Türkei: Justiz als Waffe gegen Journalisten
3. Mai 2025
Seit Jahren macht die Türkei aus verschiedenen Gründen Schlagzeilen in den internationalen Medien. Einer der Hauptgründe ist die Situation der Presse- und Meinungsfreiheit: Im aktuellen Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen belegt die Türkei Platz 165 von 180. Laut der Türkischen Journalisten-Gewerkschaft saßen Ende März noch 18 Journalisten in Haft.
Doch die Einschränkungen der Pressefreiheit beziehen sich längst nicht nur auf Inhaftierungen: Auch gerichtliche Auflagen sind Teil eines repressiven Systems, das kritische Stimmen systematisch zum Schweigen bringen soll. Kontrollmaßnahmen wie Hausarrest, Ausreisesperren und regelmäßige Meldepflichten werden zunehmend als Druckmittel eingesetzt.
Diese Kontrollmaßnahmen, die ursprünglich als Alternative zur Untersuchungshaft gedacht waren, entwickeln sich immer häufiger zu einem Instrument der faktischen Bestrafung - insbesondere gegenüber Journalisten. So sitzen hunderte Journalisten zwar nicht im Gefängnis, sondern bleiben zu Hause - jedoch dürfen sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. In jüngster Zeit wurden viele bekannte Medienschaffende in der Türkei mit solchen Maßnahmen belegt.
Schutzmaßnahme oder faktische Strafe?
Die gerichtliche Kontrolle soll laut Gesetz verhindern, dass Beschuldigte fliehen oder Beweismittel manipulieren. Voraussetzung ist ein dringender Tatverdacht sowie Flucht- oder Verdunkelungsgefahr. Doch immer häufiger werden die Maßnahmen auch bei Vorwürfen wie Beleidigung oder kritischen Social-Media-Beiträgen verhängt - also bei Taten, die weit von den im Gesetz definierten "Katalogstraftaten" entfernt sind.
Veysel Ok, ein Anwalt, der viele Journalisten in der Türkei vertreten hat - darunter den Welt-Korrespondenten Deniz Yücel - sieht in der gerichtlichen Kontrolle längst kein bloßes Mittel der Verfahrenssicherung mehr, sondern eine "strafähnliche Sanktion". "Eigentlich dürfen diese Maßnahmen laut Gesetz nur verhängt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Inhaftierung vorliegen. Doch das wird in der Praxis oft ignoriert", erklärt Ok. Gerade bei Verfahren, die die Meinungsfreiheit betreffen, seien gerichtliche Auflagen mittlerweile zur Regel geworden.
"Manche werden über Jahre an ihr Zuhause gebunden und können nicht mehr journalistisch arbeiten. Selbst wenn sie am Ende freigesprochen werden, haben sie ihre produktivsten Jahre unter diesen Einschränkungen verbracht", sagt der Jurist. Bereits harmlose Social-Media-Beiträge oder politische Kritik könnten als Grundlage für solche Maßnahmen dienen.
Neue Strategie gegen Journalisten?
"Früher war das nicht so verbreitet", fährt Ok fort. "Heute werden automatisch Kontrollmaßnahmen verhängt - bei politischen Verfahren, bei Teilnehmern von Protesten oder eben bei Journalisten. Fast alle, gegen die ermittelt wird, werden inzwischen in irgendeiner Form mit solchen Auflagen belegt."
Besonders problematisch seien Einschränkungen wie Hausarrest oder Ausreisesperren, die Medienschaffende daran hindern, ihrer Arbeit nachzugehen. Damit würden auch Entscheidungen des Verfassungsgerichts verletzt. Ok verweist auf den Fall der Aktivistin Nurcan Kaya, bei der das Gericht festgestellt hatte, dass solche Maßnahmen nur bei echten Haftgründen zulässig sind. Dennoch bliebe diese Praxis weiterhin bestehen.
Abschreckung für die Gesellschaft
Nach Ansicht von Veysel Ok verfolgen diese Maßnahmen zwei Ziele: "Zum einen sollen Betroffene bestraft werden, noch bevor überhaupt ein Urteil gefällt ist. Zum anderen soll in der Gesellschaft ein Klima der Angst entstehen, das die Meinungsfreiheit unterdrückt."
Auch die überfüllten Gefängnisse in der Türkei begünstigten die Verbreitung der gerichtlichen Kontrolle. "Aktuell sitzen über 400.000 Menschen in Haft. Aber Hunderttausende leben unter haftähnlichen Bedingungen - in ihrer Stadt oder ihrem Haus. Man verhaftet sie nicht, sondern kontrolliert sie - auf eine Art, die längst zur Strafe geworden ist", erklärt Ok.
"Es geht um Einschüchterung"
Auch Erol Önderoglu, der Türkei-Chef von Reporter ohne Grenzen (RSF), äußert sich besorgt. Die weit verbreitete Praxis der gerichtlichen Kontrolle sei ein direkter Angriff auf das Recht auf freie Berichterstattung - und auf das Recht der Bevölkerung, sich frei zu informieren.
Eigentlich, so Önderoglu, sollte die gerichtliche Kontrolle nur in Ausnahmefällen bei besonders schweren Vorwürfen angewendet werden. Doch in der Türkei genüge inzwischen schon eine simple Beleidigungsklage oder ein Social-Media-Post, um Journalisten mit solchen Einschränkungen zu belegen.
Für Önderoglu ist klar: "Diese rechtswidrige Praxis dient dazu, kritische Journalisten gezielt zu schikanieren und einzuschüchtern. Sie ist Ausdruck eines vorauseilenden Strafwillens."