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Experte sieht türkische Wende in der Syrienpolitik

Christoph Hasselbach21. Juli 2015

Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen der türkischen Regierung und dem "Islamischen Staat"? Und ändert sich das, wenn tatsächlich der IS hinter dem jüngsten Anschlag steckt? Antworten des Türkei-Experten Günter Seufert.

Trauernde Menschen (Foto: picture-alliance/AA/E. Ozdemir)
Bild: picture-alliance/AA/E. Ozdemir

DW: Herr Seufert, die kurdischen Gruppen sagen, die türkische Regierung trage eine Mitschuld an dem Anschlag in Suruc, weil sie den IS in seinem Kampf gegen die Kurden unterstütze. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Günter Seufert: Man kann bis jetzt keine konkrete Unterstützung des "Islamischen Staates" durch die Türkei nachweisen. Was wir aber wissen, ist, dass die Türkei sogar offiziell dschihadistische Gruppen unterstützt, zum Beispiel die Al-Nusra-Front, die sie zusammen mit Saudi-Arabien ausbildet und bewaffnet. Der "Islamische Staat" und die Al-Nusra-Front haben weitgehend dieselbe ideologische Haltung.

Auch hat sich die Türkei, als der "Islamische Staat" am 17. Juni dieses Jahres von syrischen Kurden aus der Stadt Tall Abyad an der Grenze zur Türkei vertrieben wurde, sehr besorgt gezeigt, dass die Kurden in Syrien ihre Kontrolle über syrisches Territorium ausweiten könnten, und dies als Gefahr für die Türkei bezeichnet.

Die türkische Politik ist seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien stark von der Angst geprägt, dass die Kurden in Syrien eine Selbstverwaltung errichten könnten. Dagegen ist die Gefahr, die vom "Islamischen Staat" ausgeht, von der Türkei immer verharmlost worden, weil es nach wie vor das primäre Ziel der Türkei ist, den syrischen Präsidenten Assad zu stürzen, und alles andere dieser Politik untergeordnet wird.

Wie könnte man eine Langzeitstrategie Ankaras in der Region in Bezug auf Syrien, den Irak und die Kurden beschreiben?

Die Langzeitstrategie der Türkei war ganz klar überall in der Region, kurdische Selbstverwaltung innerhalb und außerhalb der Türkei zu verhindern. Doch diese Strategie ist nicht durchzuhalten. Wir sehen ja, dass die türkische Regierung, die seit 30 Jahren gegen die kurdische PKK im eigenen Land kämpft, mit ihr Verhandlungen führen muss. Diese Politik wird scheitern, weil man dieser Eigendynamik der kurdischen Nationalbewegung letztlich nichts entgegenzusetzen hat.

Wenn sich jetzt herausstellt, dass der IS hinter dem Attentat auf türkischem Boden steht, könnte sich dann diese Strategie ändern? Ist es ein Beispiel für den sprichwörtlichen Geist, der aus der Flasche gelassen wird?

Ja, sicher. Man muss aber auch sehen, dass es nicht der erste Anschlag des "Islamischen Staates" auf türkischem Boden war. Es hat in den vergangenen Monaten schon drei gegeben, das ist allerdings kaum bekannt in der europäischen Öffentlichkeit. Wir sehen jetzt, dass die Türkei aufgrund dieser ersten Anschläge anfängt umzusteuern, allerdings auch aufgrund des amerikanischen Drucks.

Günter Seufert: Die Türkei muss ihr Kurdenproblem lösenBild: picture-alliance/dpa/SWP

Wir wissen zum Beispiel, dass es in den letzten Wochen im Zusammenhang mit dem IS zum ersten Mal Festnahmen gegeben hat, Festnahmen nicht aufgrund von bereits begangenen Anschlägen, sondern Festnahmen von IS-Unterstützern. Das ist ganz neu, dass die Polizei jetzt wirklich gegen den IS vorgeht und dass auch das Militär jetzt wöchentlich meldet, wieviele Leute an der Grenze abgefangen worden sind.

Die Amerikaner und die europäischen Staaten fordern seit anderthalb Jahren, dass die Türkei gegen diese grenzüberschreitenden Kämpfer aus Europa und anderen Regionen vorgeht. Erst jetzt kommt die Türkei diesen Forderungen nach. Und es gibt Leute, die glauben, dass dieser jüngste Anschlag eine Rache des IS gegen diese neue Politik der Türkei war.

Steht auch eine eigene Einsicht der Türkei dahinter, dass ein Islamismus nach Art des IS die Türkei selbst destabilisieren könnte, weil es ja durchaus Sympathien in der türkischen Bevölkerung für den IS gibt?

Die Türkei ist natürlich kein homogenes Land. Die säkulare Opposition von der Republikanischen Volkspartei fordert ebenfalls seit zwei Jahren eine Wende in der Syrienpolitik. Wir haben eine legale prokurdische Partei im Parlament, die die Regierung und vor allem die Geheimdienste beschuldigt, bei den Aktivitäten der Unterstützer des IS in der Türkei wegzuschauen.

Es kämpfen heute eine ganze Reihe von jungen islamistischen Türken, aber auch von islamistischen Kurden aus der Türkei in den Reihen des IS. Gleichzeitig kämpft eine große Zahl von linksgerichteten säkularen Kurden aus der Türkei in den Reihen der syrischen Kurden.

Das heißt, die Türkei hat es in den letzten zwei Jahren fast als normal hingenommen, dass ihre jungen Leute an den verschiedenen Fronten des syrischen Bürgerkrieges mitkämpfen, und sie hat dagegen wenig unternommen. Sie sieht jetzt, dass ihre große Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg auf die Türkei selbst zurückfällt. Und diese Politik muss und wird sich ändern. Die Schwierigkeit für die Türkei ist, dass sie bisher ihr eigenes Kurdenproblem nicht in den Griff bekommen hat. Und die Türkei kann aus dieser Klammer nur entkommen, wenn sie ihre eigene Kurdenpolitik ändert.

Dr. Günter Seufert ist Türkei-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.

Das Interview führte Christoph Hasselbach.

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