Syriens zerstrittene Opposition
16. Mai 2012 An der Macht hält sich, wer seine Gegner gegeneinander ausspielt. Diesen simplen Grundsatz der Herrschaftssicherung hat Hafiz al-Assad gut 30 Jahre lang mit größtem Erfolg beherzigt. Die eigene Religionsgemeinschaft, die Alawiten, spielte er zunächst gegen die übrigen ethnischen und konfessionellen Gruppierungen in Syrien aus. Als diese Basis irgendwann zu eng wurde, holte er auch Teile der sunnitischen und christlichen Oberschicht mit ins Boot. Die machte im Dunstkreis des Diktators beste Geschäfte - und der konnte dadurch ruhig schlafen. Denn auf die Loyalität seiner Partner konnte er sich verlassen: Die Reichtümer, die er ihnen bescherte, nahmen ihnen verlässlich jede Lust auf Dissidenz.
Auch sein Sohn und Nachfolger Baschar al-Assad scheint gut zu schlafen - jedenfalls findet er inmitten der revolutionären Wirren hinreichend Muße, um über Online-Händler westliche Popmusik zu ordern. Seine Ausgeglichenheit verdankt er zu Teilen eben jenen ideologischen Richtungskämpfen, die sein Vater über Jahrzehnte befeuert hatte und die weder nach seinem Tod ein Ende fanden, noch in den zähen Monaten der Revolution überwunden werden konnten. Zwar geht das Regime mit aller Härte gegen die Aufständischen vor. Aber dass diese keine geschlossene Front bilden, liegt auch an ihnen selbst: Einig ist sich die syrische Opposition derzeit nur in einem Punkt, nämlich darin, dass Assad die Macht abgeben muss. In fast allen anderen Fragen ist sie gründlich zerstritten. Es scheint, als sei sie unfähig, das in den vergangenen Jahrzehnten kultivierte Freund-Feind-Denken hinter sich zu lassen.
Zerstrittenheit in zentralen Fragen
Die verschiedenen Gruppen der syrischen Opposition könnten sich vor allem in drei Fragen nicht einigen, erläutert Huda Zein, die am "Centrum für Nah- und Mitteloststudien" der Universität Marburg lehrt. Zunächst sei eine militärische Intervention umstritten. Während der im Ausland ansässige "Syrische Nationalrat" (SNC) eine Intervention befürworte, spreche sich das "Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel" (NCC), das hauptsächlich in Syrien selbst sitzt, dagegen aus. Während die einen darin eine Chance sähen, die Gewalt im Land rasch zu beenden, fürchteten die anderen, diese könne so erst richtig angeheizt werden. Ähnlich gespalten seien sie auch in der Frage, ob man die oppositionelle "Freie Syrische Armee" mit Waffen ausstatten solle oder nicht. Auch hätten die beiden Gruppen ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, welchen Umgang sie mit dem Assad-Regime pflegen sollten. Während der SNC einen Dialog ablehne, spreche sich der NCC dafür aus. Baschar al-Assad soll zwar gehen - aber wie man ihn dazu bringt, sei umstritten. Zuletzt könnten sich die beiden Gruppen auch nicht in der Frage einigen, wie ein Syrien ohne Assad aussehen könnte: "Während der Nationalrat von einem neuen, zivilen und demokratischen Syrien spricht, geht das Nationale Koordinationskomitee einen Schritt weiter: Ihm schwebt ein vielfältiges, ziviles Syrien vor, das Staat und Religion klar trennt, das Gesetze und Bürgerrechte ganz unabhängig von der Religion garantiert."
Der Nationalrat argumentiere so konservativ, weil in ihm zwar auch säkulare Kräfte vertreten seien, den größten Einfluss aber die Muslimbrüder hätten, erläutert Zein. Ganz anders das Nationale Koordinierungskomitee: Hier hätten sich vornehmlich linksliberale Gruppen zusammengefunden, die dezidiert säkulare Vorstellungen pflegten.
Vertrauen in lokale Gruppierungen
Beide Gruppierungen hätten sich von den Syrern entfremdet, erläutert die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Rula Asad. "Die Leute, die wirklich innerhalb Syriens arbeiten, fühlen sich von den beiden großen Organisationen nicht mehr vertreten, denn die kommentieren das Geschehen eher, sind aber von den Ereignissen selbst sehr weit weg."
Der SNC werde nahezu ausschließlich aus dem Ausland geleitet, und der NCC zumindest in Teilen. Darüber seien beide Gruppen jenen, die im Inland unter schwierigsten Bedingungen gegen das Regime demonstrierten und dabei ihr Leben riskierten, fremd geworden - und die "wenden sich nun den lokalen Koordinierungskomitees zu, die vor Ort und nicht von außen arbeiten."
Das sieht auch Huda Zein so. Die syrische Bevölkerung habe den Eindruck, weder von der internationalen Gemeinschaft noch von der Opposition unterstützt zu werden, sondern dem Regime allein gegenüber zu stehen. Das liege zum großen Teil daran, dass die einzelnen Oppositionsgruppierungen es bisher nicht geschafft hätten, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen. "Das wäre aber sehr wichtig, denn jede revolutionäre Erhebung oder Aufstand braucht eine politische Führung, die deren Forderungen bündelt und artikuliert. Bleibt das aus, wird auch die internationale Unterstützung schwierig."
Und darum, ergänzt Rula Asad, vertrauten die Syrer derzeit vor allem auf die lokalen Koordinierungsgruppen vor Ort. Die bemühten sich, die lokale Opposition zu einen, Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg zu räumen und einen größtmöglichen Konsens zu begründen. Damit legten sie jene Basis, auf der die Opposition sich artikuliere. Dafür brächten die Mitarbeiter der Komitees denkbar große Opfer: "Sie setzen sich vor allem aus jungen Menschen zusammen. Viele von ihnen sind im Laufe der 15 Monate, die die Revolution jetzt andauert, gestorben. Doch eben diese lokale Präsenz verschafft ihnen auch Glaubwürdigkeit."
Alles in allem, meint Huda Zein, hätten die beiden großen Oppositionsgruppen ihre wesentliche Aufgabe noch nicht erfüllt, sämtliche Strömungen der Regierungsgegner zu vertreten.
30 Jahre hatte Hafiz al-Assad Zeit, tiefe Gräben zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten zu ziehen. An diese haben sich die Syrer inzwischen vielleicht so sehr gewöhnt, dass sie sich selbst in der Stunde der Not nicht entscheiden können, sie zuzuschütten. Die ideologische Zerrissenheit aber schwächt die Opposition - und stärkt ausgerechnet ihren größten Gegner.