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PolitikTürkei

Türkei: Kölner Sängerin weiter im Gefängnis

Daniel Heinrich
3. September 2020

Die Staatsanwaltschaft forderte ihre Freilassung. Dennoch muss die Kölner Sängerin Hozan Cane weiterhin in der Türkei im Gefängnis bleiben. Sie ist nicht die einzige Deutsche. Die Bundesregierung schweigt.

Hozan Cane
Die Kölner Sängerin Hozan Cane vor ihrer Verhaftung im Sommer 2018Bild: youtube/Hozan Canê

Bis zu einem endgültigen Urteilsspruch mahlen die Mühlen der Justiz oft langsam, davon ist auch die türkische Justiz nicht ausgenommen. Dass es allerdings, zumindest was Zwischenschritte anbelangt, auch ganz schnell gehen kann, davon konnten sich am Donnerstag Prozessbeobachter im westtürkischen Edirne überzeugen.

Eigentlich sollte um 14.30 Uhr türkischer Zeit die Verhandlung im Fall Hozan Cane fortgesetzt werden. Doch knapp zwei Stunden später war alles schon wieder vorbei. Das Ergebnis: Der Prozess soll am 20. Oktober weitergeführt werden. Die Begründung: Man müsse noch auf ein "gerichtsmedizinisches" Gutachten warten. Der Staatsanwalt hatte zuvor die vorläufige Freilassung beantragt.

Für die 56-Jährige Hozan Cane, die mit bürgerlichem Namen Saide Inac heißt, setzt sich somit ein Leidensweg fort, der vor über zwei Jahren begann. Im Juni 2018 war sie auf einer Wahlkampfveranstaltung der kurdischen HDP in der Türkei festgenommen und nach nur drei Verhandlungstagen wegen Terrorvorwürfen zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden.

Juristische Willkür

Seitdem sitzt die Kölner Sängerin im Gefängnis. Die Anklage hatte sich unter anderem auf Inhalte von Facebook- und Twitter-Profilen gestützt, die eine Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nachweisen sollten. Da die Beweise dafür nach Meinung des höchsten Berufungsgerichts der Türkei jedoch nicht ausreichten, hatte es das Urteil wieder einkassiert und eine Neuverhandlung angeordnet.

Die Sängerin selbst hatte immer wieder ihre Unschuld beteuert. Die Social-Media-Kanäle seien Fake-Accounts, die ihr nicht gehörten. Sie habe niemals Verbindungen zu illegalen Organisationen gehabt: "Ich singe nur Lieder und verdiene meinen Lebensunterhalt damit", hatte sie schon bei einer Gerichtsverhandlung im August unter Tränen zu Protokoll gegeben.

Die Inhaftierung des "Welt"-Reporters Deniz Yücel in der Türkei hatte deutschlandweit für Protestaktionen gesorgtBild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

So dramatisch das Schicksal Hozan Canes wirkt, sie ist bei weitem nicht die einzige Deutsche, die aus ähnlichen Gründen nach dem Putschversuch im Sommer 2016 ins Visier der türkischen Behörden geraten ist. Neben ihrer Tochter Gönül Örs, die sich ebenfalls wegen Terrorvorwürfen vor einem türkischen Gericht verantworten muss, gehörten in den vergangenen Jahren der Schriftsteller Dogan Akhanli, der Menschenrechtlicher Peter Steudtner, der "Welt"-Reporter Deniz Yücel und die Journalistin Mesale Tolu zu den prominentesten Fällen.

Ankaras langer Arm 

Die vier letztgenannten sind inzwischen wieder in Deutschland: "Wenn man die Vorwürfe von der türkischen Seite hört, da glaubt man, dieses Land besteht nur aus Terroristen", so Akhanli: "Es gibt genügend Beweise und Hinweise, dass dieser Vorwurf des Terrorismus ein willkürlicher Vorwurf ist."

Der Kölner Schriftsteller war mehrfach in der Türkei inhaftiert. 2017 wurde er in Granada aufgrund eines von der Türkei erwirkten internationalen Haftbefehls festgenommen. Spanien verweigerte die Auslieferung. Akhanli konnte im Oktober 2017 nach Deutschland ausreisen.

Später erhielt er in Weimar die Goethe-Medaille. Diese wird jedes Jahr an Persönlichkeiten verliehen, die "sich in besonderer Weise um die Vermittlung der deutschen Sprache sowie den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben", so steht es in den Statuten des Instituts.

Den Preis widmete Akanli Hozan Cane. Diese sei, so der Schriftsteller in seiner Dankesrede, "wie zehntausende andere Menschen Opfer staatlicher Willkür und Arroganz in der Türkei geworden".

Der Schriftsteller Dogan Akhanli in Köln solidarisiert sich mit Hozan CaneBild: picture-alliance

"Politische Gefangene"? Fehlanzeige 

Insgesamt sind der Bundesregierung derzeit 66 Fälle von Deutschen bekannt, die aufgrund von Ausreisesperren die Türkei nicht verlassen können. Die Vorwürfe reichen von Drogendelikten, Körperverletzungs- und Tötungsdelikten, bis hin zu Diebstahl und terroristischen Straftaten. Aus sogenannten "politischen Gründen" inhaftierte Deutsche werden nicht mehr gesondert aufgeführt.

Grünen-Politikerin Berivan Aymaz findet es "hochproblematisch", dass die Deutsche Regierung in der Türkei nicht mehr zwischen politischen Gefangenen und anderen Straftätern unterscheidet. "Das geht absolut nicht, weil dies die Vorgehensweise der türkischen Regierung legitimiert," erklärt Sprecherin für Integrations- und Flüchtlingspolitk der Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichsten Bundesland.

Die Bundesregierung müsse "in ihren außenpolitischen Beziehungen zur Türkei ganz klar die Menschenrechtsfrage auf die Tagesordnung setzen. Und diese Fragen dürfen nicht im Hinterzimmer der Diplomatie verschwinden."

"Hozan Cane ist zu Unrecht im Gefängnis" sagt auch Frank Schwabe, Sprecher für Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion. Dass ihm die Sache wichtig ist, erkennt man nicht nur daran, dass er regelmäßig zu den Gerichtsterminen nach Edirne reist. Auf seinem Twitter-Account findet man direkt neben seinem Namen den #FreeHozanCanê 

Wie sehr Hozan Cane, die an Asthma und Bluthochdruck leidet, die Haft zusetzt, hatte sie schon 2018 in einem Interview gegenüber der Deutschen Welle (DW) beschrieben. Vor allem in den kälteren Monaten sei die "Feuchtigkeit in den Zellen besonders schlimm."

Schon zu Beginn der Haft habe ihr das sehr zu schaffen gemacht. Auch für ihre Psyche sei die Haft ein einziger Stresstest. Sie vermisse es, in den freien Himmel zu blicken, mit ihren Freunden auf den Straßen frei zu spazieren und "meine Projekte, die ich leider nicht zu Ende bringen konnte." Vor allem aber "vermisse ich meine Tochter, ich vermisse es, sie zu umarmen."

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