Türkei: Fußball-Schiedsrichter verprügelt
12. Dezember 2023Es lief die siebte Minute der Nachspielzeit. Ankaragücü führte im Spiel der obersten Fußballliga der Türkei, der Süper Lig, gegen Rizespor mit 1:0, als doch noch der Ausgleich fiel. Das Spiel endete 1:1 und nach dem Abpfiff durch Schiedsrichter Halil Umut Meler brachen alle Dämme: Der Referee wurde von mehreren Personen attackiert, darunter auch von Ankaragücüs Vereinspräsident Faruk Koca. Koca stürmte auf den Platz, schlug Meler mit Anlauf mit der Faust ins Gesicht und streckte ihn mit einem einzigen Schlag nieder. Als Meler auf dem Boden lag und sich schützend die Hände vor das Gesicht hielt, traten weitere Beteiligte auf ihn ein und trafen ihn am Kopf und am Oberkörper.
Der Unparteiische erlitt bei der Attacke einen Jochbeinbruch. Das meldete der Fernsehsender beIN Sports später und zitierte den Chefarzt des Krankenhauses in Ankara, in das Meler gebracht worden war: "Er hat eine Blutung um sein linkes Auge und einen kleinen Riss dort." Es bestehe aber keine Lebensgefahr.
Erdogan: "Sport bedeutet Frieden"
Der türkische Fußballverband TFF reagierte auf den Zwischenfall mit einer Aussetzung des Spielbetriebs in allen Ligen - zunächst auf unbestimmte Zeit. Zwei Tage nach dem Angriff gab der Verband bekannt, dass am 19. Dezember wieder gespielt werde. Zuvor hatte der TFF "härteste" Strafen angekündigt. "In Abstimmung mit unserem Staat wurden alle angebrachten Strafverfahren gegen die Verantwortlichen und Anstifter dieses unmenschlichen Angriffs eingeleitet. Der verantwortliche Klub, der Klubpräsident, seine Manager und alle Schuldigen, die Halil Umut Meler angegriffen haben, werden auf das Härteste bestraft", teilte der Verband mit. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurden Koca und zwei weitere Verdächtige vorübergehend festgenommen. Koca trat am Tag nach seiner Attacke von seinem Amt als Vereinspräsident zurück.
FIFA-Präsident Gianni Infantino verurteilte den gewaltsamen Angriff. "Im Fußball ist absolut kein Platz für Gewalt, weder auf noch neben dem Spielfeld", schrieb Infantino auf Instagram. "Die Ereignisse nach dem Spiel der türkischen Süper Lig zwischen MKE Ankaragücü und Çaykur Rizespor sind völlig inakzeptabel und haben in unserem Sport und in unserer Gesellschaft keinen Platz."
Auch der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan meldete sich nach dem Eklat zu Wort. "Sport bedeutet Frieden und Brüderlichkeit. Sport ist mit Gewalt unvereinbar. Wir werden niemals zulassen, dass es im türkischen Sport zu Gewalt kommt", schrieb Erdogan auf X und wünschte dem Referee eine schnelle Genesung.
Verband: "Verbrechen gegen Schiedsrichter gefördert"
Auch die ständige Kritik an Schiedsrichtern habe zu diesem Gewaltausbruch geführt, so der türkische Verband: "Jeder, der Schiedsrichter ins Visier genommen und Verbrechen gegen Schiedsrichter gefördert hat, ist an diesem abscheulichen Verbrechen beteiligt. Die unverantwortlichen Äußerungen von Vereinspräsidenten, Managern, Trainern und Fernsehkommentatoren gegenüber Schiedsrichtern haben heute den Weg für diesen abscheulichen Angriff geebnet."
Auch der oberste Schiedsrichterboss schlug Alarm und sorgt sich vor allem um den Nachwuchs und die Kollegen, die nicht im Rampenlicht des Profifußballs stehen - auch in Deutschland. Die Bilder vom am Boden liegenden Meler seien "entsetzlich", aber "noch entsetzlicher ist es, zu wissen, dass es weltweit Tausende von Schiedsrichtern gibt, die auf den unteren Ebenen des Fußballs verbal und körperlich misshandelt werden", sagte Pierluigi Collina, ehemaliger Weltklasse-Schiedsrichter, der beim Weltverband FIFA Chef der Schiedsrichter-Kommission ist.
Diese Helden des Alltags seien "unbekannt. Und die große Mehrheit von ihnen sind junge Schiedsrichter, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen", so Collina. "Ein Schiedsrichter darf nicht wegen einer Entscheidung, die er getroffen hat, geschlagen werden, auch wenn sie falsch ist. Sein oder ihr Auto darf nicht wegen eines Elfmeters in Brand gesteckt oder bombardiert werden. Leider ist das keine Übertreibung, denn Autobomben und in Brand gesetzte Autos sind in einigen Ländern gar nicht so selten."
Der Artikel wurde am 13. Dezember aktualisiert.
asz/to (dpa/SID)