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PolitikNahost

Syrien: Wird das Erdbeben zur Chance für Assad?

13. Februar 2023

Angesichts der dringend benötigten Hilfe versucht der syrische Präsident Bashar al-Assad, die internationale Isolation Syriens zu beenden, die Sanktionen aufzuheben und auf die internationale Bühne zurückzukehren.

Der syrische Machthaber Baschar al-Assad sitzt am Kabinettstisch (Archivfoto)
Syriens Machthaber Baschar al-Assad (Archiv)Bild: SANA/dpa/picture alliance

Nach wie vor kommen die Hilfslieferungen in die von der Opposition kontrollierten Gebiete Syriens nicht voran. Derzeit gebe es "Genehmigungsprobleme", die auf eine Hardliner-Gruppe innerhalb der Opposition zurückgingen, erklärte am Sonntag ein Sprecher der Vereinten Nationen.

Dieser Teil des Erdbebengebiets wird größtenteils von der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) kontrolliert. Eines ihrer Mitglieder sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Gruppe würde keine Lieferungen aus den von der Regierung kontrollierten Teilen Syriens zulassen. Die Hilfe müsse aus der Türkei kommen. An der dortigen Grenze ist bisher nur der Grenzübergang  Bab al-Hawa geöffnet. Syriens Staatschef Baschar al-Assad kündigte am Montag an, zwei weitere Grenzübergänge in die Türkei zugänglich zu machen. Bab al-Salam und Al Ra'ee sollten für drei Monate geöffnet werden. 

Der Nothilfekoordinator bei den Vereinten Nationen, Martin Griffith, hatte vorher per Twitter eingeräumt, die UN hätten es bislang nicht geschafft, die Erdbebenopfer in Nordwest-Syrien zu versorgen. Die Menschen fühlten sich zu Recht aufgegeben. Er betrachte es als seine Aufgabe, diese Versagen so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen.

UN-Generalsekretär António Guterres begrüßte die Entscheidung Assads. Er hoffe, die Öffnung der Grenzübergänge werde ermöglichen, dass "mehr Hilfe schneller eintrifft".

Assad fordert ein Ende der Sanktionen

Der syrische Präsident Baschar al-Assad bemüht sich, die internationale Isolation Syriens zu beenden, ein Ende der gegen sein Regime verhängten Sanktionen zu erreichen und auf die internationale Bühne zurückzukehren.

Anfang vergangener Woche hatte das syrische Parlament die internationale Gemeinschaft aufgefordert, "die ungerechte Belagerung und die einseitigen Zwangsmaßnahmen, die dem syrischen Volk auferlegt wurden, sofort und dringend aufzuheben", wie die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA meldete.

Ein Transportflugzeug der Bundeswehr wird mit Hilfsgütern für die Erdbebenopfer beladenBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Am Freitag vergangener Woche hatte Assad bereits erklärt, er werde den internationalen Forderungen nachkommen und Hilfslieferungen auch in jene Regionen zulassen, die nicht unter staatlicher Kontrolle stünden. Auch müssten Hilfslieferungen nicht mehr über die Hauptstadt Damaskus geleitet werden.

Unklar ist derzeit, ob die EU das Angebot Assads annehmen wird. Damit müsste sie in Gespräche mit dem aufgrund seiner zahlreichen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen geächteten Regime treten.

Die Interessenspolitik des Regimes

Das Erdbeben biete Assad Gelegenheit, die internationale Gemeinschaft zu einer offiziellen Anerkennung zu nötigen, sagt Sami Hamdi, Geschäftsführer von International Interest, einem in London ansässigen globalen Risiko- und Nachrichtendienst. Dass Assad dieses Interesse verfolge, habe sich in den ersten Tagen nach der Katastrophe gezeigt, als er darauf bestand, sämtliche Hilfen mit Damaskus zu koordinieren. Aus dem gleichen Grund habe er vier Tage lang durchzusetzen versucht, dass keine Hilfsgüter über die von seinem Regime kontrollierten Gebiete nach Nordwestsyrien kämen. Dabei waren die Menschen auf Hilfslieferungen und Spenden dringend angewiesen.

Es liege auf der Hand, sagt Hamdi: Assad stelle nicht die Katastrophenhilfe in den Vordergrund. "Vielmehr hofft er auf eine Normalisierung der internationalen Beziehungen und die Rehabilitation seines Regimes." 

Bald wieder mit Syrien als regulärem Mitglied? Sitzung der Arabischen Liga im März 2020Bild: MOHAMED EL-SHAHED/AFP/Getty Images

Die Chancen, dass ihm dies gelinge, stünden nicht schlecht, sagt der Politikwissenschaftler André Bank vom Hamburger GIGA-Institut für Nahost-Studien. Das gelte auch mit Blick auf die EU. "Denn gerade einige ostmitteleuropäische Länder wie Polen und Ungarn signalisieren eine gewisse Verständigungsbereitschaft Richtung Syrien. Aus ihrer Sicht ist der Krieg in Syrien beendet. Auf dieser Argumentationsgrundlage wollen sie syrische Flüchtlinge zurückschicken."

Gerade der jüngst erfolgte Rechtsruck in Schweden wie in Italien deute darauf hin, dass der bisherige Konsens innerhalb der EU - nämlich nicht mit Assad zu verhandeln - brechen könne, so Bank. "Das könnte zu einer verstärkten Akzeptanz Assads und seines Regimes führen."

Neue Akzeptanz in der arabischen Welt

Auch durch arabische Staaten erfährt die syrische Regierung infolge des Erdbebens zunehmend Unterstützung. Hilfsbereit zeigen sich selbst solche Länder, die wegen des seit 2011 tobenden Bürgerkriegs die Beziehungen zu Damaskus abgebrochen hatten. So soll der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi vor einigen Tagen erstmals seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges mit Assad telefoniert haben. Später hieß es, ägyptische Hilfslieferungen würden mit der Regierung in Damaskus koordiniert.

Menschliche Not als Spielmasse der Politik - Blick auf ein zerstörtes Viertel der Stadt Harim in Nordwest-SyrienBild: OMAR HAJ KADOUR/AFP/Getty Images

Auch Katar und Oman, die beide das Assad-Regime strikt ablehnen, kündigten eine Luftbrücke mit Hilfsgütern für die Türkei an. Diese seien für die syrische Bevölkerung bestimmt und sollten ohne Beteiligung der syrischen Regierung verteilt werden, hieß es aus den Regierungen der beiden Länder. Die irakische Regierung forderte unterdessen erneut die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga, eine Gruppe von 22 Ländern, die Syrien 2011 als Folge von Assads brutalem Vorgehen gegen die Demonstranten suspendiert hatte.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Libanon, Oman und Algerien haben signalisiert, dass sie Syrien gerne wieder in der Liga sehen würden.

Gespräche mit Ankara

Sogar die Türkei, Hauptunterstützer der von der Opposition gehaltenen Regionen im Nordwesten, hat in diesem Jahr die Beziehungen zu Damaskus aufgetaut.

"Die Türkei führt Gespräche mit dem Assad-Regime", sagt der in London ansässige Risikoanalyst Guney Yildiz der DW. Zwar seien Details der Gespräche nicht bekannt. "Man kann aber davon ausgehen, dass es auch um die schrittweise Wiederherstellung von Assads Kontrolle über die bislang noch nicht von ihm kontrollierten Gebiete geht."

Allerdings spreche wenig dafür, dass Assad in absehbarer Zeit die Oberhand im Nordosten oder Nordwesten des Landes gewinnen werde, sagt Sami Hamdi. "Ankara ist strikt dagegen, dass Assad seine Autorität im Nordwesten des Landes wiederherstellt, ohne dass es vorher eine Einigung hinsichtlich von Pufferzonen, der Umsiedlung von Flüchtlingen und Einflusszonen gegeben hat."

Das Gleiche gelte für den Nordosten des Landes. "Dort wird die Sicherheit von den USA garantiert. In Washington will man offenbar an dem Plan festhalten, über die kurdische Autonomie Assad zu kontrollieren."

Warnung vor Rehabilitation Assads

Assad nutze das Erdbeben durchaus geschickt für seine Zwecke aus, sagt André Bank. Darauf dürfe die Staatengemeinschaft sich nicht einlassen. "Denn es wäre die Rückkehr einer autoritären Diktatur, die mit für die global schlimmsten Menschenrechtsverletzungen im 21. Jahrhundert verantwortlich ist." Auch der Umstand, dass rund vier Millionen Menschen in der von den Rebellen kontrollierten Region Idlib ausharrten, gehe auf die von Assad vertreten Kriegslogik zurück. "Insofern ist es mehr als problematisch, wenn diese Regierung auf die internationale Bühne zurückkehrt."

Adaption aus dem Englischen: Kersten Knipp

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.