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Politik

Türkei - der "beleidigte" Präsident

8. Dezember 2018

Wer Präsident Erdogan beleidigt, landet womöglich hinter Gittern. Ein Gesetz macht dies möglich. Tausende wurden bereits wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung angeklagt - ein Ende der Festnahmen ist nicht in Sicht.

Türkei, Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara
Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Ozbilici

Der Fall Jan Böhmermann gegen Recep Tayyip Erdogan ist wohl der in Deutschland bekannteste Fall von Präsidentenbeleidigung. Doch dies ist längst kein Einzelfall. Erdogan ist seit 2014 Staatspräsident. Seither haben in der Türkei die Ermittlungen und Gerichtsverfahren wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung zugenommen. 

Seit dem versuchten Putsch am 15. Juli 2016 ist die Anzahl der Prozesse wegen Präsidentenbeleidigung rapide gestiegen. Allein im Jahr 2017 ermittelte die Staatsanwaltschaft in 20.539 Fällen wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung - in über 6000 Fällen kam es zum Prozess. Einer der vielen Betroffenen ist Cenk Yigiter von der Universität Ankara. Yigiter ist einer der Akademiker, die durch ein Notstandsdekret von ihrer Arbeit suspendiert wurden. Nach einem Post in den sozialen Netzwerken wurde er zu einem Jahr und fünf Monaten Haft verurteilt. Man wirft ihm vor, das Wort "Pussy" verwendet und damit Präsident Erdogan gemeint zu haben. Wenn die Entscheidung des Gerichts bestätigt wird, muss Yigiter ins Gefängnis."Es gibt nichts, das darauf hinweist, dass ich mich in meinem Post auf den Staatspräsidenten bezogen habe", verteidigt sich Yigiter. "Wie kommt der Richter darauf? Er meint, eine Absicht hinter dem Post herauslesen zu können", so Yigiter weiter.

Erol Önderoglu von Reporter ohne Grenzen Bild: Getty Images/AFP/O. Kose

Präsidentenbeleidigung ist im Strafgesetz verankert. Das Gesetz existiert seit 1993 und geht damit auf die Zeit vor Erdogan zurück. Doch noch nie sei der Paragraph so häufig eingesetzt worden wie in den letzten Jahren, bestätigt Professor Yaman Akdeniz von der Bilgi Universität in Istanbul.

Auch verurteilte Journalisten 

Im Zuge dieser Prozesse werden auch immer wieder Journalisten vor Gericht gestellt. Einer von ihnen ist Onur Erdem. In der linksorientierten Zeitung "Birgün" erschien 2015 ein Artikel von ihm mit dem Titel: "Auch Google weiß es: Die stehlende, mörderische AKP und Erdogan". In dem Artikel von Erdem geht es darum, dass Google bei der Suche nach den Wörtern Dieb" und "Mörder" automatisch die Zusätze "Erdogan" und "AKP" anbot. Erdem wurde daraufhin die Absicht unterstellt, den Präsidenten beleidigen zu wollen. Seine eigentliche Haftstrafe wurde später in eine Strafe von in 10.500 Türkische Lira umgewandelt - das sind umgerechnet 1700 Euro. "Sowohl die Europäische Union als auch die Venedig-Kommission (Anm. d. Red.: eine Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät) plädieren dafür, den entsprechenden Paragraphen abzuschaffen. Die Türkei aber weigert sich. Daher ist dieser Paragraph eines der Symbole der autoritären Herrschaft in der Türkei", sagt der Türkeivertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu.

"God Save the Queer": Eine Beleidigung?

2015 stürmte die Polizei die Wohnung von Ahmet, der seinen echten Namen nicht öffentlich machen will. Der Grund: Die Polizei war der Meinung, in der Wohnung werde Propaganda für eine Terrororganisation verbreitet. Sie beschlagnahmte zwei Poster. Auf dem einen war Erdogan abgebildet mit den Worten: "Die parlamentarischen Gangster". Auf dem zweiten stand neben einem Erdogan Bild die Aufschrift "Good save the Queer" - Gott schütze die Homosexuellen. Ahmet wurde daraufhin wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt und zu zehn Monaten Haft verurteilt.

Schwule und Lesben in Istanbul - hier bei einer verbotenen Parade 2016Bild: picture-alliance/dpa/C. Turkel

Sein Anwalt Davut Erkan hält die Entscheidung für nicht rechtmäßig. "Wenn es um Beleidigung des Staatspräsidenten geht, fällen die Richter Entscheidungen, die nichts mehr mit dem Recht zu tun haben. Sagt irgendjemand etwas, das dem Staatspräsidenten missfallen könnte, wird er oder sie zu einer Haftstrafe verurteilt. Zudem können die Richter gar keine Urteile zu ungunsten von Erdogan fällen, selbst wenn sie wollten. Sie fürchten sich vor einem Karriere-Aus."

Erdogan prozessiert auch gegen die Opposition

Doch auch Politiker bleiben nicht verschont: Einer der Politiker, die Erdogan persönlich am häufigsten verklagt hat, ist der Chef der Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu. Ein weiterer Politiker ist der Co-Vorsitzende der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, der seit 2016 in Haft sitzt. Nach dem Ermessen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebe es kein Ausnahmegesetzt, das selbst den Staatspräsidenten schütze, sagt Jurist Kerem Altiparmak. Das sei den türkischen Gerichten jedoch egal.

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