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Türkei: Auf dem Weg zur Todesstrafe?

Daniel Heinrich 9. August 2016

Der Putschversuch am 15. Juli bedeutete eine Zäsur für die Türkei. Mit aller Härte schlägt die Regierung gegen die Putschisten zurück. Doch die Wiedereinführung der Todesstrafe halten Experten für unwahrscheinlich.

Recep Tayyip Erdogan in Istanbul
Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Er wird nicht müde. Seit Wochen schon spielt er damit, hebt Präsident Recep Tayyip Erdogan immer wieder das Thema "Todesstrafe" auf die Agenda - egal, ob gegenüber türkischen oder internationalen Medien. Der Tenor bleibt immer derselbe: Wenn es das Volk wolle, wenn das Parlament das Gesetz ratifiziere, dann würde er als Präsident der Türkei das Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe unterzeichnen.

Kristian Brakel leitet die Heinrich Böll Stiftung in Istanbul. Im Gespräch mit der DW sagte er: "Erdogan ist ein Meister des Populismus. Er weiß genau wie man Stimmungen aus der Bevölkerung aufgreift." Es habe, so der Türkei-Experte, tatsächlich gleich im Anschluss an den gescheiterten Putsch zwar immer wieder Stimmen aus dem Volk gegeben, die die Einführung der Todesstrafe gefordert hätten: "Das waren dann aber eher marodierende Mobs, die das gefordert haben."

Wechselwirkung zwischen Präsident und Volk

Kristian Brakel, Türkei-Experte bei der Heinrich Böll Stiftung in IstanbulBild: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl

"Konda" zählt zu den renommiertesten Umfrageinstituten der Türkei. Laut der neuesten Studie des Istanbul-basierten Instituts stellen sich gerade Menschen aus konservativ-religiös geprägten Milieus öffentlich hinter "ihren" Präsidenten. Wenn es um die Forderung nach einer harten Bestrafung für Putschisten geht, besteht für Kristian Brakel eine Wechselwirkung zwischen Erdogan und seinen "Anhängern": "Wenn der Präsident davon spricht, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe der Wille des Volkes ist, dann hat das eher damit zu tun, welche Themen er und andere Politiker in das Volk hineintragen wollen." Bezüglich Stimmungen im Volk verfüge die Politik über ein großes Steuerungspotential. "Wenn die Politik kein Interesse an diesem Diskurs hätte", so Brakel, "dann würde das ganze Thema auch ganz schnell wieder verblassen."

Die politische Rhetorik in der Türkei und die Forderungen nach der Todesstrafe werden bei den Vereinten Nationen in Genf mit Sorge beobachtet. Ravina Shamdasani ist die Sprecherin des Hohen Kommissars für Menschenrechte: "Die Türkei hat im Jahr 2004 die Todesstrafe abgeschafft", so Shamdasani im Gespräch mit der DW. Hinzu komme, "dass die Todesstrafe seit 32 Jahren nicht mehr angewendet wurde. Eine Wiedereinführung dieser Höchststrafe wäre sowohl bedauerlich, wie auch ein großer Rückschritt für die Entwicklung des gesamten Landes".

Gerade bei konservativen Türken werden Erdogans Ansichten häufig unwidersprochen übernommenBild: DW/D. Cupolo

Rückwirkungsverbot - auch in der Türkei

Shamdasani verweist jedoch darauf, dass es bisher keine konkreten Pläne gäbe, die Todesstrafe tatsächlich wieder einzuführen. Und in der Tat stünden einer solchen Einführung große juristische Hürden im Weg. Genau wie im deutschen Recht gilt in der Türkei der Grundsatz des Rückwirkungsverbots. Das bedeutet, dass keine andere Strafe ausgesprochen werden darf, als zum Zeitpunkt der strafbaren Handlung vorgesehen war. Da die Todesstrafe zum Zeitpunkt des Putschversuches nicht galt, würde eine Anwendung der Strafe auf die Putschisten laut Brakel "das komplette Rechtssystem der Türkei auf den Kopf stellen."

Selbst von einer "einfachen" Neueinführung der Todesstrafe ist die türkische Regierung nach Ansicht des Experten meilenweit entfernt: "Zunächst einmal bräuchte die Regierung eine verfassungsändernde Mehrheit." Im Parlament hatte bisher lediglich die ultranationalistische MHP ihre Unterstützung signalisiert. Laut Brakel reichen die Stimmen von AKP und MHP schlicht nicht aus. "Das gilt selbst für eine Dreifünftel-Mehrheit mit der dann theoretisch eine Volksabstimmung über die Todesstrafe angesetzt werden könnte."

Scharfe Kritik auf internationaler Bühne

Ravina Shamdasani von den Vereinten Nationen sieht Schwierigkeiten beim Internationalen RechtBild: UNHCR Presse Büro

Bei der Vereinten Nationen in Genf geht der Blick vor allem auf die internationalen Verpflichtungen, die die Türkei eingegangen ist. Shamdasani nimmt gegenüber der DW kein Blatt vor den Mund: "Die Türkei hat 2006 das zweite Fakultativprotokoll über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert. Darin wird die Abschaffung der Todesstrafe festgeschrieben." Falls die Türkei tatsächlich die Wiedereinführung der Todesstrafe plane, so Shamdasani, "würde sie ganz klar gegen internationales Recht verstoßen."

Auch von Seiten der Europäischen Union kommt scharfe Kritik an den Überlegungen in Ankara. Brakel glaubt, diese Warnungen aus Brüssel könnten den Ausschlag geben: "Der Preis, den die Türkei dafür zu zahlen hätte, wäre zu hoch. Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union würden abgebrochen werden. Das würde die Türkei wirtschaftlich zu sehr schädigen." "Daher glaube ich nicht, dass solche Pläne in die Realität umgesetzt werden", so der Experte der Heinrich Böll Stiftung.

Erdogan scheint sich indessen nicht zu kümmern um juristische Gegebenheiten oder die Verpflichtungen auf internationaler Bühne. Für sein vorerst letztes öffentliches Bekenntnis suchte er in Istanbul die ganz große Bühne. Vor Millionen von Menschen und einem Meer aus türkischen Fahnen verkündete er auf dem Yenikapi-Platz, seinen Verpflichtungen als Präsident nachzukommen, falls das Volk ihn dazu beauftrage. Seine Anhänger feierten ihn frenetisch.

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