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Politik

Türkei: Erster Coronafall wirft Fragen auf

Emine Algan
11. März 2020

Der türkische Gesundheitsminister hat eine erste Coronainfektion bestätigt. Doch Kritiker zweifeln an der offiziellen Zahl - und daran, dass die Türkei ausreichend vorbereitet ist. Aus Istanbul Emine Algan.

Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Ozbilici

Wie ein Lauffeuer hat sich das Coronavirus in wenigen Wochen in weiten Teilen der Welt verbreitet. Nach offiziellen Angaben der türkischen Regierung hieß es lange Zeit, dass die Türkei vollkommen frei sei von dem Virus und der neuartigen Lungenkrankheit COVID-19, die es auslöst. Bis Dienstagabend: Gesundheitsminister Fahrettin Koca trat vor die Presse, um zu verkünden, dass es nun den ersten bestätigten Fall eines mit dem Coronavirus infizierten Mannes gebe.

Vorausgegangen waren wochenlange Diskussionen in den sozialen Medien. Darüber, ob das neuartige Virus nicht schon lange im Land kursiere, schließlich habe die Türkei eine gemeinsame Grenze mit dem Iran - eines der weltweit am stärksten vom Coronavirus betroffenen Länder.

Bevölkerung verunsichert

Der Gesundheitsminister war sichtlich bemüht, keine weitere Sorge in der Bevölkerung zu schüren. Man sei gut vorbereitet, es handele es sich um einen Einzelfall und es bestehe keine Gefahr für die gesamte Gesellschaft, so Koca.

Dennoch sorgte er mit einer Nicht-Information prompt für Unsicherheit in der Bevölkerung: Der Minister sagte zwar, der Erkrankte sei kürzlich von einer Europareise zurückgekehrt, aber er machte keine Angaben darüber, wohin er geflogen war und wo genau in der Türkei er sich nun aufhalte - angeblich, um die Privatsphäre des Patienten zu schützen. Wilde Spekulation in den sozialen Netzwerken waren die Folge.

Gesundheitsminister Koca: "Zusammen mit allen Bürgern Maßnahmen ergreifen"Bild: DHA

Zu wenig Testkits, zu wenig Schutzmasken

In der türkischen Öffentlichkeit geht vor allem die Sorge um, dass die Türkei auf eine Epidemie nicht ausreichend vorbereitet seien könnte. So sollen die Kapazitäten für Coronatests sehr begrenzt sein. Nur an drei Standorten, heißt es - in Ankara, Erzurum und Istanbul - würden die Testkits überhaupt hergestellt.

Auch schätzen einige Experten die Vorbereitungen als mangelhaft ein. "Schutzkleidung wie Schürzen, Handschuhe, Masken und Schutzbrillen sind besonders für Angestellte in Gesundheitsberufen essentiell. Zwar sagen die Behörden, dass man sich gut vorbereitet habe. Doch nach unseren Beobachtungen gibt es - insbesondere in Gesundheitszentren oder in Universitätskliniken - noch nicht genug Schutzmasken", so bewertet Özlem Azap von der Türkischen Ärztevereinigung (TTB) die Lage. Die Medizinprofessorin ist Mitglied einer Beobachtungsstelle des Coronavirus.

Sinan Adıyaman, Vorsitzender der Äztekammer TTB, ist deutlich optimistischer. Eine Epidemie könne dadurch ausgebremst werden, dass es in zwei oder drei Monaten wärmer werde, sagt er. "Wir glauben nicht, dass es ein Problem sein wird, sofern das neuartige Virus isoliert und gut behandelt wird."

Die Tücken der Statistik

Nach offiziellen Angaben sind in der Türkei bisher nur 2000 Coronatests durchgeführt worden. Zum Vergleich: In Südkorea wurden 140.000 Menschen getestet. Özlem Azap, die auch Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses im Gesundheitsministerium ist, erklärt der DW, dass ein paar tausend Tests zwar nicht viel seien. Allerdings seien Personen aus Risikogebieten dabei und einige, die typische Krankheitssymptome aufwiesen. Dennoch seien 2000 Tests zu wenig, um repräsentative Schlüsse zu ziehen. "Dass bisher nur ein Fall einer Infektion bekannt ist", vermutet Azap, "hat auch damit zu tun, dass sich viele Patienten mit milden Symptomen nicht in den Krankenhäusern gemeldet haben."

Quarantäne in Ankara: Die Türkei hatte Passagiere eines Fluges aus dem Iran in diesem Krankenhaus untergebrachtBild: picture-alliance/AP Photo/B. Ozbilici

Dennoch fragt die Ärztin sich, warum bisher so wenig positive Coronavirus-Testergebnisse vorliegen. "Aus den Laboren heißt es, dass das Testverfahren einwandfrei funktioniere. Aber es ist schon verwunderlich, dass sich die Türkei unter den 80 vom Virus verschonten Ländern befindet - und das, obwohl die Türkei an den Iran grenzt. Bevor die Grenzen geschlossen wurden, sind viele Menschen aus unserem Nachbarland in die Türkei gekommen. Hatten die überhaupt keine Anzeichen dieser Lungenkrankheit?"

Bereits Ende Februar hatte die türkische Regierung 132 Passagiere und Mitglieder der Besatzung, die mit einem Flug aus dem Iran gekommen waren, in einem Krankenhaus in Ankara für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Die türkischen Bürger waren aus dem Iran geholt worden, nachdem die Türkei die Grenzen zu dem Nachbarland geschlossen hatte. 

Der Staat überwacht und beschwichtigt

In der türkischen Öffentlichkeit wird seit Wochen darüber spekuliert, ob der Staat Coronafälle verheimlicht. Manche Kritiker vermuten, dass das Thema totgeschwiegen werden soll, um nicht von der türkischen Militäroffensive in der nordsyrischen Region Idlib und von den Flüchtlingen an der griechisch-türkischen Grenze abzulenken - beides sind Ereignisse, mit denen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan innenpolitisch punkten konnte. 

Vergangene Woche reagierte die türkische Polizeibehörde auf die zahlreichen Vorwürfe in der Öffentlichkeit - sie kündigte an, dass sie kritische Aussagen von Usern in den Sozialen Netzwerken genau überprüfen werde. Zudem versicherte die Behörde, dass es unmöglich sei, eine Infektion mit dem Coronavirus zu verheimlichen. Gesundheitsminister Koca reagierte beschwichtigend auf die Kritik und räumte ein, dass in der Türkei sicher noch mehr Fälle auftreten werden: "Vielleicht wird es in drei Stunden passieren oder in einem Tag. Das ist die Realität." Gelassenheit sei jedoch angebracht, denn man könne die Ausbreitung verhindern - zusammen mit allen Bürgern.

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