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PolitikEuropa

Türkische Ansprüche im Mittelmeer

Panagiotis Kouparanis
21. Juli 2020

Die Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland wachsen. Ankara will seine Seegebiete ausdehnen und hat Ölbohrungen nahe Kreta angekündigt. Lassen sich diese Ansprüche durch internationales Recht legitimieren?

Ein Ingenieur auf dem Hubschrauberlandeplatz des türkischen Bohrschiffs Yavuz im östlichen Mittelmeer vor Zypern
Türkisches Bohrschiff im Mittelmeer vor ZypernBild: Reuters/M. Sezer

Das Verhältnis der Europäischen Union zur Türkei ist ein Schwerpunktthema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. "Wir brauchen eine kohärente Türkei-Strategie", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 1. Juli im deutschen Bundestag. Die Türkei-Politik der EU müsse die gesamte Bandbreite der Themen umfassen - von der Syrien- bis zur Libyenfrage, von der Flüchtlingsproblematik bis zu den Menschenrechten. Als "Erschwernis", um zu einer dauerhaften Verständigung zwischen der EU und der Türkei zu gelangen, nannte die Bundeskanzlerin türkische Öl- und Gasbohrungen vor Zypern und der griechischen Insel Kreta. Erstere finden seit 2019 statt, die anderen wurden für den Herbst angekündigt. Die Bohrungen sind eines der wichtigsten Themen, die Außenminister Heiko Maas an diesem Dienstag in Athen mit seinen griechischen Gesprächspartnern erörtern will.

Die griechische Insel Kastelorizo - im Hintergrund das türkische FestlandBild: picture-alliance/dpa/R. Hackenberg

Hintergrund dieses Streits sind türkische Ansprüche auf Seegebiete im östlichen Mittelmeer. Seit Jahrzehnten ist es Ankara ein Dorn im Auge, dass die zahlreichen griechischen Inseln vor der türkischen Ägäis-Küste der Türkei kaum eine nennenswerte eigene Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) erlauben. Außenminister Mevlut Cavusoglu nannte es unlängst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung inakzeptabel, dass die kleine Insel Kastelorizo, die über 500 Kilometer von Athen entfernt vor dem türkischen Festland liegt, ein Seegebiet von 200 Seemeilen in jeder Richtung beanspruchen soll.

Der Aspekt der Fairness

Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 ist ein solcher Anspruch "erst einmal" gerechtfertigt, befindet Professorin Nele Matz-Lück, Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. Dabei verweist sie auf Frankreich, das mehrere kleine Inseln im Südpazifik und im Südpolarmeer mit den entsprechenden riesigen Seegebieten herum für sich beansprucht. Ähnlich wie das Festland können "echte", also bewohnbare Inseln, anders als Felsen, einen Festlandsockel und eine AWZ von 200 Seemeilen beanspruchen. Überschneidet sich allerdings diese Zone mit der eines anderen Staates, dann müssen sich gemäß dem internationalen Seerechtsübereinkommen die betroffenen Staaten über den Verlauf der Grenze einigen.

Nele Matz-Lück, Professorin an der Universität KielBild: privat

"Es ist weniger klar geregelt, wie diese Einigung aussehen soll", so Professorin Matz-Lück. "Wenn Staaten sich in einem Vertrag einigen, sind sie sehr frei, welche Methode sie anwenden, zu welchem Ergebnis sie kommen. Wenn man einen solchen Fall einem internationalen Gericht oder einem internationalen Schiedsgericht unterbreitet, dann soll dieses nach Aspekten der Fairness (Equity) entscheiden." Ein solcher Gesichtspunkt würde laut der Seerechtsexpertin auch im Falle von kleinen griechischen Inseln vor der türkischen Küste gelten: "So werden von Schiedsgerichten und internationalen Gerichten bei der Grenzziehung kleine Inseln, die zu einer Verzerrung der Verhältnisse führen würden, aus Gründen der Fairness im Einzelfall für den Grenzverlauf nicht berücksichtigt."

Wann ist eine Vereinbarung rechtswirksam?

Obwohl es dazu noch kein Urteil gibt, kündigte die türkische Regierung für September Öl- und Gasbohrungen nahe der Insel Kreta an. Sie berief sich dabei auf das "Memorandum of Understanding" über die Aufteilung der Seegebiete im östlichen Mittelmeer, das sie im November 2019 mit der von den Vereinten Nationen anerkannten libyschen Regierung unterschrieben hat. Nicht nur Griechenland, auch die anderen Anrainerstaaten haben diese Vereinbarung abgelehnt, die Ankara vergangene Woche beim UN-Generalsekretär hinterlegt hat. Ähnlich wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags (im Januar 2020) kommt Professorin Matz-Lück zum Ergebnis, dass der Vertrag, "selbst wenn er wirksam zustande gekommen und in Kraft getreten ist, keine Wirkung zu Lasten Dritter entfalten kann". Ein Vertrag zwischen der Türkei und Libyen, der Ansprüche Griechenlands an Meereszonen gänzlich außer Acht lässt, könne zumindest gegenüber Griechenland keine rechtliche Wirkung haben.

Griechische Inseln in der Ägäis

Ein Seerechtsübereinkommen über die Aufteilung der jeweiligen AWZ im Ionischen Meer, das Italien und Griechenland im Juni vereinbart haben, sei dagegen rechtswirksam. "Ob man die Anrainerstaaten fragen muss, entscheidet sich danach, ob man überschneidende Grenzen mit ihnen hat. Grundsätzlich gilt: Solange man ein bilateral beanspruchtes Gebiet aufteilt, braucht man andere Staaten nicht einzubeziehen", urteilt Nele Matz-Lück.

Ähnlich deutlich äußert sie sich zu den türkischen Öl- und Gasbohrungen vor der Küste Zyperns: "Auch wenn der Status Nordzyperns hoch umstritten ist, sind türkische Öl- und Gasbohrungen auf dem zyprischen Festlandsockel rechtlich nicht abgesichert." Den türkischen Einwand, dass man dem Internationalen Seerechtsübereinkommen nicht beigetreten sei und sich deshalb nicht daran halten müsse, lässt die Direktorin des Kieler Instituts für Internationales Recht nicht gelten. Viele der Regelungen des Übereinkommens hätten inzwischen "gewohnheitsrechtliche Wirkung". Selbst die Türkei berufe sich mittlerweile auf sie.

Ein möglicher Lösungsansatz

Griechenland und Zypern weigern sich bislang, die Frage des Verlaufs der Seegrenze mit der Türkei zu verhandeln. Sie vertreten den Standpunkt, dass dies durch internationale Verträge bereits geregelt sei. Ob sich diese Position noch länger halten lässt, ist fraglich. Wenn sich aber Ankara, Athen und Nikosia dazu entschließen sollten, eine unabhängige Institution anzurufen, um zu einer Regelung zu gelangen, so würden sich dafür der Internationale Gerichtshof in Den Haag oder ein internationales Schiedsgericht anbieten.

Bis zu einem Urteil könnte man sich nach Meinung von Nele Matz-Lück "auf eine vorübergehende Lösung einigen, die eine gemeinsame wirtschaftliche Nutzung (Joint Development) der umstrittenen Seegebiete vorsieht, ohne dass daraus Ansprüche entstehen und das Ergebnis einer späteren Einigung vorweggenommen wird. Man teilt die Gewinne, bis man sich irgendwann mal, vielleicht, auf eine Grenzziehung einigen kann." In der Praxis, so die Professorin, könne diese gemeinsame Bewirtschaftung letztlich eine Dauerlösung werden.

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