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Politik

Syrienhilfe: Milliarden dringend gesucht

Barbara Wesel
24. April 2018

Die Geberkonferenz in Brüssel soll erneut Milliarden für die humanitäre Hilfe im Syrienkonflikt sammeln. Hilfsorganisationen schlagen Alarm, die Zahl der Flüchtlinge wächst und eine politische Lösung ist nicht in Sicht.

Belgien Brüssel - Zur Syrien Konferenz: Zerbombter Klassenraum in Syrien
Bild: DW/A. de Loore

Die Hilfsorganisation "Save the children" hat ihr Anliegen bildhaft gemacht: Zur Syrien-Geberkonferenz, die an diesem Dienstag in Brüssel beginnt, hat sie vor dem Gebäude der EU-Kommission ein zerbombtes Klassenzimmer aufgebaut, um den Regierungen vor Augen zu führen, worum es unter anderem geht. "Ein Drittel der Schulen in Syrien sind zerstört, ein Drittel der Kinder haben keinen Unterricht mehr", sagt Helle Thorning-Schmidt, früher dänische Ministerpräsidentin, heute Chefin der Organisation.

Es geht um die Zukunft der Kinder

Bislang galt 2017 als das schlimmste Jahr in Syrien. 2018 könnte noch verheerender und gewalttätiger werden: Wenn der Krieg in den städtischen Regionen geführt wird, sind Kinder besonders betroffen, sagt Thorning-Schmidt. Es fehlt an Gesundheitsversorgung, guter Ernährung und Schulen, wo die Kinder das Trauma des Krieges verarbeiten könnten. "Die Kinder in Syrien verlieren ihre Zukunft", und später würden die Ärzte, Krankenschwestern und Ingenieure fehlen, um das zerstörte Land wieder aufzubauen.

Sie beklagt auch, dass der humanitäre Zugang innerhalb des Landes für die Helfer immer schwerer und gefährlicher werde. Darüber hinaus sagt die Dänin: "Wir stehlen ihre Zukunft zweimal: Erst zwingen wir sie zur Flucht, dann geben wir ihnen keinen Zugang zu Bildung." Etwa die Hälfte der syrischen Bevölkerung sei inzwischen auf der Flucht innerhalb Syriens oder außerhalb in den Nachbarländern. Dort gehe es vor allem darum, ihren rechtlichen Status zu verbessern, sowie Jordanien und den Libanon finanziell zu unterstützen, damit junge Syrer Zugang zu Bildung bekommen.

In Trümmern lernen: Schule in Duma (Sept. 2017)Bild: Reuters/B. Khabieh

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF lobt insbesondere die Nachbarländer, wo syrische Kinder zusammen mit einheimischen zur Schule gehen können. "Sie haben ihre Bildungsinfrastruktur erneuert, Beschäftigung für Lehrer geschaffen und die Toleranz zwischen einheimischen und syrischen Flüchtlingen gefördert." Diese Länder aber mussten mit zwei Millionen zusätzlicher Kinder fertig werden, angesichts einer schwachen eigenen Wirtschaftslage. Deshalb brauche man eine "flexible, bedingungslose und langfristige Finanzierung für den Bildungssektor in den wichtigsten Aufnahmeländern", sagt UNICEF-Nahost-Direktor Geert Cappelaire.

Ringen um Milliardensummen

Der Kampf um die Zukunft syrischer Kinder aber ist nur ein Aspekt unter vielen. Die erste Syrien-Geberkonferenz im Frühjahr vorigen Jahres brachte Zusagen in Höhe von rund neun Milliarden Euro zusammen für Projekte, die teilweise bis 2020 laufen. Jetzt aber geht es darum, erneut um Unterstützung in Milliardenhöhe zu betteln. Die internationalen Hilfsorganisationen trommeln bereits mit Katastrophenmeldungen, auch zur Gesundheits- und Nahrungsmittelhilfe.

Das Welternährungsprogramm (WFP) versorgt derzeit die Hälfte der insgesamt 6 Millionen Flüchtlingen außerhalb Syriens. Dafür brauche man rund 900 Millionen Dollar pro Jahr, zur Verfügung stünden aber nur 500 Millionen. Außerdem seien inzwischen weitere 500.000 Vertriebene hinzugekommen, die ebenfalls versorgt werden müssten. Und die Welthungerhilfe warnt vor einer weiteren humanitären Katastrophe in der Provinz Idlib, wo bis zu 700.000 Menschen von Kämpfen betroffen seien.

Weitere Kämpfe bringen immer neue Flüchtlingswellen, wie hier zuletz in Ost-Ghuta Bild: Getty Images/AFP/L. Beshara

Darüber hinaus breche auch die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge etwa in Jordanien zusammen. Dort sei die subventionierte Gesundheitshilfe für Syrer seit Februar abgeschafft, erklärt die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Das führe dazu, dass sie sich Arztbesuch und Medikamente nicht mehr leisten könnten und praktisch ohne medizinische Hilfe dastehen.  

Ein weiterer Aspekt ist der Mangel an Zugang für humanitäre Hilfe. Nach UN-Angaben hatte das Assad-Regime im vorigen Jahr nur 47 von 171 beantragten Hilfskonvois genehmigt. Außerdem werden die Helfer selbst zum Ziel: Quasi alle Organisationen klagen, dass sie im Land nicht sicher arbeiten könnten. Und von einer Rückkehr von Flüchtlingen in das zerstörte Land könne vorerst überhaupt keine Rede sein: "Syrien ist nicht sicher und nicht (auf ihre Rückkehr) vorbereitet. Die Konferenz muss das anerkennen, sich für die Rechte der Flüchtlinge einsetzen und die Nachbarländer unterstützen, die 5,6 Millionen von ihnen aufgenommen haben", erklärt Mark Schnellbächer vom International Rescue Committee. Auch Care und Oxfam haben einen gemeinsamen Aufruf aller größeren Hilfsorganisationen unterzeichnet, die in der Region tätig sind.

Die Masse der Syrien-Flüchtlinge in den Nachbarländern lebt von internationaler Hilfe, und die ist unterfinanziertBild: Getty Images/AFP/K. Mazraawi

Hilflose Rufe nach politischer Lösung

"Die Geberkonferenz ist auch ein Ausdruck der Hilflosigkeit der internationalen Gemeinschaft", sagt Bärbel Dieckmann von der Welthungerhilfe. Und die Europaabgeordnete und Menschenrechts-Expertin Barbara Lochbihler verlangt eine koordinierte europäische Diplomatie, um die Kriegspartner in Syrien an den Verhandlungstisch zu bringen und zu einer politischen Lösung zu kommen. Das ist leicht verlangt und schwer umgesetzt. Der UN-Beauftragte für die Genfer Syrien-Verhandlungen Staffan de Mistura, der auch Gast der Brüsseler Konferenz ist, kann die Probleme im Detail erörtern. Auch wenn der deutsche Außenminister Heiko Maas beim G7 Treffen in Toronto fordert, Russland müsse seinen Beitrag leisten - bisher sind noch alle Bemühungen an Moskau und Damaskus gescheitert, wo Machthaber Assad sich jetzt auf der Siegerstraße sieht.

Man redet in Brüssel nur über humanitäre Unterstützung, bestätigte ein EU-Sprecher vor Beginn des Treffens. Es gehe nicht um Wiederaufbau, darüber könne erst in der Übergangsphase verhandelt werden, und von der sei man noch weit entfernt. Und genau da liegt das Dilemma dieser Geberkonferenz: Das humanitäre Desaster in Syrien wächst schneller als die Bereitschaft der Geldgeber, zu seiner Linderung immer neue Milliarden-Zusagen zu machen. Ein Ende dieser Spirale ist nicht in Sicht.