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PolitikAsien

Tödliche Bedrohung für freie Presse in Afghanistan

Nasim Saber
14. Dezember 2020

Ist die freie Presse, eine echte Errungenschaft in Afghanistan seit 2001, in tödlicher Gefahr? Die jüngsten Anschläge lassen Schlimmstes befürchten.

Afghanistan Beerdigung Journalistin Malalai Maiwand
Bild: Parwiz/REUTERS

Die vergangenen Donnerstag von Extremisten in ihrem Auto erschossene Radio- und Fernsehmoderatorin Malala Maiwand trug einen in Afghanistan berühmten Namen. Sie war benannt nach Malalai Noorzai von Maiwand, die im zweiten anglo-afghanischen Krieg von 1878-1880 an der Schlacht von Maiwand in der heutigen Provinz Kandahar teilgenommen hatte. Die Schlacht endete mit der Niederlage der britischen Truppen gegen einen vermeintlich unterlegenen Gegner.

Während allerdings die historische Malala als Projektionsfläche für den Unabhängigkeitskampf gegen die verhassten imperialistischen Mächte des 19. Jahrhunderts dient, starb die Journalistin Malala Maiwand für ihr soziales Engagement und die Meinungsfreiheit. Täter sind Extremisten, welche die afghanische Republik und die hart erkämpften Bürgerrechte bekämpfen. Nach einigen Berichten sollen sich die Attentäter zum IS bekannt haben.

Wachsende Gefahr durch militante Extremisten

Feinde der in den letzten 19 Jahren errungenen sozialen Freiheiten und Fortschritte in Afghanistan sind zahlreiche extremistische Gruppen im Inland und in der Region, die gegen die "Verwaltung von Kabul" kämpfen. Diesen Ausdruck verwendet die erfolgreichste Aufstandsbewegung im Land, die Taliban, für die afghanische Zentralregierung in Kabul. Während im weit entfernten Doha Verhandlungen über eine dauerhafte Nachkriegsordnung unter Beteiligung aller Gruppen laufen, gehen die blutigen Machtkämpfe vor Ort weiter. In den vergangenen Wochen ist die Gewalt im Land wieder signifikant gestiegen. Spektakuläre Angriffe auf Bildungseinrichtungen und Raketenangriffe in Kabul machten immer wieder Schlagzeilen, wie am vergangenen Samstag der Angriff auf den Flughafen von Kabul, den ebenfalls der IS für sich reklamierte.

Journalistin Maiwand wurde vermutlich von IS-Anhängern ermordertBild: Rat der Friedensgespräche Afghanistan

Journalisten fordern Schutz

Bei ihrer Beisetzung von Malala Maiwand in der Provinzhauptstadt Dschalalabad, an der neben vielen Politikern auch Berufskollegen und Menschenrechtsaktivisten teilnahmen, wandte sich ihr Vater, Golmullah, an den Gouverneur der Provinz, Zia-ulhaq Amarkhel, und nutzte dabei den symbolträchtigen Namen seiner ermordeten Tochter als ein Zeichen für den Kampf um Pressefreiheit und die Rechte von afghanischen Frauen: "Was meine Malala angeht, so habe ich noch weitere Töchter, die diesen Weg (des sozialen Engagements und der Meinungsfreiheit) weiterhin beschreiten werden. Doch ich fordere nachdrücklich, dass ihre Mörder festgenommen werden."

Gouverneur Amarkhel erwiderte, dass er die "Sicherheitsorgane mit deutlichen Worten angewiesen habe, um jeden Preis die Mörder zu finden". Tatsächlich konnten die Behörden schon wenige Stunden später Erfolg vermelden: Die Täter seien festgenommen worden und hätten gestanden.

Am Rande der Beisetzung riefen Malalas Berufskollegen die Kriegsparteien in Afghanistan dazu auf, das Leben von Journalisten zu schützen. Sie seien bereit, objektiv über den Konflikt in Afghanistan zu berichten, doch müssten sie dazu von allen Seiten freie Informationen zur Verfügung gestellt bekommen. Dies bekräftigte Rahmatullah Ziarmal, der als Vertreter des lokalen Journalistenverbandes im Osten des Landes zugegen war.

Stilles Gebet für getötete Journalistin Bild: Parwiz/REUTERS

Malalas Kollege beim lokalen "Enikas TV", für den auch Malala seit drei Jahren arbeitete, Dschawed Razmand, wartete zur Tatzeit im Studio auf seine Kollegin. Auch er sprach von "einem Angriff auf die Meinungsfreiheit". Er berichtete auch, dass er noch viele lebhafte Erinnerungen an sie habe. Malala habe sich in den vergangenen Jahren immer wieder für die Rechte von Frauen und Kindern stark gemacht.

Gestiegene Zahl von Angriffen

Während im Jahre 2018 noch 15 Journalisten bei mehreren Bombenanschlägen in Afghanistan ums Leben kamen, war diese Zahl laut der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RoG) 2019 auf fünf gesunken. Jetzt, Ende 2020, hat sich die gefährliche Lage für den Berufsstand und die freie Berichterstattung in Afghanistan wieder verschärft: Alleine in den letzten vier Wochen kamen mindestens zwei weitere Journalisten neben Malala Maiwald durch gezielte Anschläge ums Leben. Der RFE/RL-Reporter Elias Dayee und der Moderator von Tolo TV, Yama Siawasch, wurden durch Sprengsätze an ihren Autos getötet.

Yama Siawasch, Moderator von Tolo TV, wurde im November 2020 durch Sprengsätze getötetBild: Privat

Am vergangenen Freitag (11.12.20) wurde auch der Tod von Fardin Amini bekannt, einem Journalisten bei Ariana TV. Offiziell geht man von Selbstmord aus, doch viele Kollegen stellen diese Angabe des afghanischen Innenministeriums in den sozialen Medien in Frage. Amini war offensichtlich die Kehle durchgeschnitten worden, so dass er kurz darauf in einem Kabuler Krankenhaus verstarb. Damit beträgt die Anzahl der getöteten Journalisten in Afghanistan dieses Jahr mindestens zehn.

Sollte auch Amini nicht Suizid begangen haben, sondern getötet worden sein, stiege diese Zahl auf zwölf. Der mutmaßliche Mörder von Elias Dayee wurde ebenfalls festgenommen und soll gestanden haben. Laut Innenministerium sei er Taliban-Anhänger, diese haben jedoch jegliche Beteiligung abgestritten.

Aber unabhängig davon, jeweils welche extremistische Gruppe hinter den Anschlägen steht und welche Fälle als durch extremen Druck ausgelöste Suizide bewertet werden können, ist eins klar: Je stärker extremistische Gruppen in Afghanistan an die Macht drängen, desto mehr werden die Symbole und Sprachrohre der von ihnen verhassten Demokratie zu Grabe getragen.

Mitarbeit: Omid Deedar