge entgegen.
An Verhandlungen über die Ordnung und Struktur des neuen Syriens und die Rolle der Minderheiten ist auch al-Hidschri beteiligt. Hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit der neuen Regierung gilt er als wenig kompromissbreit. Darin unterscheidet er sich von den beiden anderen drusischen Führern, die deutlicher Arrangements mit der Übergangsregierung von Ahmed al-Scharaa anstreben. Dieser hat selbst eine militant-islamistische Vergangenheit, hat dieser aber öffentlich abgeschworen - doch nicht alle glauben ihm das.
Im März wurde eine gemeinsame handschriftliche Erklärung der Regierung und drusischer Behörden in Umlauf gebracht, in der es hieß, beide Seiten hätten eine Einigung über ihre gemeinsame Zukunft erzielt. Al-Hidschri war Berichten zufolge bei dem Treffen zwar anwesend, unterzeichnete das Papier jedoch nicht und erklärte später, er sei damit nicht einverstanden.
Die Übergangsregierung hat keine vollständige Kontrolle über die nationale Sicherheit. Die jüngste massive Eskalation, an der laut unterschiedlichen Berichten offenbar auch Regierungssoldaten auf Seiten beduinischer Kämpfer an Gewaltaktionen gegen Drusen beteiligt waren, haben nicht dazu beigetragen, den Minderheiten des Landes ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Deswegen hält ein Teil der Drusen die Haltung von al-Hidschri für richtig.
Unterstützung auch durch Kritiker
Seit dem 13. Juli, nachdem sich die Spannungen zwischen Drusen und Beduinen zu schweren Kämpfen ausgeweitet hatten, wurden mehrere Waffenstillstandsabkommen vereinbart. Daran waren auch drusische Führer beteiligt. Al-Hidschri soll diese laut Beobachtern mehrfach nach anfänglicher Zustimmung abgelehnt haben.
Einige externe Beobachter äußern freilich durchaus Verständnis für diese Position. Der britisch-irakische Forscher und Analyst Aymenn Jawad al-Tamimi etwa berichtet, er habe mit Führern drusischer Kämpfer in Suwaida gesprochen, die zuvor mit al-Hidschris Haltung nicht einverstanden waren. Diese hätten ihm berichtet, noch während der Verhandlungen hätten Regierungstruppen Verstöße gegen die Vereinbarungen begangen.
Während der jüngsten Welle der Gewalt wurden sämtliche Seiten - die drusischen und die sunnitisch-beduinischen Kämpfer wie teils auch Regierungstruppen - beschuldigt, Gräueltaten begangen zu haben. In digitalen Medien grassieren viele Unklarheiten und viele gezielte Desinformation, viele Drusen sehen die Regierung als Verbündete ihrer Gegner. Solange die Gewalt nicht unabhängig untersucht ist, wird es schwierig sein, genau zu wissen, wer für was verantwortlich war.
Schutzgesuch in Richtung Israel
Syrische sunnitische Kämpfer in anderen Teilen des Landes reagierten auf die Gewalt und kündigten an, nach Suwaida zu reisen, um an Seite der beduinischen Milizen gegen die Drusen zu kämpfen. Al-Hidschri forderte die internationale Gemeinschaft, darunter die USA und Israel, auf, die Drusen zu schützen.
Noch am selben Tag, dem 16. Juli, bombardierte Israelsyrische Regierungsgebäude im Zentrum von Damaskus, unter anderem mit dem Argument, die Drusen beschützen zu wollen. Al-Hidschri wurde deshalb von politischen Gegnern in Syrien als Landesverräter beschimpft - ein Vorwurf, der nicht selten auch pauschal gegen die Drusen erhoben wird. Anti-israelische Sentiments sind in Syrien weit verbreitet, nicht zuletzt wegen des Kriegs in Gazastreifen, formell befinden sich Syrien und Israel außerdem seit vielen Jahrzehnten im Kriegszustand.
Die unübersichtliche Lage macht es derzeit nahezu unmöglich, die Verantwortung einzelner Akteure genau zu benennen. Womöglich steht al-Hidschri vor allem für einen Mangel an Konsens innerhalb der drusischen Gemeinschaft.
Es besteht aber kein Zweifel, dass die jüngsten Ereignisse die konfessionellen Spannungen in einem von gesellschaftlicher Unsicherheit geprägten Syrien noch einmal zusätzlich verschärft haben. Zwar scheint der Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien und und auch mit mit Israel weitgehend zu halten, doch nach den jüngsten Gewalttaten wird immer deutlicher: Auch wenn andere drusische Führer, etwa im Libanon, weiter auf Diplomatie drängen, drohen sich die Gefühle der syrischen Drusen gegenüber der Zentralregierung in Damaskus weiter zu verhärten.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.