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Politik

Mangelnde Aufklärung des Putsches in der Türkei?

Ulrich von Schwerin
16. Juni 2017

In der Türkei mehren sich Vorwürfe, die AKP schütze Gülenisten in den eigenen Reihen. Die Opposition drängt Erdogan, den "politischen Arm" der Gruppe aufzudecken, die ihn am 15. Juli 2016 zu stürzen versucht hatte.

Symbolbild Türkei Einschränkung der Meinungsfreiheit
Bild: picture alliance/dpa/S. Suna/epa

Auch in der Türkei sind alle Bürger gleich vor dem Gesetz, doch viele Türken fragen sich derzeit, ob die Schwiegersöhne von AKP-Granden gleicher sind als andere. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte nach seiner Rückkehr an die Spitze seiner AK-Partei im Mai versprochen, den Kampf gegen die Gülen-Bewegung ohne Rücksicht auf das Ansehen der Person zu Ende zu führen. "Ich werde jeden verfolgen, der an solchem Verrat beteiligt war - selbst meine Nächsten", sagte Erdogan. Mit dem Verrat meinte er den Putschversuch vom 15. Juli 2016, für den er die Bewegung seines einstigen Weggefährten Fethullah Gülen verantwortlich macht.

Die AKP-Führung sieht sich nun jedoch Vorwürfen ausgesetzt, ihre eigenen Angehörigen zu verschonen. Grund ist, dass die Schwiegersöhne von Bülent Arinc und Kadir Topbas nach kurzer Zeit wieder aus der Haft entlassen wurden. Arinc gehört mit Erdogan zu den Gründern der AKP und war lange Vize-Regierungschef, Topbas ist Bürgermeister von Istanbul. Ihre Schwiegersöhne wurden festgenommen, weil sie Organisationen leiteten, die der Gülen-Bewegung nahestanden. Dennoch kamen sie nach wenigen Tagen wieder frei.

Schützten offenbar ihre Schwiegersöhne: Die hochrangigen AKP-Mitglieder Bülent Arinc (links) und Kadir TopbasBild: Getty Images/AFP/A. Altan/S. Feval

Zehntausende in Haft

Bei Topbas' Schwiegersohn erklärte die Justiz dies mit dessen prekärem Gesundheitszustand, im Fall von Arinc' Schwiegersohn damit, dass er eine "feste Adresse" habe. Bei der prokurdischen HDP und den anderen Oppositionsparteien stieß dies auf wenig Verständnis. "Haben etwa unsere hunderten inhaftierten Abgeordneten, Gewerkschafter und Arbeiter, deren Häuser wir täglich besuchen, keine feste Adresse?", fragte der HDP-Sprecher Osman Baydemir. Der Fall werde als "Schwiegersohn-Entscheid" in die Rechtsgeschichte eingehen.

Seit dem Putschversuch, dem im Juli vergangenen Jahres 249 Menschen zum Opfer fielen, wurden mehr als 50.000 Menschen inhaftiert. Den meisten wird vorgeworfen, zur Gülen-Bewegung zu gehören, anderen, der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahezustehen. Unter ihnen sind tausende Militärs, Polizisten, Richter, Journalisten und Wissenschaftler. Viele warten seit Monaten auf eine Anklage, nur den wenigsten wurde bisher der Prozess gemacht. Etliche leiden an gesundheitlichen Problemen, doch Haftverschonung erhielt kaum einer.

Massenverhaftung wegen vermuteter Nähe zur Gülen-Bewegung Bild: picture-alliance/AP Photo/O. Duzgun

Gleiches Recht für alle

"Während 159 Journalisten unter erfundenen Vorwürfen in Haft sitzen, wird eine Person freigelassen. Wir können das nicht akzeptieren", kritisierte der Vorsitzende der Oppositionspartei CHP Kemal Kilicdaroglu nach der Freilassung von Topbas' Schwiegersohn und warf der AKP Beeinflussung der Justiz vor. Auch Devlet Bahceli von der ultrarechten MHP forderte, es müsse gleiches Recht für alle gelten und dürfe "keine Begnadigung einflussreicher Personen geben". Es sei die Pflicht der Regierung, "die politischen Verbindungen" der Gülen-Bewegung offenzulegen.

Die Opposition fordert schon lange, dass der "politische Arm" der Gülen-Bewegung aufgedeckt werde. Sie fragt, warum zwar zahllose Journalisten, Dozenten und Lehrer ins Gefängnis geworfen wurden, doch ausgerechnet in der Politik kein einziger Gülenist zu finden sein solle. "Sie haben alle gefunden, nur keinen einzigen Politiker. Welch Wunder", spottete Kilicdaroglu. Während die Regierung die Gülen-Bewegung bezichtigt, einen Parallelstaat errichtet zu haben, wirft die Opposition der AKP vor, die Gülenisten selbst im Staatsdienst platziert zu haben.

Türkische Militärs suchen Schutz vor Erdogan

05:40

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Vorwurf des "kontrollierten Putsches"

Die AKP-Führung will heute nichts mehr davon wissen, aber es ist kein Geheimnis, dass Erdogan lange mit Gülen verbündet war, bevor er sich 2013 aus unbekannten Gründen mit dem Prediger überwarf. Die Opposition vermutet, dass noch immer viele Gülen-Anhänger in der AKP sind, und ein Teil der Partei auch am Putsch beteiligt war. "Wer hätte das Land regieren sollen, wenn der Putsch erfolgreich gewesen wäre? Wo ist der politische Arm des Putsches?", fragte Kilicdaroglu und warf der AKP vor, selbst dieser "politische Arm" zu sein.

Der CHP-Vorsitzende spricht seit Monaten von einem "kontrollierten Putsch". Die AKP-Führung habe von den Putschplänen gewusst, aber die Gülenisten gezielt ins offene Messer laufen lassen, so sein brisanter Vorwurf. Kilicdaroglu hat zwar keine Beweise für diese Behauptung, und seine Vorwürfe erschöpfen sich oft in vagen Andeutungen. Auch kann er nicht erklären, warum Erdogan ausgerechnet die Gülenisten in der AKP verschonen sollte, wenn er die Putschisten gewähren ließ, um mit seinen internen Gegnern aufzuräumen.

Anwälte in der Türkei protestieren gegen die Verhaftung ihrer KollegenBild: DW/A.E. Duran

Noch viele Fragen offen

Doch mit seiner Kritik, dass die Regierung viele Fragen zum Ablauf des Putsches bis heute nicht geklärt habe, trifft Kilicdaroglu einen Nerv. Noch immer sprechen Kolumnisten fast täglich Ungereimtheiten an: Warum handelten Generalstabschef Hulusi Akar und Geheimdienstchef Hakan Fidan nicht schneller, als sie am Nachmittag des 15. Juli von einem Offizier Hinweise auf die Putschpläne erhielten, fragen die Kolumnisten. Warum wurde Erdogan erst Stunden später an seinem Urlaubsort informiert?

Für scharfe Kritik sorgt auch, dass die parlamentarische Untersuchungskommission zum Putschversuch bis heute ihren Bericht nicht vorgelegt hat. Auch dass zentrale Zeugen wie Akar und Fidan sich nicht der Befragung stellten, sorgt für Misstrauen. Die aufschlussreichsten Informationen zum Putschversuch habe die Kommission ignoriert, kritisierte der MHP-Abgeordnete Mehmet Erdogan kürzlich. Es sei nicht einmal geklärt, ob jemand vorab über die Putschpläne informiert wurde. "Die Putschnacht ist im Dunkeln geblieben", resümierte er.

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