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Politik

"Die Mauern der Angst beginnen zu fallen"

10. Juni 2018

Sie gilt als "eiserne Lady" der Türkei: Meral Aksener ist die einzige Frau, die bei der Präsidentschaftswahl am 24. Juni antritt. Das politische Klima in der Türkei verändert sich, sagt sie im Gespräch mit der DW.

Meral Aksener
Bild: DW

Deutsche Welle: Sie sind die einzige Frau im türkischen Präsidentschaftswahlkampf. Denken Sie, in Anatolien wird man für eine Frau stimmen?

Meral Aksener: Warum nicht? Die türkischen Frauen sind am Ende ihrer Geduld. Und es gibt eine große Nachfrage bei den Frauen, die man sich gar nicht vorstellen kann. Bei den über 70-Jährigen herrscht die Meinung vor: Eine Frau kann nicht Staatspräsident werden. Aber bei uns gibt es viele junge Menschen. Die Hälfte der Menschen auf unseren Kundgebungen sind Frauen. Das ist so in Cankiri, in Corum, in Kirikkale. Ich rede also nicht von den Provinzen im Westen.

Spüren Sie diese Unterstützung auch in den Medien, oder sind Sie eher benachteiligt?

Natürlich bin ich das. Aber dabei geht es nicht nur um mich persönlich. Es geht vielmehr um die Art des Denkens und Handelns von Herrn Erdogan. Die Medien, die Politik und die gesellschaftlichen Bereiche in der Türkei handeln derzeit in einem von Erdogan vorgegebenen Rahmen. Das ist das eine Problem. Das zweite ist der Ausnahmezustand. Das ist schon die zweite Wahl im Ausnahmezustand; das Verfassungsreferendum im letzten Jahr war die erste. Außerdem wird immer mehr Angst verbreitet.

Auf der anderen Seite beginnen die Mauern der Angst zu fallen. Drängt man eine Katze in die Ecke und verwehrt ihr die Flucht, wird sie irgendwann kratzen. Genauso fühlen sich unsere Bürger. Diese Kontrolle der Medien, diese Schwarzmalerei… Ich beschwere mich nicht. Ich jammere nicht gern. Stattdessen entwerfe ich lieber Alternativen. Aber das Recht des Volkes auf Informationen wird ihm genommen. Und das merken die Menschen.

Es gab Probleme, als Sie für Ihre Partei ein Büro mieten wollten.

Ja, eine Parteizentrale.

Was ist da passiert?

Erst einmal wurde, als wir unsere Partei gründeten, eine bestimmte Stimmung erzeugt. Diese Partei kann nicht gegründet werden, hieß es. Es hieß, Herr Erdogan würde das nicht befürworten. Aus der Sicht von Erdogan ist das eine enorme Machtdemonstration. Man muss aber das Ganze aus der Sicht des Bürgers betrachten. Gelingt es, diese Mauer der Angst zu zerstören, dann ist der Damm gebrochen. Ich gehe jede Wette ein, dass die Wahlergebnisse gut werden.

Sie treten diese Wahlen in einem Wahlbündnis an, an dem die pro-kurdische Partei HDP nicht beteiligt ist. Wollten Sie die HDP nicht in diesem Bündnis haben - oder wollte die HDP nicht?

Wir haben uns mit der HDP zu keinem Gespräch getroffen. Ich habe mich nur mit den Vorsitzenden der anderen Parteien getroffen. Dabei ging es nicht um die HDP. Es ging vielmehr um die Frage, ob Abdullah Gül (Vorgänger Erdogans als Staatspräsident, gilt als Gegner des Präsidialsystems unter Erdogan - d. Red.) unser gemeinsamer Präsidentschaftskandidat werden soll. Ich war dagegen. Ich gehe aber davon aus, dass die HDP, wenn sie die Verhaltensweisen der Parteispitzen kennt, lieber alleine handelt. Die HDP kämpft an zwei Fronten. Um die Stimmen ihrer Wähler zu bewahren, muss sie diesen Weg alleine gehen.

Meral Aksener (zweite von links) auf dem Stimmzettel für die türkischen PräsidentschaftswahlenBild: DW/J. Danisman

Wie werden Sie dann die Stimmen der kurdischen Wähler bekommen?

Die Türkei hat sich verändert. Wir alle sehen und erleben, dass sich besonders bei der jüngeren Generation die Werte des 21. Jahrhunderts durchgesetzt und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion, Konfession, Glaube und Politik verändert haben. Die Kurden leben nicht nur im Südosten. Sie leben in Istanbul, Izmir, Adana. Es ist eine Schande zu behaupten, dass einige die Stimmen dieser Menschen, die sich die Werte des 21. Jahrhunderts zu eigen gemacht haben, bereits in ihren Taschen haben. Es ist eine größere Schande, dass diejenigen, die Demokratie fordern, sagen, sie wählen bestimmt den oder jenen und den oder jenen nicht. Ich beziehe mich hierbei besonders auf den Südosten. Es gibt die HDP, dann gibt es die PKK, eine bewaffnete separatistische Organisation. Und dann gibt es die AKP. Die "Iyi Parti" ("Gute Partei") erscheint dagegen wie ein dritter Weg.

Alle reden von der Wirtschaftskrise und der Rezession. Welches Rezept haben Sie, um aus der Krise herauszukommen?

Erst einmal Demokratie. Der Prüfstein der Wirtschaft ist das Vertrauen, also das Vertrauen der Innen- und Außenmärkte in die Machthaber der Türkei. Dafür darf es keinen Ausnahmezustand geben. Dafür darf es auch kein Wirtschaftssystem geben, das so funktioniert, wie ein einzelner es will. Man muss den Vorsitzenden der Zentralbank und der anderen Wirtschaftsinstitutionen erlauben, ihre Arbeit zu machen. Man muss nicht in jeder Frage ein Experte sein, und man muss nicht zu viel reden. Mit der Vormachtstellung des Rechts und einer funktionierenden Demokratie gerät auch die Wirtschaft in die richtige Bahn.

USA oder Russland: Wer ist ein verlässlicherer Partner in ihren Augen?

Bei internationalen Beziehungen sind Gefühle und persönliche Beziehungen zwischen den Akteuren letztendlich nicht von Nutzen. Was ausschlaggebend ist, ist nicht diese oder jene Präferenz, sondern die Fantastereien der türkischen Regierung über die Entwicklung in Syrien. Die sogenannte "strategische Tiefe" der AKP ist zu einer Fallgrube geworden. An unserer Grenze im Süden stehen wir nun neben den USA und Russland. Was hat die Türkei gewonnen? Nichts. Daher brauchen wir in der Außenpolitik Transparenz, Ernsthaftigkeit und nationalen Nutzen. Wir müssen mit Russland, Syrien und den USA freundschaftliche Beziehungen eingehen.

Die 61-jährige konservative Politikerin Meral Aksener ist kein neues Gesicht in der türkischen Politik. Sie war die erste, die ihre Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl gegen Erdogan verkündet hat. Ihr folgten vier weitere Kandidaten. Die ehemalige Innenministerin der Türkei hat sich im letzten Jahr von ihrer Partei, der nationalistischen MHP, losgesagt und die nationalkonservative "Iyi Partei" (die "Gute Partei") gegründet.

Das Gespräch führte Nevsin Mengü.