Syriens Kampf um internationale Aufmerksamkeit
28. September 2025
Für Syriens Interimspräsidenten Ahmad Al-Scharaa war die Rede vor der 80. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York in dieser Woche ein Meilenstein in seiner Karriere und für die Anerkennung seines Landes. "Syrien erobert seinen rechtmäßigen Platz unter den Nationen der Welt zurück", sagte Al-Scharaa in New York.
Es war das erste Mal seit 1967, dass ein syrischer Staatschef an der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNGA) teilnahm. Syrien wurde seitdem bei der UNGA nicht vom Staatschef, sondern von Außenministern vertreten.
Seit Dezember 2024, als eine Offensive unter Führung der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham unter Ahmad Al-Scharaa den langjährigen Diktator Bashar Assad stürzte und damit auch einen fast 14 Jahre andauernden Bürgerkrieg beendete, haben sich die Beziehungen zwischen Syrien, den USA und vielen westlichen Ländern entspannt.
"Ahmad Al-Scharaa scheint sich der Notwendigkeit, die derzeitige internationale Dynamik in solide Erfolge umzusetzen, sehr bewusst zu sein, da er weiß, dass die Stabilität seiner Regierung und des Landes direkt mit dem Fortschritt verbunden ist", erklärte Julien Barnes-Dacey, Direktor des MENA-Programms beim European Council on Foreign Relations ECFR, gegenüber der DW.
Damaskus fordert Abschaffung der Sanktionen
So forderte Al-Scharaa in seiner Rede die vollständige Aufhebung der Sanktionen, "damit sie das syrische Volk nicht länger fesseln". Seiner Ansicht nach hat sich Syrien von einem "Exporteur von Krisen" zu einem Ort der "Chancen" gewandelt, der keinen weiteren internationalen Sanktionen ausgesetzt sein sollte.
"Al-Scharaa hat hier ein starkes Argument, was die zentrale Bedeutung der Sanktionserleichterungen angeht, die er durch sein Engagement gegenüber den USA erfolgreich durchsetzt und die für die Öffnung der Wirtschaft, die das Land so dringend benötigt, von entscheidender Bedeutung sein werden", sagte Barnes-Dacey vom ECFR.
Zwar wurden bereits viele Sanktionen, wie beispielsweise die von der EU und den USA nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 verhängten, Anfang dieses Jahres aufgehoben. Doch die strengsten Strafauflagen aus dem Caesar Syria Civilian Protection Act aus dem Jahr 2019 sind noch in Kraft.
Diese Sanktionen sollten die Verantwortlichen für Verbrechen der früheren syrischen Regierung unter Assad sowie seiner Verbündeten Russland und Iran zur Rechenschaft ziehen. Eine endgültige Aufhebung hängt vom US-Kongress ab.
Haftbefehl gegen Machthaber Assad
Dass Syriens Justizbehörden nun am 27. September einen Haftbefehl gegen den gestürzten Machthaber Assad erlassen haben, ist deshalb ein wichtiges Signal an die USA und die internationale Gemeinschaft. Der Haftbefehl ermöglicht unter anderem eine Interpol-Fahndung.
Nicht nur die Sanktionen belasten die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Auch die schrumpfenden Mittel im Bereich der internationalen Zusammenarbeit machen sich bemerkbar. So fehlen durch die Auflösung der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID seit dem 1. Juli Millionen an Hilfsgeldern.
"Leider fällt der Wandel in Syrien mit einer Krise der internationalen Entwicklungshilfe zusammen", sagte Bente Scheller, Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika bei der politischen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, gegenüber der DW.
"Gerade jetzt, wo wir zum ersten Mal seit Jahrzehnten wirklich die Möglichkeit hätten, den demokratischen Wandel in Syrien zu unterstützen, gehen auch die Sonderfonds für syrische politische Stiftungen in Deutschland zur Neige", so Scheller.
Die Budgets für Entwicklungszusammenarbeit seien so massiv gekürzt worden, "dass wir in den kommenden Jahren kaum noch Mittel für Syrien zur Verfügung haben werden".
Protest gegen Angriffe Israels
Damit nicht genug: Die Aufbruchstimmung im Land steht in krassem Gegensatz zur anhaltenden Eskalation in einigen Regionen des Landes. So verurteilte Al-Scharaa in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung die jüngsten Luftangriffe Israels auf mehrere Regierungsgebäude in Damaskus. Sie stünden "im Widerspruch zur Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für Syrien und sein Volk".
Der Interimspräsident sprach auch den blutigen Konflikt zwischen Drusen und Beduinen in der Region Al-Suwaida im Juli an. Laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) wurden dabei über 1250 Menschen getötet. An den Angriffen sollen Regierungstruppen und mit ihnen verbündete Milizen beteiligt gewesen sein.
"Ich verspreche, jeden, dessen Hände mit dem Blut des syrischen Volkes befleckt sind, vor Gericht zu stellen", gelobte Al-Scharaa in New York und fügte hinzu, dass Syrien Untersuchungskommissionen gebildet und den Vereinten Nationen das Recht eingeräumt habe, die Morde zu untersuchen.
Umstrittene bevorstehende Wahlen
Ein weiterer Konflikt betrifft die bevorstehenden Parlamentswahlen in Syrien am 5. Oktober. Denn zwei Minderheiten aus drei Regionen wurden aufgrund von Sicherheitsbedenken und fehlender zentraler Kontrolle von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen.
Damit verringern sich die Sitze im neuen syrischen Parlament von ursprünglich 140 auf 121 Sitze. Umstritten ist auch, dass diese 121 Sitze von Wahlgremien vergeben werden, die enge Verbindungen zum Präsidenten haben.
Trotz der zahlreichen Hindernisse scheint im Land eine gewisse Aufbruchstimmung zu herrschen. Laut dem aktuellen Arab Opinion Index vom 18. September 2025 glauben in Syrien "56 Prozent der Befragten, dass Syrien sich in die richtige Richtung bewegt. Die Mehrheit beschreibt Gefühle der Erleichterung, Sicherheit, Freude und Hoffnung", so die Meinungsumfrage.
Die Zahlen seien "ein Lackmustest für die politische Stimmung im Land – die Befragten waren trotz der Sorgen über eine mögliche Teilung Syriens, externe Interventionen und israelische Luftangriffe und Bodenoffensiven auf syrischem Territorium optimistisch".
Abschiebungen nach Syrien
Die deutsche Bundesregierung will diese Lage nutzen, um mit der Regierung in Damaskus eine Einigung über Abschiebungen abgelehnter syrischer Asylbewerber zu erzielen. So kündigte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt in einem Zeitungsinterview vom 26. September an, die Gespräche über eine entsprechende Vereinbarung würden in Kürze beginnen.
Wegen des Bürgerkrieges gab es seit 2012 keine Abschiebungen nach Syrien mehr. Seit dem Sturz von Machthaber Assad im vergangenen Dezember sind knapp 1900 Menschen mit staatlicher Förderung freiwillig nach Syrien zurückgekehrt. Ende Juli lebten laut Ausländerzentralregister noch 955.000 syrische Staatsbürger in Deutschland.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und aktualisiert.