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Politik

Syriens Weißhelme - umstrittene Helden

23. Juli 2018

Deutschland wird acht der geretteten Weißhelme und ihre Familien aufnehmen. Die Hilfsorganisation gewann 2016 den alternativen Nobelpreis, wird aber wegen ihrer politischen Verbindungen auch kritisiert.

Syrien Weißhelme Hilfsorganisation
Bild: Imago/Zumapress

Die Bundesregierung begrüßt die Rettung der mehr als 400 syrischen Weißhelme und ihrer Angehörigen durch die israelische Armee. "Es ist eine gute Nachricht, dass es in enger Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern gelungen ist, viele der Weißhelme aus Südsyrien in Sicherheit zu bringen. Der Einsatz der Weißhelme verdient Bewunderung und Respekt", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD). "Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, dass viele dieser mutigen Ersthelfer nun Schutz und Zuflucht finden, einige davon auch in Deutschland."

Eine Sprecherin von Innenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, die acht Helfer, die Deutschland aufnimmt, dürften ihre Kernfamilien, also Ehepartner und minderjährige Kinder, mitbringen. Insgesamt werden so 47 der 422 geretteten Menschen innerhalb der nächsten drei Monate in die Bundesrepublik kommen. Ihnen drohte Gefahr, weil die syrische Armee von Machthaber Baschar al-Assad in den Süden Syriens vorrückt, wo die oppositionsnahen Helfer tätig waren. Die anderen geretteten Familien werden vorraussichtlich von Kanada und Großbritannien aufgenommen.

Die syrische Regierung bezeichnet die Rettung der Weißhelme als kriminell und nennt die Helfer "Agenten ausländischer Feinde". Auch in Deutschland gibt es Kritik an der Aufnahme der Weißhelme. Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag Heike Hänsel fordert, statt den Weißhelmen lieber Wikileaks-Gründer Julian Assange Asyl zu gewähren, dem eine unmittelbare Auslieferung an die USA drohe. "Während sich Assange für Transparenz und Demokratie eingesetzt sowie US-Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, wird den sogenannten Weißhelmen vorgeworfen, mit islamistischen Terroristen eng verbunden zu sein", so Hänsel.

Alternativer Nobelpreis für riskantes Engagement

Nach eigenen Angaben haben die Weißhelme seit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs mehr als 100.000 Menschen gerettet. Nachprüfen lässt sich das schwer. Aber wie hoch die Zahl letztlich auch sein mag: Ohne die Arbeit der Weißhelme wären in Syrien noch mehr Menschen ums Leben gekommen: zerquetscht, verbrannt oder eingesperrt in den Trümmern ihrer aus der Luft beschossenen Häuser. Dieses Engagement brachte den Weißhelmen 2016 den Alternativen Nobelpreis ein - in Anerkennung einer Arbeit, bei der die Helfer ihr Leben aufs Spiel setzen.

Weißhelme-Chef Raed el Salah bei der Verleihung des Alternativen Nobelpreises im November 2016Bild: picture-alliance/dpa/F. Sandberg

"Ich habe tote Kinder ausgegraben, ganze Familien", berichtete einer der Weißhelme im August 2016 dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Ich habe Menschen verrückt werden sehen, habe einen weinenden Vater abgewiesen, der mich vor seinem eingestürzten Haus anflehte, zuerst nach seiner Familie zu suchen. Wir müssen uns ja als erstes um jene kümmern, die noch eine Überlebenschance haben. Später fanden wir die Frau, die drei Kinder - alle tot."

Verbindungen zur Opposition

Rund 4000 Freiwillige haben sich der Organisation seit ihrer Gründung im Herbst 2014 angeschlossen. Immer wieder kommen Weißhelme bei ihren Rettungsaktionen ums Leben. Die Gruppe ist der gemäßigten Fraktion der syrischen Opposition verbunden. Doch nach Jahren des Krieges haben sich die Grenzen zwischen gemäßigten und radikalen oder gar extremistischen Gruppen in Teilen aufgelöst.

Seit fast vier Jahren engagieren sich die Weißhelme in Syrien. Rund 250 von ihnen starben bisher bei ihrer ArbeitBild: Getty Images/AFP/Z. Al Rafai

Wie unsicher die Abgrenzung geworden ist, zeigt sich etwa im Zögern westlicher Staaten, Oppositionsgruppen mit Waffen auszurüsten – zu groß ist die Sorge, sie könnten radikalen Islamisten in die Hände fallen. Deren Ziele unterscheiden sich von denen der säkularen Opposition gründlich: Während diese vor allem den Sturz Assads herbeizuführen versuchen, geht es den radikalen Islamisten darum, Syrien nach dem Ende des Krieges in einen Gottesstaat zu verwandeln.

Keine Unparteilichkeit im Bürgerkrieg

Die Gegnerschaft zum Assad-Regime hat den Weißhelmen den Vorwurf eingebracht, keine reine Hilfsorganisation, sondern auch ein Propagandainstrument der Anti-Assad-Koalition, vor allem der USA, zu sein. Tatsächlich erhielten die Weißhelme von den Vereinigten Staaten Millionen von US-Dollar an Unterstützung. Aber auch Deutschland hat die Helfer in den letzten Jahren mit zwölf Millionen Euro gefördert.

Die israelische Armee evakuierte gut 400 Weißhelme aus den syrischen GolanhöhenBild: Reuters/Israeli Army Handout

Unabhängig ist im Syrienkrieg längst kein Akteur mehr. Das Land ist Schauplatz eines Bürger- ebenso wie eines Stellvertreterkriegs, ausgefochten von regionalen und internationalen Akteuren. In diesem Krieg geraten auch Organisationen wie die Weißhelme fast unausweichlich zwischen die Fronten. Sie, die ihre Einsätze oft filmen, sind mittlerweile ebenso zu einer auch von internationalen Medien ernst genommenen Informationsquelle geworden - einer schnellen zudem.

Das kann dem Assad-Regime und Russland, welche die Angriffe in Aleppo und anderswo verantworten, nicht recht sein. Entsprechend hart werden die Weißhelme aus dieser Richtung kritisiert. Doch auch diese Kritik ist Teil eines zynischen Spiels. Wer bei Rettungseinsätzen sein Leben riskiert, der dürfte in den seltensten Fällen im Sinne haben, durch seinen Tod dem Ruf des Gegners zu schaden. Teil der Wahrheit ist zudem, dass den Weißhelmen in den vom Assad-Regime kontrollierten Gebieten Rettungsaktionen nicht erlaubt sind. Israel sagte im Rahmen der aktuellen Rettungsaktion außerdem, die Weißhelme würden von Assads Regierung mit Inhaftierung und Exekution bedroht. Zumindest die 422 Menschen, die jetzt in Jordanien auf ihre Weiterreise warten, sind davor nun sicher. 

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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