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Syriens Kurdengebiete vor ungewisser Zukunft

29. Juli 2025

Nach der tödlichen Gewalt in den Siedlungsgebieten der syrischen Drusen und Alawiten und angesichts der geplanten Selbstauflösung der PKK im Nachbarland Türkei sehen sich Syriens Kurden vor schwierigen Herausforderungen.

Syrischer Kurden feiern das Nowruz-Fest in Beirut, 2016
Entwaffnung als "rote Linie": Syrische Kurden, hier bei einem Neujahrsfest in Beirut - dorthin waren viele Syrer während des Bürgerkriegs geflohen (Archivbild)Bild: Bilal Hussein/AP Photo/picture alliance

An einem lassen militärische Vertreter der größten Minderheit Syriens, der rund zweieinhalb Millionen Kurden, keinen Zweifel: Eine Entwaffnung ist für sie eine "rote Linie". Das erklärten sie nach den jüngsten Gewaltvorfällen gegen andere Minderheiten in Syrien.

"Wer davon ausgeht, dass wir kapitulieren, wird verlieren" erklärte kürzlich der Sprecher der kurdisch geprägten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Farhad Shami, gegenüber dem lokalen Fernsehsender al-Youm TV. "Das haben die tragischen Ereignisse deutlich gemacht", sagte er mit Blick auf die tödliche Gewalt zwischen arabischen Beduinenstämmen und der drittgrößten religiösen Minderheit, den Drusen, Anfang dieses Monats.

Ein in Paris geplantes Treffen über wichtige Details eines Friedensabkommens zwischen den Kurden und der syrischen Übergangsregierung unter Präsident Ahmad al-Scharaa wurde zunächst verschoben. Eigentlich soll die Übereinkunft bis Ende des Jahres umgesetzt werden. Doch das vorliegende Papier enthält noch mehrere ungeklärte Punkte. Dazu zählen gewichtige Kernfragen wie die Integration der kurdischen Streitkräfte in die syrische Armee und der Status der Region mit ihren Grenzübergängen zum Irak und zur Türkei. Offen ist ebenfalls, wer die dortigen Ölfelder sowie die in der Region gelegenen Gefängnisse mit Tausenden von inhaftierten IS-Kämpfern kontrollieren soll. Diese erinnern daran, dass die Kurden in Koordination mit den USA den "Islamischen Staat" bekämpft hatten. Ihre militärischen Einheiten gelten zugleich als eng liiert mit der unter anderem in Deutschland als Terrororganisation gelisteten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die jahrzehntelang in der Türkei für kurdische Unabhängigkeit gekämpft hat und kürzlich angekündigt hat, den gewaltsamen Kampf einzustellen und sich zu entwaffnen. 

Die Regierung in Damaskus hat auf die Ankündigung der Kurden, gegenüber der syrischen Zentralregierung nicht zu "kapitulieren", mit Verärgerung reagiert: "Die Ereignisse in Suwaida oder entlang der Küste (dort kam es im Frühjahr dieses Jahres zu Gewalt gegen die alawitische Minderheit, Anm. d. Red.) als Rechtfertigung zu nutzen für die Weigerung, in den Staat zurückzukehren - das ist eine Manipulation der öffentlichen Meinung", sagte einer ihrer Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Ein echter nationaler Dialog könne nicht unter Androhung von Gewalt oder mit Unterstützung ausländischer Mächte stattfinden.

Vor schwierigen Aufgaben: der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa (l.), hier mit US-Präsident Donald Trump und dem saudischen Kronprinzen Mohamed bin Salman Bild: IMAGO

Türkische Warnung vor Intervention

Allerdings berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press in der vergangenen Woche, Damaskus habe die Türkei um Unterstützung bei der Stärkung der syrischen Verteidigungskapazitäten gebeten. Ankara gilt als entschiedener Unterstützer des syrischen Interimspräsidenten.

In Ankara gelten die militärisch und politisch organisierten syrischen Kurden als enge Verbündete oder sogar als faktischer Flügel der PKK. Darum setzt sich gerade auch die Türkei dafür ein, dass sich die syrischen Kurden entweder in die syrische Armee integrieren oder ihre Waffen niederlegen - und das möglichst im zeitlichen Zusammenhang mit der kürzlich angekündigten Selbstauflösung der PKK und einer ersten, allerdings ehersymbolischen Waffenvernichtungszeremonie in Irakisch-Kurdistan am 11. Juli.

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Die Türkei bemüht sich zudem um ein Verteidigungsabkommen mit Damaskus. Ein solches Abkommen würde Berichten zufolge allerdings die Errichtung türkischer Militärstützpunkte auf syrischem Gebiet beinhalten, vermutlich im Nordosten Syriens. Dort lebt die kurdische Bevölkerung derzeit unter autonomer Selbstverwaltung, die Kurden selbst nennen dieses Gebiet 'Rojava'.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan hat laut AP die Kurden gewarnt, die jüngsten Spannungen im Süden Syriens für Autonomiebestrebungen auszunutzen. Jeder Versuch, Syrien zu spalten, werde als direkte Bedrohung der nationalen Sicherheit der Türkei gewertet und könne zu einer Intervention führen. Auf kurdischer Seite dürfte auch diese Ankündigung den Widerstand gegen eine Entwaffnung der eigenen Kämpfer eher weiter anwachsen lassen.

"Ohne Dialog keine Stabilität"

Derzeit scheint völlig offen, ob und in welchem Umfang die syrischen Kurden ihre Teilautonomie im Nordosten Syriens bewahren werden können. Zwar haben alle Minderheiten Damaskus aufgefordert, ihre Rechte zu wahren. Doch sind die Kurden die einzigen, die darüber hinaus explizit politische Autonomie beanspruchen. 

"Wenn Minderheiten wie Drusen, Alawiten und Christen keine Rechte gewährt werden, werden auch die Kurden keine ihrer spezifischen Forderungen aufgeben", meint Mohamed Noureddine, Nahost-Professor an der Libanesischen Universität in Beirut, im DW-Interview. "Solange die Regierung von Ahmed al-Scharaa in Damaskus keinen Dialog aufnimmt und keine Verfassung verabschiedet, die alle Bürger gleich behandelt, wird es keine Stabilität geben."

Übergangspräsident al-Scharaa hat zwar wiederholt erklärt, er werde die Rechte von Minderheiten wahren und ihnen Schutz garantieren. Allerdings hat dies gewaltsame Auseinandersetzungen nicht verhindern können, und es unterstützen offenbar auch nicht alle regierungsnahen Kräfte diese Haltung. Die jüngsten Angriffe auf Minderheiten sollen von Regierungstruppen zumindest teilweise zusätzlich verschärft worden sein.

Könnte auch Israel involviert werden?

Hinzu kommt ein weiteres Risiko: "Wenn sich die Kurden durch die sicherheitspolitischen Angebote der Türkei an Damaskus bedroht fühlen, könnte Israel dies für sich nutzen", sagt Natasha Hall vom Center for Strategic and International Studies in Washington. "Wir wissen, dass es bereits Beziehungen zwischen Kurden in verschiedenen Ländern und Israel gibt. Sie gehören zu Israels Plan, im Nahen Osten Beziehungen zu Minderheiten aufzubauen", so Hall zur DW.

Mit dem Argument, die drusische Minderheit schützen zu wollen, hatte Israel Anfang Juli bereits das Hauptquartier des syrischen Verteidigungsministeriums im Zentrum von Damaskus und Regierungstruppen in Suwaida angegriffen.

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Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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