1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikSyrien

Syrien: Wie umgehen mit einer islamistischen HTS-Regierung?

11. Dezember 2024

Weltweit feiern Syrer den Sturz des Assad-Regimes. Doch noch ist unklar, wie sich die Lage entwickeln wird – entsprechend vorsichtig positionieren sich die Nachbarstaten und andere internationale Akteure.

Syrer feiern den Sturz Assads in Damaskus
Freude über den Sturz Assads in DamaskusBild: Bekir Kasim/Anadolu/picture alliance

Der rasche Sturz des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien durch den Vormarsch der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS, "Organisation zur Befreiung der Levante") dürfte die Beziehungen Syriens zu seinen Nachbarn grundlegend neu ordnen.

Fünf Jahre lang regierte HTS Idlib, Syriens letzte große oppositionelle Hochburg im Nordwesten des Landes. Nun konzentriert sie sich auf die Konsolidierung ihrer Macht in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Doch schon wird darüber diskutiert, ob die Organisation in der Lage sein wird, auch das gesamte Land zu regieren – insbesondere, weil viele andere Rebellengruppen an der Macht teilhaben wollen.

"Die arabischen Führer werden die Erschütterung der syrischen Stabilität nicht mögen", sagte Richard LeBaron vom Thinktank Atlantic Council in Washington am Montag. Jahrelang konnte Assad auf seine wichtigsten Verbündeten Russland, den Iran und die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz zählen. Die Arabische Liga - ihr gehören 22 arabische Länder an - hatte im Mai 2023 ihre Beziehungen zu seinem Regime wiederhergestellt. Zuvor hatte sie Assads Regime zwölf Jahre lang isoliert, als Reaktion auf die brutale Unterdrückung der Bevölkerung während des syrischen Bürgerkriegs.

Doch nach Ansicht von LeBaron könnte unter den arabischen Nachbarn Syriens vorerst nur Katar – das Emirat war gegen das Assad-Regime – gewillt sein, beim Wiederaufbau des zerrütteten, fragmentierten und wirtschaftlich geschwächten Landes zu helfen.

Hoffnung auf Aufhebung der Sanktionen

Die neuen Führer des Landes hoffen auf die Aufhebung der internationalen Sanktionen. Doch noch ist offen, welche Akteure außer Katar bereit sein könnten, die HTS zu unterstützen.

2018 wurde die HTS, die zuvor mit der von den USA als Terrororganisation eingestuften Al-Kaida in Verbindung stand, von den USA zur ausländischen Terrororganisation erklärt.

Allerdings sagte ihr Anführer Abu Mohammed al-Dschulani kürzlich dem US-Sender CNN, er und andere Anführer der Gruppe hätten ihre Ansichten und ihr islamisches Verständnis in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Die extremen Ansichten aus ihrer Jugend hätten sich mit der Zeit gemäßigt.

Am Montag erklärte Dschulani der Nachrichtenagentur AP zufolge, die HTS werde Frauen keine Kleiderordnung auferlegen oder ihre anderen persönliche Freiheiten einschränken. In den vergangenen Jahren hat die Miliz in den von ihr kontrollierten Gebieten Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten wie Christen oder der Drusen-Gemeinde gezeigt.

Zeigt sich moderat: HTS-Anführer Abu Mohammed Al-Dschulani Bild: Balkis Press/ABACA/Imago Images

Regionale Auswirkungen noch ungewiss

"Es ist noch zu früh, um die regionalen Auswirkungen vollständig abzuschätzen, sagt Nanar Hawach, Syrien-Analyst bei der International Crisis Group. "Aber derzeit überwiegen in den Reaktionen der Nachbarstaaten noch Sicherheitsaspekte."

So habe Israel den Sturz Assads, eines wichtigen Verbündeten des Iran und der libanesischen Hisbollah, zwar begrüßt. "Trotzdem hat Israel erhebliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen. So ist es etwa in Kuneitra und das Hermon-Gebirge eingezogen, wo es als Sicherheitsvorkehrung eine Pufferzone entlang der Grenzen errichtet hat."

Israel habe auch die Gelegenheit genutzt, den Nachfolger des Assad-Regimes militärisch zu schwächen, so Hawach weiter. "Dazu hat es militärische Ziele bombardiert, darunter Luftabwehrsysteme und den Militärflughafen Al-Mazzeh-Flughafen in Damaskus."

Der Nachrichtensender Bloomberg berichtete zudem, am Sonntag hätten US-Luftangriffe 75 Ziele der extremistischen Gruppe "Islamischer Staat" (IS) in Zentralsyrien getroffen. Derweil warnte US-Präsident Joe Biden, Assads Sturz könnte die Tür für ein Wiederaufleben des islamischen Extremismus öffnen.

Rund 900 US-Soldaten sind derzeit in Syrien stationiert, um ein Wiedererstarken des IS zu verhindern. Sie unterstützen und trainieren auch die kurdische syrische Volksverteidigungseinheit (YPG) im Nordosten des Landes. Analysten sagen, die HTS und IS hätten keine gemeinsamen Ziele. Denn die HTS wolle ausschließlich Syrien kontrollieren und habe nicht das Ziel, ein globales Kalifat zu errichten.

Politische Stabilisierung und Demokratie in Syrien?

Syriens neue Machthaber müssten sich ungeachtet der regionalen Folgen auf die politische Stabilisierung des Landes konzentrieren, meinen Experten. Denn das sei die Voraussetzung, um von der Türkei, der Europäischen Union und den USA anerkannt zu werden.

"Wahrscheinlich werden all diese Akteure die neue Regierung unter der Bedingung anerkennen, dass sie eine gemäßigte Regierung bildet, auf den Kampf gegen die kurdische YPG verzichtet und weder die Hisbollah noch die Hamas unterstützt", sagte der Islamwissenschaftler Mehmet Ozalp von der australischen Charles Sturt University dem Online-Magazin The Conversation. "Angesichts ihres unerwarteten Erfolges dürfte die HTS diese Bedingungen im Austausch für Hilfe und Anerkennung wohl akzeptieren."

Syrien habe zwar wenig Erfahrung mit demokratischen Institutionen und sehe sich einem erheblichen Risiko von Unordnung und sogar territorialer Fragmentierung gegenüber, sagt die Nahost-Expertin Burcu Ozcelik vom Royal United Services Institute (RUSI) in London der DW. Aber genau dies könnte dazu führen, dass es nun "zum Beginn einer politischen Lösung" kommen könnte.

Mit einem praktikablen Zeitplan sei es sogar möglich, die Umsetzung der UN-Resolution 2254 in Betracht zu ziehen, so Ozcelik. Die Resolution fordert freie und demokratische Wahlen in Syrien. "Entscheidend wird sein, dass der Prozess möglichst inklusiv ist und es zu einer möglichst minimalen Einmischung von außen kommt." Es gehe darum, einen eigenständigen syrischen Fahrplan zu unterstützen.

Nach Diktatur und Bürgerkrieg ist Syrien auf internationale Hilfe angewiesenBild: Bilal Alhammoud/Middle East Images/AFP/Getty Images

Vertriebene kehren nach Hause zurück

Angesichts des Sturzes von Assad kehren Teile der syrischen Bevölkerung bereits in ihr altes Heimatland zurück. Denn nun ist es möglich, bislang unzugängliche Teile Syriens wieder zu betreten.

Dies gilt auch für die Region Idlib mit rund vier Millionen größtenteils vertriebenen Syrern, die seit fünf Jahren unter der Kontrolle der HTS leben. "Wir haben über 370.000 Menschen registriert, die gerade aus anderen Gouvernements nach Idlib kommen", sagt David Carden, stellvertretender regionaler humanitärer Koordinator der Vereinten Nationen für die Syrienkrise, der DW. "Die Situation ist weiterhin instabil, da die Menschen an ihre ursprünglichen Heimatorte zurückkehren", so Carden. "Wir sind weiterhin entschlossen, zu bleiben und den am stärksten gefährdeten Menschen Syriens mit allen Mitteln zu helfen."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Islamistische Rebellen gegen Assad-Regime

02:52

This browser does not support the video element.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen