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PolitikLibyen

Syrische Flüchtlinge: willkommene Fachkräfte in Libyen

Islam Alatrash
12. September 2024

Libyen befindet sich seit Jahren in einer wirtschaftlichen und politischen Krise. Dennoch hat das Land viele syrische Flüchtlinge aufgenommen, die nun helfen, die Lücken auf dem heimischen Arbeitsmarkt zu schließen.

Blick aus einem Flugzeug auf die libysche Hauptstadt Tripolis
Neue Heimat vieler Syrer: die libysche Hauptstadt TripolisBild: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Omar al-Awadah ist zufrieden mit seinem Leben. Bereits 2011, im ersten Jahr des Aufstands in Syrien, floh er mit seiner Familie Richtung Westen. Wie viele seiner Landsleute habe er zunächst überlegt, nach Deutschland zu gehen, erzählt der 31-Jährige der DW. "Aber dann habe ich mich entschieden, in Libyen zu bleiben. Denn hier habe ich alles, was ich brauche. Mit all den Möglichkeiten, die ich hier habe, kann ich meiner Familie eine gute Zukunft sichern."

In Tripolis hat Al-Awadah vor einiger Zeit eine Autowerkstatt eröffnet. Dank seiner Zuverlässigkeit und hohen Qualifikation hat er sich bei seinen Kunden einen guten Ruf erworben.

Syrer bringen willkommene Fähigkeiten mit

Al-Awadah ist nicht der einzige Syrer, der sich in Libyen ein neues Leben aufgebaut hat. Während viele Migranten auf der Suche nach einer besseren Zukunft nach Europa fliehen, haben er und andere Landsleute in Libyen neue Arbeits- und Integrationsmöglichkeiten gefunden. Die riskante Reise über das Mittelmeer, die viele Flüchtlinge auf sich nehmen, haben sie sich gespart. Im Jahr 2020 hielten sich laut einer Statistik des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) und 14.500 Geflüchtete und Asylsuchende aus Syrien in Libyen auf. Damit bilden sie eine kleine Gruppe unter den aus zahlreichen Ländern stammenden Flüchtlingen dort.

Neue Existenz in Libyen: Automechaniker Omar Al-AwadahBild: Islam Alatrash/DW

Derzeit sind beim UN-Flüchtlingswerk in Libyen insgesamt 60.000 Flüchtlinge und Asylsuchende registriert. Zudem gelten knapp 126.000 Personen als Binnenvertriebene. Hinzu kommen rund 44.000 Personen, die nach dem Sturm "Daniel" im September 2023 ihre Häuser verlassen mussten.

Trotz zahlreicher Herausforderungen haben viele Syrer nicht nur als einfache Arbeitskräfte, sondern auch als Unternehmer und qualifizierte Fachkräfte Fuß gefasst. Das nordafrikanische Land profitiert von ihren handwerklichen Fähigkeiten und ihrem Fachwissen. Zu ihrem Erfolg trägt auch bei, dass sie sich an die besonderen Lebensumstände des Landes angepasst haben, das seit Jahren unter einem noch nicht vollständig beendeten Bürgerkrieg leidet. Schritt für Schritt wurden sie zu einem integralen Bestandteil der Wirtschaft des Landes, die derzeit schwer zu kämpfen hat.

Libyens flexible Bürokratie hilft

Libyen bietet bleibewilligen Syrern mehrere rechtliche Vorteile. So zeigt sich das Land bei der Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen sehr flexibel. Das ermöglicht den Neuankömmlingen einen schnellen Einstieg ins Berufsleben.

"In der Türkei haben uns rechtliche Komplikationen daran gehindert, unser Geschäft zu erweitern", sagt Abu Ali, der in der Hauptstadt Tripolis eine syrische Konditorei betreibt. In Libyen sei alles viel einfacher, so der 44-Jährige im DW-Gespräch. "Wir konnten unser Geschäft ohne großen bürokratischen Aufwand eröffnen."

Guter Ruf dank feiner Backwaren: der syrische Konditor Abu AliBild: Islam Alatrash/DW

Die Libyer ihrerseits pflegen zu den Neuankömmlingen ein unkompliziertes Verhältnis. "Die Syrer sind professionell und pragmatisch", sagt Muftah Alghazal, der an der Universität Tripolis Tourismus studiert. "Wir respektieren sie, weil sie genau die Fähigkeiten mitbringen, die wir brauchen. Viele von ihnen besaßen vor dem Krieg erfolgreiche Werkstätten und Unternehmen. Die führen sie jetzt hier fort."

Ähnlich sieht es die Lehrerin Najwa Omar. "Die Syrer sind inzwischen Teil unseres täglichen Lebens. Syrische Restaurants und Geschäfte gehören mittlerweile zu den libyschen Stadtvierteln dazu. Wir Libyer lieben die syrische Küche. Das hat die Integration zwischen den beiden Völkern erleichtert. Aber wir sehen sie nicht als Flüchtlinge. Denn Libyen ist ein Zuhause für alle."

Prekäre Rechtslage für Eingewanderte

Zwar gibt es in Libyen keine offizielle Asylpolitik. Doch die Syrer profitieren von der Flexibilität der Verwaltung bei der Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. "Es gibt zwar formal keine Gesetze", erklärt der Menschenrechtsaktivist Mohammed al-Bargali der DW. Aber die Syrer hätten es geschafft, sich an das informelle System im Land anzupassen. "Dadurch erhalten sie leichter als andere Migranten eine Arbeitserlaubnis."

Libyen hat weder die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 noch das Zusatzprotokoll von 1967 unterzeichnet, was die rechtliche Situation für Flüchtlinge im Land erschwert. So genießen viele Flüchtlinge, darunter auch Syrer, nicht den vollen rechtlichen Schutz, der ihnen den Zugang zu grundlegenden Rechten wie Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung ermöglichen würde. "Aus diesem Grund befinden sich die Flüchtlinge in einer prekären Rechtslage, die es ihnen schwierig macht, ihre Rechte formell einzufordern", sagt Al-Bargali.

Tödliches Risiko: die Fahrt in kleinen Booten über das Mittelmeer Bild: Daniel Kubirski/picture alliance

Das führt Menschenrechtsorganisationen zufolge dazu, dass auch Syrer von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Dennoch sind viele der aus Syrien Geflüchteten mit ihrer Situation zufrieden. "Ich habe mich dennoch entschieden, in Libyen zu bleiben", sagt der ebenfalls aus Syrien geflohene Abu Malik. Sein Traum sei zwar Europa gewesen. "Aber dieser Traum ist riskant", sagt der 37-Jährige, der in einer Autolackiererei arbeitet. "Hier habe ich nun die Chance, zu arbeiten und ein Leben unter geordneten Verhältnissen zu führen." Zwar seien auch hier die Bedingungen nicht perfekt. "Aber ich muss keine Steuern zahlen und außerdem sind Strom und Wasser kostenlos."

Auch Konditor Abu Ali ist zufrieden. "Es war nicht leicht, die Heimat zu verlassen. Aber nun haben wir einen Weg gefunden, hier unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir schätzen die Möglichkeiten, die Libyen uns bietet und fühlen uns als Teil der libyschen Gemeinschaft."

Schwierige Lage im Osten des Landes 

Vor allem Syrer, die im Osten des Landes leben, haben jedoch Schwierigkeiten, sich beim UNHCR als Flüchtlinge registrieren zu lassen. Denn das Flüchtlingshilfswerk hat in Libyen nur ein einziges Büro, und das befindet sich in Tripolis, das im Westen liegt. Für Geflüchtete, die im Osten despolitisch geteilten Landes mit zwei Regierungen leben, ist die lybische Hauptstadt schwer erreichbar.

Immer wieder kommt es auch in Tripolis zu Auseinandersetzungen zwischen offiziellen Sicherheitskräften und Milizen wie hier im August 2023Bild: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Wie andere Geflüchtete sind aber auch sie auf die UNHCR-Registrierung angewiesen, um rechtlichen Schutz und humanitäre Hilfe zu erhalten. Da ihnen diese aber kaum möglich ist, befinden sie sich in einer rechtlich prekären Lage und laufen Gefahr, inhaftiert und in unzureichend ausgestatteten Haftanstalten untergebracht zu werden. Außerdem könnten sie notwendige Dokumente nicht erhalten, sagt Aktivist Al-Bargali. "Damit sind sie schutzlos gegen Ausbeutung oder gar Abschiebung."

Für Al-Awadah, der 2011 mit seiner Familie nach Libyen kam, waren diese rechtlichen Herausforderungen zu Beginn seines Arbeitslebens ein großes Hindernis. "Als ich nach Libyen kam, gab es viele Probleme. Ich konnte mich nicht beim UNHCR registrieren lassen, weil ich im Osten des Landes lebte. Erst 2019 konnte ich mich endlich registrieren lassen."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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