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Politik

Der Kampf der Aleviten um Anerkennung

Tunca Ögreten
25. Januar 2020

Seit Jahrzehnten kämpfen Aleviten in der Türkei um die offizielle Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Bislang ignoriert der Staat diesbezügliche Gerichtsurteile und verweigert den Aleviten finanzielle Förderung.

Bild: AP

In der Türkei leben rund 14 Millionen Menschen alevitischen Glaubens. Seit Jahrzehnten kämpfen sie gegen Diskriminierung, fordern eine neue Darstellung des Alevitentums in Schulbüchern und eine offizielle Anerkennung von Seiten des Staats als Glaubensgemeinschaft. Bislang hat der türkische Staat ihre Gebetshäuser offiziell nicht als solche anerkannt; die Aleviten gelten nicht als Glaubens-, sondern als Kulturgemeinschaft.

Immer wieder bringen Parlamentarier die Anerkennung der Aleviten als Religionsgemeinschaft auf die Tagesordnung. In Izmir hat nun die Stadtverwaltung auf Initiative der größten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkpartei (CHP), einstimmig beschlossen, die Baupläne der Gebetshäuser als Pläne für Glaubenshäuser zu behandeln, nicht, wie bislang üblich, als Pläne für Kulturzentren. Das gleiche versuchte auch in Istanbul Bürgermeister Ekrem Imamoglu (CHP). Allerdings scheiterte sein Vorhaben im Stadtrat an den Stimmen der Erdogan-Partei AKP und deren Bündnispartner, der ultra-nationalistischen MHP.

Der Fraktionsvorsitzende der AKP im Stadtrat von Istanbul, Mehmet Tevfik Göksu, erklärte, ob die alevitischen Versammlungs- und Kulturhäuser, die so genannten Cem-Häuser, als Gebetshäuser anerkannt werden sollten oder nicht, sei eine Frage, die Religionswissenschaftler beantworten sollten.

Ein Cem-Haus in IstanbulBild: DW/E. Karaman

Hüseyin Güzelgül, Vorsitzender der Alevitisch-Bektaschitischen Föderation und alevitischer Geistlicher, ein sogenannter "Dede", betont, der türkische Staat ignoriere die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, des Obersten Verwaltungsgerichts sowie des Kassationsgerichtshofs und beharre darauf, die Aleviten weiterhin nicht als Religionsgemeinschaft anzuerkennen. "Doch ganz gleich wie fest sie die Augen davor verschließen: unsere Cem-Häuser sind Häuser des Glaubens, unsere Versammlungen (Cem) sind unsere Art des Gebets. Nicht das islamische rituelle Gebet ist unsere Art zu beten, noch sind Moscheen unsere Gebetshäuser. Niemand kann darüber bestimmen wie und wo wir beten", sagt Güzelgül.

Dass der Staat die Cem-Häuser nicht als Gebetshäuser anerkennt, hat ganz konkrete und praktische und auch finanzielle Auswirkungen. Anders als die anderen anerkannten Religionsgemeinschaften bleiben die alevitischen Gemeinden aufgrund ihres Status als Kulturgemeinschaften von staatlicher finanzieller Förderung, etwa für die Renovierung ihrer Häuser, ausgeschlossen.

Ali Kenanoglu, Abgeordneter der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), betont, dass den alevitischen Gemeinden jegliche staatliche finanzielle Förderung fehlt, etwa, um im Todesfall eines Gemeinschaftsmitglieds Utensilien für die Leichenwaschung zu kaufen. "Die Geistlichen in den alevitischen Gemeinden bekommen, anders als die muslimischen Imame, kein Geld vom Präsidium für Religionsangelegenheiten. Daher sind die alevitischen Gemeinden immer auf die Spenden ihrer Mitglieder angewiesen", erklärt Kenanoglu.

Andere Glaubensrichtungen erhalten Förderung

Während das Präsidium für Religionsangelegenheiten andere Glaubensrichtungen finanziell fördert, tragen in den alevitischen Gemeinden die Mitglieder jegliche Kosten, sogar für Strom und Wasser.

Im Gespräch mit der DW bestätigt ein Mitarbeiter des Präsidiums für Religionsangelegenheiten, der namentlich nicht genannt werden möchte, dass die Stromrechnungen der Moscheen von dem Präsidium getragen werden. Der Wasserverbrauch würde den Moscheen gar nicht erst nicht in Rechnung gestellt, erklärt er. Die Kosten für Heizung und Klimaanlage würden durch Spenden gedeckt.

"Wer uns unserer Rechte beraubt, dem soll nicht vergeben werden", sagt Hüseyin GüzelgülBild: Senada Sokollu

Der Vorsitzende der Alevitischen Föderation, Güzelgül, ist empört darüber, dass der Staat die Kosten der alevitischen Glaubenshäuser nicht übernimmt. "Wenn wir Steuern bezahlen oder Militärdienst leisten, werden wir genauso behandelt wie die sunnitischen Staatsbürger. Aber wenn es um die Kosten der Glaubenshäuser geht, nicht - da werden wir diskriminiert."

Güzelgül betont, dass es im islamischen Glauben den Grundsatz des "Rechtes der Gläubigen Gottes" gibt. Dort heiße es: "Wenn du zu Gott kommst, komm wie auch immer du bist, aber komme nicht, wenn du einen anderen Menschen seines Rechts beraubt hast. Denn ich bin ein gerechter Richter und werde dir nicht vergeben." Güzelgül fährt fort: "Als alevitischer 'Dede' sage ich: Wer uns unserer Rechte beraubt, dem soll nicht vergeben werden."

Urteile werden ignoriert

Bislang haben die Gerichte in den meisten der von Vereinen und Privatpersonen erhobenen Klagen im Sinne der alevitischen Gemeinde entschieden. 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass alevitische Gebetshäuser als Glaubenshäuser anerkannt werden sollen. Zudem hatte das türkische Oberste Verwaltungsgericht ein ähnliches Urteil des EGMR aus dem Jahr 2015 übernommen, womit das Urteil auch in der Türkei Rechtskraft hat. Zuletzt hatte das Oberverwaltungsgericht 2018 ein weiteres Urteil zugunsten der Anerkennung der Cem-Häuser als Gebetshäuser gefällt.

Ali Kenanoglu sagt, dass die Regierung Moscheen in mehrheitlich von Aleviten bewohnten Dörfern bautBild: Dorian Jones

Doch bislang schlagen sich diese Urteile nicht in der Praxis nieder. Für die Aleviten ist die Diskriminierung viel grundsätzlicher. Sie beklagen die fehlende Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Viele sträuben sich gegen den obligatorischen islamischen Religionsunterricht und weitere Zwänge in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Keine Anerkennung als Glaubensgemeinschaft

Ein alevitischer Bürger, der seinen Namen nicht nennen möchte, erzählt von den Erfahrungen, die sein Sohn in der Grundschule im Religions- und Ethikunterricht macht: "Das Alevitentum wird den Schülern nicht als eine eigenständige Religion vermittelt, sondern als eine Bruderschaft oder eine Art mystische Strömung. Unser Fasten und unsere Andachten werden nicht als Gottesdienste, sondern als Tradition betrachtet."

Der HDP-Abgeordnete Ali Kenanoglu ist davon überzeugt, diese Probleme können nur auf staatlicher Ebene gelöst werden. Vor allem müssten die Entscheidungen der Gerichte umgesetzt werden. Auf diese Weise würde sich auch das Problem der Anerkennung der Gebetshäuser lösen, sagt Kenanoglu. Bislang, denkt er, fehle jedoch jeglicher Wille der Politik. Das zeige sich auch daran, dass die Regierung immer noch mit Nachdruck Moscheen in mehrheitlich von Aleviten bewohnten Dörfern baue.

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