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Politik

Türkei: Kein Vertrauen in Massenmedien

Daniel Heinrich
22. März 2018

Der Verkauf der unabhängigen Dogan-Gruppe erregt die Gemüter von Journalisten. Viele Türken vertrauen Zeitung, TV und Onlineportalen allerdings schon lange nicht mehr. Geschäftsinteressen sind zu offensichtlich.

Symbolbild Türkei Einschränkung der Meinungsfreiheit
Bild: picture alliance/AP Photo/T. Stavrakis

Die ersten Reaktionen aus türkischen Journalistenkreisen auf den Verkauf der Dogan-Gruppe fallen scharf aus: Der bekannte Kolumnist Kadri Gürsel meldet sich bei Twitter mit einer klaren Ansage zu Wort: "Mit dieser riesigen Übernahme kommt die türkische Massenmedien-Industrie unter die direkte politische Kontrolle von Präsident Erdogan".

Die Reaktion Gürsels scheint verständlich. Die Dogan-Gruppe, zu der neben dem TV-Sender CNN Türk die auflagenstarke Zeitschrift "Hürriyet", deren englische Ausgabe "Hürriyet Daily News", die Zeitung "Posta", das Sportblatt "Fanatik" und der Fernsehsender "Kanal-D." gehörte, galt bisher als regierungskritisch. Dem Käufer hingegen, der Demirören-Holding, wird eine enge Verbindung zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nachgesagt.

Schwarzer Tag für die Pressefreiheit

Christian Mihr, der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen in Deutschland, springt seinem türkischen Kollegen zur Seite und bezeichnet den Verkauf gegenüber der Deutschen Welle als "schwarzen Tag für die Pressefreiheit":

"Es ist ein Wendepunkt für die Medienlandschaft in der Türkei. Natürlich mussten sich die Journalisten auch dort tagtäglich mit Fragen der Zensur und Selbstzensur auseinandersetzen und sind auch oft genug an den roten Linien gestoppt worden. Dennoch haben wir die Dogan-Gruppe als kommerzielles, unabhängiges Medium betrachtet."

Für Mihr ist der Verkauf auch deswegen ein Einschnitt, weil die letzten unabhängigen Zeitungen wie "Cumhuriyet", "Evrensel" und "BirGün" "zusammen eine lächerliche Auflage von nur rund 45.000 haben - da lag die Dogan-Gruppe weit darüber."

Medien keine "Vierte Gewalt"

Der Hamburger Türkei-Experte Yasar Aydin sieht den Verkauf nüchterner. Eine Protestwelle weiter Teile der Gesellschaft könne er in der Türkei derzeit nicht erkennen. Als Begründung verweist er im Gespräch mit der DW auf die enge Verflechtung von Medien, Politik und Wirtschaft in der Türkei:

Aydin: Medien erfüllen nicht die Funktion als vierte GewaltBild: D. Heinrich

"Wie soll eine Mediengruppe wie Dogan ihre Funktion, die vierte Gewalt im Staat zu sein, erfüllen, wenn sie in anderen Wirtschaftsbereichen Interessen hat, Investitionen tätigt - und somit letzten Endes auf eine gute Beziehung zur Regierung angewiesen ist? Diese Verflechtung von Medien, Politik und Wirtschaft führt auch dazu, dass Medien als Druckmittel verwendet werden um die eigenen Interessen durchzusetzen. Die Medien in der Türkei sind größtenteils weit davon entfernt, ihre Funktion als "Vierte Gewalt" wahrzunehmen."

Gleichschaltung führt zur Selbstzensur

Der "Media Ownership Monitor" von Reporter ohne Grenzen stützt Aydins These. Im Rahmen eines dreimonatigen Projekts hatte die Organisation schon 2016 die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Medienkonzentration und die Besitzstrukturen der 46 meistgenutzten Medien der Türkei untersucht. Evren Gönül war als Koordinator der türkischen Partnerorganisation "Bianet" an dem Projekt beteiligt:

"Die wirtschaftliche und politische Gleichschaltung in der Türkei führt zwangsläufig zur Selbstzensur vieler Journalisten, die ihre Arbeit nicht verlieren wollen. Wer in diesen Zeiten von diesem Beruf leben muss, darf sich keine Kritik erlauben. In den meisten Fällen muss die Regierung die Medien gar nicht mehr an die kurze Leine nehmen. Wirtschaftlicher Druck ist viel wirksamer."

Berichterstattung in Zukunft noch regierungstreuer

In der Tat ist die Verflechtung von Medien, Wirtschaft und Politik in der Türkei weit vorangeschritten. Die Demirören-Holding etwa ist im Energie- und Bausektor, im Tourismus und der Industrie aktiv. Der Dogan-Konzern, an den für den Verkauf rund 890 Millionen Euro fließen sollen, ist ebenfalls im Energie- und Industriesektor aktiv. Auch aufgrund dieser engen Verbindungen listet Reporter ohne Grenzen die Türkei im weltweiten Index der Pressefreiheit schon jetzt auf Rang 155 von 180 Staaten.

Gefährliche Zeiten für kritischen Journalismus: Verstärkte Sicherheitsmaßnahmen vor dem Büro der "Cumhuriyet" in IstanbulBild: DW/Julia Hahn

Durch den Verkauf jetzt dürfte sich an dieser Bewertung nicht viel ändern, meint Christian Mihr. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen rechnet gegenüber der DW damit, dass die Medien noch regierungstreuer werden: "Ich lasse mich gerne überraschen, aber eigentlich erwarte ich, dass die Berichterstattung, wie bei anderen großen regierungsnahen Medien in der Türkei, auf Linie sein wird. Das bedeutet, dass sie ganz und gar unkritisch über aktuelle Entwicklungen in der Türkei berichten und dass sie unkritisch über die Regierungspolitik berichten."

Auch Soziale Medien im Fokus

Türkei-Experte Yasar Aydin glaubt, dass eine solch "gleichgeschaltete" Berichterstattung bestehende Trends der Mediennutzung in der Türkei noch verstärken wird: "Das Vertrauen in die Medienlandschaft ist nicht groß. Viele Menschen sind über die Berichterstattung enttäuscht, die Verkaufszahlen gehen zurück. Qualitätsjournalismus ist in der Türkei sehr rar. Das führt auch dazu, dass immer mehr Menschen auf die Sozialen Medien als Informationsquelle ausweichen."

Dass freier Berichterstattung auch im Internet und auch in Sozialen Medien neues Ungemach droht, zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus Ankara. Erst in der Nacht zu Donnerstag verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetz, das mit einer Lizenzpflicht für zahlreiche Webseiten eine stärkere Kontrolle des Internets durch die türkische Regierung ermöglicht.