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Politik

Türkei bleibt im Ausnahmezustand

17. April 2017

Ein Anruf aus den USA dürfte den türkischen Staatschef Erdogan in seinem Treiben bestätigt haben. US-Präsident Trump gratuliert zum Erfolg beim Referendum. Was machen Opposition und OSZE nun in dieser Situation?

Türkei Recep Tayyip Erdogan in Ankara
Bild: picture alliance/abaca/B. Ege Gurun

Ausnahmezustand in der Türkei verlängert

01:02

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Nach dem umstrittenen Sieg von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beim Verfassungsreferendum wird der landesweite Ausnahmezustand in der Türkei erneut verlängert. Unter Erdogans Vorsitz habe das Kabinett am Montagabend auf Empfehlung des Nationalen Sicherheitsrates eine Verlängerung um drei Monate beschlossen, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus in Ankara. Vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments gilt der Ausnahmezustand damit mindestens bis zum 19. Juli. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf den Sicherheitsrat, die Maßnahme diene "dem Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechte und Freiheiten unserer Bürger".

Welle von Verhaftungen 

Erdogan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli vergangenen Jahres ausgerufen. Er wurde seitdem zwei Mal verlängert und wäre in der Nacht zu Mittwoch auslaufen. Der Ausnahmzustand kann theoretisch beliebig oft verlängert werden, allerdings jeweils nur für maximal vier Monate. Unter den Sonderregeln war in der Türkei eine einzigartige Welle von Verhaftungen und Entlassungen etwa von Richtern oder Hochschullehrern angelaufen.

Ein Anruf von Trump

Unterdessen hat US-Präsident Donald Trump türkischen Staatsmedien zufolge seinem türkischen Kollegen Erdogan zu dessen Sieg beim Verfassungsreferendum gratuliert. Trump habe Erdogan am Montagabend angerufen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Regierungskreise. EU-Vertreter hatten sich zuvor zurückhaltend zu dem Abstimmungsergebnis geäußert, auch der Sprecher des US-Außenministeriums, Mark Toner, hatte auf eine Gratulation verzichtet. Er appellierte vielmehr an die Türkei, die Rechte der Kritiker der Verfassungsreform zu achten. "Demokratien gewinnen ihre Stärke daraus, dass sie unterschiedliche Meinungen respektieren", sagte Toner.

Die Opposition in der Türkei hatte Einschränkungen ihres Wahlkampfs vor dem Referendum wegen des Ausnahmezustands beklagt, der unter anderem die Versammlungsfreiheit einschränkt. Auch die internationalen Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten kritisiert, es seien Grundfreiheiten eingeschränkt gewesen, "die für einen demokratischen Prozess wesentlich sind".

Und Erdogan? Der türkische Präsident will trotz des knappen Ausgangs des Verfassungsreferendums nicht auf seine Kritiker zugehen. Alle Debatten seien jetzt beendet, sagte Erdogan in Ankara. Er kündigte vielmehr an, nun rasch mit dem Umbau des Staates zu beginnen, was ihm deutlich mehr Macht bringen wird. Kritik von Beobachtern an der Abstimmung wies der Präsident zurück. Sollte die EU nun die Beitrittsgespräche mit seinem Land aussetzen, sei das nicht weiter schlimm, "solange sie uns darüber informieren". Wenn nötig, werde die Türkei ein erneutes Referendum über eine mögliche EU-Mitgliedschaft abhalten. Dem Westen warf er "Kreuzfahrer-Mentalität" vor.

Bei der Abstimmung am Sonntag hatten nach offiziellen Angaben 51,4 Prozent der Wähler für eine Verfassungsänderung gestimmt. Damit könnte Erdogan künftig per Dekret regieren, das Parlament auflösen und Minister entlassen. Erdogans islamisch-konservative Partei AKP hatte argumentiert, die Änderungen seien nötig, um in unruhigen Zeiten eine starke Führung zu garantieren. Kritiker sehen hingegen Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte in Gefahr.

Bis 2019 umsetzen

Erdogan erklärte, das neue System solle bis zur Wahl Ende 2019 vollständig umgesetzt sein. Zunächst werde die Justiz reformiert. Die Kritik der OSZE wies Erdogan zurück. Die Türkei habe Berichte der OSZE weder gesehen, gehört oder anerkannt. Auch das Außenministerium erklärte, die Kritik sei nicht akzeptabel.

Kritik kam auch vom Europarat. Dieser erklärte, das Referendum in der Türkei habe nicht internationalen Standards entsprochen. Journalisten seien verhaftet und Medien geschlossen worden. Der rechtliche Rahmen sei nicht ausreichend gewesen. Es gebe zwar keine Hinweise auf Betrug. Die kurzfristige Entscheidung, auch ungestempelte Wahlzettel zu akzeptieren, widerspreche aber dem Gesetz. Die Wahlkommission erklärte dagegen, solche Zettel seien auch schon früher gezählt worden.

Ging alles mit rechten Dingen zu? Die Umschläge nach der AbstimmungBild: picture-alliance/dpa/E. Tazegul

Die türkische Opposition kündigte eine Anfechtung des Ergebnisses an. An vielen Orten hätten Wähler nicht geheim abstimmen können, kritisierte die sozialdemokratische CHP. Zudem seien Stimmen im Verborgenen ausgezählt worden. Notfalls wolle man vor das Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek erklärte indes, der "Krach" zwischen Ankara und der EU werde nach dem Wahlkampf wohl bald verstummen. Man werde auf Gebieten zusammenarbeiten, auf denen es gemeinsame Interessen gebe. Beide sind aufeinander angewiesen. So kommen seit dem Flüchtlings-Abkommen kaum noch Migranten über die Ägäis nach Griechenland. Die EU wiederum ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Türkei. Die Beitrittsgespräche der Türkei zur EU wurden 1999 gestartet, stecken aber in der Sackgasse. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, erklärte nun mit Blick auf das Referendum: "Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei ist vom Tisch."

ml/qu (dpa, rtr, afp)

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